Efeu - Die Kulturrundschau
Spiele der Unschuld
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04.03.2015. Die NZZ bewundert den Geist der Kleidung in einer Modezeichnung von Aurore de La Morinerie. Die Welt staunt über das Verhältnis von Mensch und Hund in den Bildern von Lucian Freud. Die taz bewundert originelle Ganoven- und Dirnenfilme aus den Dreißigern in einer Retrospektive des Filmemachers Werner Hochbaum. Der Tagesspiegel wirft musikalisches Prozac von Madonna ein.
9punkt - Die Debattenrundschau
vom
04.03.2015
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Kunst


Bild links: Réne Gruau, Ohne Titel, 1955, Mode von Dior (Bild: SARL René Gruau). Bild rechts: Aurore de La Morinerie, Ohne Titel, 2008, Mode von Christian Lacroix (Bild: Aurore de La Morinerie)
"Welche Könnerschaft, welche souveräne Beherrschung des Handwerks!" Eher versehentlich landet Joachim Güntner in einer Hamburger Ausstellung von Modezeichnungen und ist baff. Fasziniert verfolgt er für die NZZ, wie sich die Modezeichnung von der reinen Illustration ab den 60er Jahren zu einer eigenen Kunstgattung entwickelte, bei der sich die Konturen immer mehr auflösen: "Unter den siebzehn in Hamburg gezeigten Künstlern der Sammlung Chariau befindet sich mit der Pariserin Aurore de La Morinerie nur eine einzige Frau. Wohl nicht zufällig ist die 1962 Geborene auch die Jüngste in diesem Kreis. Lange war die Modezeichnung eine Domäne der Männer. Ihrem Können oblag es, weniger die Details als vielmehr den Geist einer Kleidung zu erfassen, die Posen der Modelle emotional und sozial distinkt aufzuladen und mit ihrer Zeichnung ein "Bild des Begehrens" (Chariau) zu schaffen."

Lucian Freud, Girl with a white dog. 1950/51. (c) Tate, London 2015, The Estate of Lucian Freud / Bridgeman Images
Menschen, Tiere - da machte Lucian Freud keinen großen Unterschied, lernt Welt-Rezensent Eckhard Fuhr vor Freuds "Girl with a White Dog" in der Siegener Ausstellung "Lucian Freud und das Tier": "Auf vielen Porträts und Aktdarstellungen Freuds finden sich Tiere, oft seine eigenen Hunde, durch deren gelassene physische Präsenz seine hyperrealistischen nackten Menschenkörper in eine warme Aura animalischer Würde gehüllt werden. Menschen sind für den Maler "herausgeputzte Tiere", die man von ihrem Putz befreien muss, wenn man ein wahrhaftiges Bild von ihnen schaffen will. Man muss sie also vertierlichen. Dann kann sich die Malkunst austoben. "Girl with a White Dog" zeigt uns also ein Menschentier und ein Hundetier, die sich stofflich und in der Textur ihrer Oberflächen sehr ähnlich sind."
Weitere Artikel: Dieter Meier zum Siebzigsten gratuliert in der NZZ Martin Meyer.
Besprochen werden die von Harun Farocki und Antje Ehmann konzipierte Videoinstallation "Eine Einstellung zur Arbeit" im Haus der Kulturen der Welt in Berlin (FR) Camille Henrots Installation "The Pale Fox" im Kunstverein Münster (taz), eine Ausstellung von Volker Stelzmann in der Berliner Galerie Poll (Berliner Zeitung), eine Ausstellung von Fotografien aus der Thomas Walther Collection im MoMA in New York (SZ) und die Ausstellung "Buddha - 108 Begegnung" im Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt, bei der sich Andreas Platthaus (FAZ) mangels Katalog und Erläuterungen in den Objektbeschreibungen etwas allein gelassen fühlt: "Muss es (...) derart mysteriös zugehen? So etwas wie museales Mitgefühl wäre hier durchaus angebracht gewesen."
Film
Mit einer Retrospektive der Filme von Werner Hochbaum im Berliner Zeughauskino bietet sich Cinephilen eine echte Entdeckung, verspricht Peter Nau in der taz. Stark beeindruckt hat ihn "Razzia in St. Pauli" aus dem Jahr 1932: "Hochbaum hat das verbrauchte, abgestorbene Material des aus der Stummfilmzeit überkommenen Ganoven- und Dirnenfilms durch Verwandlung in eine originale und aktuelle Filmform gleichzeitig aufgedeckt und gerettet. Der Tonfall und die Stimmung dieses Films bleiben mir unvergesslich. Ruhige, wie für sich selbst stehende Dokumentaraufnahmen vom Hamburger Hafen, von einem Fleet mit Lagerhäusern am frühen Morgen, unterbrechen die Handlung und ermöglichen so ein komplexes Sehen des Films, eine Haltung des Zuschauers, in der er nicht aus der Handlung heraus, sondern über sie denkt."
Bereits vor einiger Zeit hatte Ekkehard Knörer im Cargo-Blog Notizen zu einigen Hochbaum-Filmen veröffentlicht. Auf Youtube gibt es zudem einen kleinen Ausschnitt aus "Razzia in St. Pauli".
Besprochen werden Neill Blomkamps Science-Fiction-Film "Chappie" (Berliner Zeitung) und das Drama "Still Alice" mit Julianne Moore (SZ, FAZ).
Bereits vor einiger Zeit hatte Ekkehard Knörer im Cargo-Blog Notizen zu einigen Hochbaum-Filmen veröffentlicht. Auf Youtube gibt es zudem einen kleinen Ausschnitt aus "Razzia in St. Pauli".
Besprochen werden Neill Blomkamps Science-Fiction-Film "Chappie" (Berliner Zeitung) und das Drama "Still Alice" mit Julianne Moore (SZ, FAZ).
Musik
Wenig Freude hatte Tagesspiegel-Rezensent Sebastian Leber mit dem neuen Album von Madonna: Ausgerechnet die gefeierte Poppionierin klinge auf "Rebel Heart" nun ziemlich abgehängt: Das Album sei "musikalisches Prozac" und "Endorphin-Tralala", meint er. "Mit Diplo, Avicii und Kanye West hatte Madonna drei aktuell sehr relevante Produzenten im Studio, trotzdem klingt die Platte nirgends vorneweg, meistens hinterher."
Im Freitag spuckt Jörg Augsburg Gift und Galle angesichts des grassierenden Erfolgs von Coverband-Spektakeln, bei denen Pop- und Rockklassiker vor amüsierwilligem Publikum zum Besten gegeben werden: "Selbst hartgesottene Popkultur-Verteidiger (...) kann diese Erfolgswelle nicht gleichgültig lassen. Zu offensichtlich ist die kulturreaktionäre Tendenz, zu aggressiv der Verzicht sogar schon auf den Anschein von Innovation, nicht zuletzt: zu durchsichtig das Geschäftskonzept, dessen Erbärmlichkeit nur noch von der Bereitschaft übertroffen wird, für die Rezeption auch noch Geld auszugeben."
Auch nicht mehr recht heutig: Die Scorpions, mit deren Gitarrist Rudolf Schenker sich Jens Balzer in der Berliner Zeitung unterhält. Simon Rattle kehrt 2017 nach London zurück, berichtet Frederik Hanssen im Tagesspiegel. In Senegal sind Rapper eine treibende Kraft im Prozess der Demokratisierung, berichtet Jonathan Fischer in einer Reportage für die SZ.
Besprochen werden Andrew Combs" neues Album "All These Dreams" (taz), das neue Album von Oren Ambarchi und Jim O"Rourke (The Quietus), das neue Album von Levon Vincent (Pitchfork), ein Auftritt von Mireille Mathieu (Tagesspiegel), das neue Album der österreichischen Band Bilderbuch (SZ) und die CD "Alles brennt" von Zugezogen Maskulin (Welt).
Im Freitag spuckt Jörg Augsburg Gift und Galle angesichts des grassierenden Erfolgs von Coverband-Spektakeln, bei denen Pop- und Rockklassiker vor amüsierwilligem Publikum zum Besten gegeben werden: "Selbst hartgesottene Popkultur-Verteidiger (...) kann diese Erfolgswelle nicht gleichgültig lassen. Zu offensichtlich ist die kulturreaktionäre Tendenz, zu aggressiv der Verzicht sogar schon auf den Anschein von Innovation, nicht zuletzt: zu durchsichtig das Geschäftskonzept, dessen Erbärmlichkeit nur noch von der Bereitschaft übertroffen wird, für die Rezeption auch noch Geld auszugeben."
Auch nicht mehr recht heutig: Die Scorpions, mit deren Gitarrist Rudolf Schenker sich Jens Balzer in der Berliner Zeitung unterhält. Simon Rattle kehrt 2017 nach London zurück, berichtet Frederik Hanssen im Tagesspiegel. In Senegal sind Rapper eine treibende Kraft im Prozess der Demokratisierung, berichtet Jonathan Fischer in einer Reportage für die SZ.
Besprochen werden Andrew Combs" neues Album "All These Dreams" (taz), das neue Album von Oren Ambarchi und Jim O"Rourke (The Quietus), das neue Album von Levon Vincent (Pitchfork), ein Auftritt von Mireille Mathieu (Tagesspiegel), das neue Album der österreichischen Band Bilderbuch (SZ) und die CD "Alles brennt" von Zugezogen Maskulin (Welt).
Literatur
Das neue Grusel-Adventurespiel "Sunless Sea" erinnert Jan Scheper in der taz an die Schauderästhetik von H.P. Lovecraft: "Letztlich funktioniert [es] als interaktive Graphic Novel. Das Spiel verwaltet als digitale Bibliothek ein famoses Universum an fantastisch-unheimlichen Geschichten." Passend dazu liest Erik Wenk im Tagesspiegel von Lovecraft inspirierte Comics.
Außerdem hat die FAZ ihren Vorabdruck aus dem Briefwechsel zwischen Marcel Reich-Ranicki und Peter Rühmkorf online nachgereicht.
Besprochen werden Charles-Augustin Sainte-Beuves "Menschen des XVIII. Jahrhunderts" (NZZ), John Williams" "Butcher"s Crossing" (Zeit), Richard McGuires Comic "Hier" (FR), Ursula Ackrills "Zeiden, im Januar" (SZ, mehr) und Norbert Scheuers "Die Sprache der Vögel" (FAZ).
Außerdem hat die FAZ ihren Vorabdruck aus dem Briefwechsel zwischen Marcel Reich-Ranicki und Peter Rühmkorf online nachgereicht.
Besprochen werden Charles-Augustin Sainte-Beuves "Menschen des XVIII. Jahrhunderts" (NZZ), John Williams" "Butcher"s Crossing" (Zeit), Richard McGuires Comic "Hier" (FR), Ursula Ackrills "Zeiden, im Januar" (SZ, mehr) und Norbert Scheuers "Die Sprache der Vögel" (FAZ).
Bühne

Nora Friedrichs (Yvette), Sara Jakubiak (Marta), Tanja Ariane Baumgartner (Lisa), Ensemble in Mieczyslaw Weinbergs Oper "Die Passagierin". Foto: © Barbara Aumüller
Mit Mieczyslaw Weinbergs in Frankfurt aufgeführter Oper "Die Passagierin" begibt sich Regisseur Anselm Weber auf schwieriges Gebiet: Das Werk erzählt die Geschichte der Auschwitz-Überlebenden Zofia Posmysz. Schon deshalb, berichtet Hans-Klaus Jungheinrich in der FR, gab es publikumsseitig einige Befangenheiten, was den Applaus betrifft: "Das befremdend Ungeheuerliche, das ungeheuerlich Befremdende der Szene erzeugte eine Art Lähmung." Doch der Abend ist als Erfolg der Kunst einzuschätzen, schreibt er weiter: "Höchster Kunst- und Wirklichkeitsverstand, sorgsamste Reflexion, ein bescheidenes Zurücknehmen horribler Effekte: Mit diesen Tugenden übertraf das Frankfurter Engagement für das Stück (...) die vorangegangenen Bemühungen in Bregenz und Karlsruhe."

Boris Blacher, Roméo et Juliette. Opera de Lyon. Foto: © Stofleth
Etwas ratloser berichtet unterdessen Jan Brachmann in der FAZ über Jean Lacorneries Inszenierung von Boris Blachers "Romeo und Julia"-Oper in Lyon, wo die Liebesgeschichte vor dem Hintergrund der Bombardierung Dresdens gezeigt wird: "Gedenkpolitisch ist das von einiger Brisanz. Lacornerie würde damit ohne großes Wenn und Aber Mitgefühl aufbringen für die zivilen Opfer des Bombenkriegs. Gegen die Vertreter einer Kollektivschuldthese, die es noch immer gibt, würde er zwischen Deutschland und Hitler zu trennen wissen. Was er uns zeigt, sind Spiele der Unschuld - zur Musik eines Komponisten, der sich ästhetisch nicht auf die Linie der Machthaber bringen ließ."
Weitere Artikel: Michael Wolf meldet sich für die Welt beim Mitmach-Theaterfestival "100 Grad Berlin" an und trinkt Tee mit einem Schaf. Die Berliner Zeitung bringt einen Auszug aus Sebastian Urbanskis Buch "Am liebsten bin ich Hamlet".
Besprochen wird Calixto Bieitos Inszenierung zweier Puccini- und Bartók-Einakter an der Komischen Oper Berlin (taz, SZ, mehr).
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