Efeu - Die Kulturrundschau

Plötzlich liegt da ein Brocken Käse

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24.04.2018. Der Standard erlebt im Kunsthaus Bregenz, wie Mika Rottenberg Männer gebären lässt, allerdings keine Kinder. Die taz entdeckt im Berliner Gropiusbau die Videos der kubanischen Künstlerin Ana Mendieta. Die NZZ sieht in der Zürcher Greencity die Architektur in die Knie gezwungen. Die SZ huldigt dem Krächzevogel. Die Berliner Zeitung warnt davor, die Zukunft der Volksbühne einem Verwaltungsfunktionär zu überlassen.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 24.04.2018 finden Sie hier

Kunst


Mika Rottenberg: Cosmic Generator, 2017. Courtesy of Mika Rottenberg und Andrea Rosen Gallery, New York

Das Kunsthaus Bregenz zeigt eine Schau der israelisch-argentinischen Künstlerin Mika Rottenberg. Im Standard findet Jutta Berger einfach herrlich, wie sie mit ihrem Social Surrealism Zumthors Bau die Makellosigkeit nimmt: "Ihre Installationen verzerren, karikieren und verstören. Ausbeutung zum Zwecke der Produktion sinnloser Waren für einen globalisierten Markt, die Vermarktung weiblicher Körper, die Torheit der (US-amerikanischen) Politik sind ihre Themen. Rottenbergs feministische Kapitalismuskritik ist bissig-witzig. Ihre erotischen Anspielungen sind die einer griechischen Sirene. Selber schuld, fällt man(n) drauf rein. In Rottenbergs Videos verwandeln sich Dinge. Milch spritzt aus den Zitzen von Ziegen und auch aus der Erde. Plötzlich liegt da ein Brocken Käse. Männer niesen und gebären aus übergroßen Nasen Kaninchen oder Steaks. Wasser verdampft in heißen Pfannen. Schräg und hintergründig verweist sie auf fragwürdige Machtverhältnisse und Arbeitsteilungen."


Ana Mendieta. Creek, 1974. Foto: The Estate of Ana Mendieta Collection, LLC.,Courtesy Galerie Lelong & Co.

Großartig findet Lorina Speder in der taz die bisher unbekannten Videos der kubanischen Künstlerin Ana Mendieta, die der Berliner Gropiusbau erstmals öffentlich zeigt: "Rund 40 Jahre nach ihrer Anfertigung haben Ana Mendietas Videos durch ihr sensibles Naturverständnis wie durch unsere gesellschaftliche Entfernung und Entfremdung von ihr, eine umso faszinierendere Wirkung. Die natürlichen Motive in den Filmen beziehen sich auf nichts Historisches, sondern nur auf das, was schon immer war. Es bedarf keines kunsthistorischen Wissens, um sie zu verstehen oder zu deuten. Diese Zeitlosigkeit macht es ganz deutlich: Es war nur eine Frage des richtigen Moments, Mendietas Kunst im großen Rahmen zu präsentieren."

Weiteres: In der Berliner Zeitung jauchzt Ingeborg Ruthe vor Freude über eine Schau im Schinkel Pavillon mit Werken von Louise Bourgeois: "Jede Skulptur, jedes Objekt der Avantgardistin Louise Bourgeois, geboren 1911 in Paris, gestorben 2010 in New York, ist durchwuchert von Lebensgier, Eros, Tod - und skurrilem feministischen Humor, ja, von Ironie."

Besprochen werden die Ausstellung "High Society" im Amsterdamer Rijksmuseum (die Manuel Brug in der Welt als Wow-Party der Selbstdarstellung feiert), eine Ausstellung des Architekturfotografen Max Baur im Potsdam Museum (Tagesspiegel) und eine Ausstellung Günter Peter Straschek im Museum Ludwig Köln (FAZ).
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Bühne

Vor einer Neubesetzung der Volksbühnen-Intendanz fordert Petra Kohse in der Berliner Zeitung Diskussion, Evaluierung der Theatersituation und Findungskommission: "Dass kulturpolitische Weichenstellungen keine Frage der persönlichen Performance eines Verwaltungsfunktionärs sind, dürfte hinreichend bewiesen sein." Am Ende soll jedoch "ein gewählter Politiker die Verantwortung für eine Entscheidung übernehmen".

A Midsummer Night's Dream 004 - © Werner Kmetitsch
Als eine Art Traumakomödie erlebt SZ-Kritiker Helmut Mauró Benjamin Brittens "Sommernachtstraum" in der Inszenierung von Damiano Michietto im Theater an der Wien: "Das Fagott kichert in sich hinein, die Streicher spielen die Ahnungslosen, das Schlagwerk bewegt sich in exotischen Sphären, Regisseur Damiano Michieletto und Bühnenbildner Paolo Fantin verzaubern alle mit immer neuen Bildeinfällen: Die müssen ständig zwischen der zum Probensaal umfunktionierten Turnhalle und dem erotisch überreizten Raum eines von warmer Sommerluft durchzogenen Waldes hin und her wechseln. Nur dass die Verhältnisse diesmal umgekehrt sind. In der Turnhalle erwacht der sexuelle Frühling, im Wald ist alles nur Fantasie und Zauberei."

Besprochen werden außerdem Ayad Akhtars vergnüglicher Wirtschaftskrimi "Junk" am Münchner Residenztheater (SZ, FAZ), Katharina Kummers Adaption von Rudolf Thomes Film "Rote Sonne" im Theater Augsburg (Nachtkritik), Ingo Kerkhofs Inszenierung von Tschechows "Möwe" am Staatstheater Wiesbaden (FR), Francesca Caccinis "La liberazione di Ruggiero" in Wuppertal (FAZ), das Festival Neue Dramatik an der Berliner Schaubühne (SZ) und das Münchner Festival Radikal Jung (FR).
Archiv: Bühne

Musik

Kurioses über Bob Dylan hat SZ-Kritiker Kurt Kister nach dem Nürnberger Konzert des Meisters zu berichten: "Bob Dylan, das wissen Kundige, sind mehrere. Je älter die Dylans werden, desto mehr werden sie geworden sein. Unter jenen Dylans, die gerade wieder mal auf der Unendlichen Tour für ein paar Konzerte in Europa weilen, ist der Krächzevogel-Dylan, bei dem man (...) voller warmer Melancholie an jene unsterblichen Zeilen von Leonard Cohen denkt: 'I was born like this, I had no choice, I was born with the gift of a golden voice.'"

Weitere Artikel: Drangsal fehlt "die Queerness im deutschen Pop", sagt der Popmusiker im Tagesspiegel-Gespräch mit Nadine Lange. Für The Quietus wirft Miloš Hroch einen Blick in die Geschichte der tschechischen Hardcore-Punk-Fanzine-Szene. Auf Electronic Beats erinnert sich Finn Johannsen an zehn Stücke, die das Ostgut - den Vorläufer des Berghains - definierten.

Besprochen werden das neue Album "Fake" von Die Nerven (Tagesspiegel), ein Konzert des Deutschen Symphonie-Orchesters unter Robin Ticciati (Tagesspiegel), "Persepolis" von Iannis Xenakis (Skug), ein Liszt- und Brahms-Abend unter Iván Fischer (Tagesspiegel), ein Konzert des Cellisten Gautier Capuçon mit dem Orchestre de Chambre de Paris (FR) und erste Konzerte des "Intonations"-Festival im Jüdischen Museum in Berlin (Tagesspiegel).
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Literatur

Für die Berliner Zeitung hat sich Sacha Verna mit der Schriftstellerin Celeste Ng zum Gespräch unter anderem über Mütter und die US-Politik getroffen.

Besprochen werden Wojciech Czajas "Hektopolis" (Standard), Ernst Dronkes "Polizei-Geschichten" (taz), Emmanuelle Loyers Biografie über den Ethnologen Claude Lévi-Strauss (taz), Felix Philipp Ingolds Lyrikband "Niemals keine Nachtmusik" (Standard), Sarah Schmidts "Seht, was ich getan habe" (FR), Sorj Chalandons "Mein fremder Vater" (SZ), Jan Weilers "Kühn hat Ärger" (SZ) und Olivier Rolins "Meroe" (FAZ).
 
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Film


Scheu vor der Kamera abgelegt: Szene aus Clint Eastwoods "The 15:17 to Paris" (Bild: Warner)

Clint Eastwoods
"The 15:17 to Paris", der die Vereitelung eines Terroranschlags mit dessen Protagonisten nachstellt, ist nicht nur sehr verschämt vom Verleih ins Kino gebracht worden, sondern wurde teilweise heftig kritisiert. Doch Tobias Kniebe lässt nun in der SZ Gnade walten: Zwar hat er sich mordsmäßig gelangweilt, was vor allem an Eastwoods sklavischer Realitätsergebenheit liege, doch im Ganzen sieht er den Film als "grundsympathische Unternehmung". Denn: "Mit dem üblichen Kino der Überwältigung hat diese Versuchsanordnung jedenfalls nichts zu tun. ... Diese Helden spielen zwar sich selbst, aber sie produzieren sich nicht. Ihre Scheu vor der Kamera haben sie gerade so weit abgelegt, dass man ihnen ohne Qualen zuschauen kann, aber ihre Scheu vor jeder Art von Falschheit bleibt. "

Weitere Artikel: In der taz schreibt Tilman Baumgärtel über das wirtschaftlich bedrohte Berliner Videotheken-Filmarchiv Videodrom (mehr dazu hier). Für das ZeitMagazin spricht Ijoma Mangold mit der Schauspielerin Marie Bäumer über die Strapazen bei den Dreharbeiten zum Romy-Schneider-Film "3 Tage in Quiberon".

Besprochen werden David Gordon Greens "Stronger" über Jeff Bauman, der beim Bostoner Bombenanschlag 2013 seine Beine verlor (SZ), und eine dem Filmemacher und Filmemigrations-Forscher Günter Peter Straschek gewidmete Ausstellung im Museum Ludwig in Köln (FAZ).
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Architektur


Die Greencity in Zürich, ein Projekt der Stadt, Genossenschaft und Swiss Life. Foto: Greencity.

Den Anspruch, ein Quartier zu bauen, das den Menschen hilft, sich dem ökologischen Ziel der 2000-Watt-Gesellschaft anzunähern, wofür der durchschnittliche Energieverbrauch pro Kopf drastisch reduziert werden muss, findet Antja Stahl in der NZZ durchaus ehrbar. Als sie sich die Zürcher "Greencity" aber angeschaut hat, wollte sie sie am liebsten in "Greycity" umbenennen, so wenig ansprechend findet sie den Betonklotz. Und auch die Regulierung des Lebens innerhalb des Quartiers empfindet sie als beklemmend: "Das unbedingte Bestreben, den Energieverbrauch der Bewohner und Nutzer zu senken, hat nicht nur die Architektur in die Knie gezwungen. Damit sich Greencity auch nach dem Einzug von schätzungsweise 2000 Einwohnern in 731 Wohnungen noch '2000-Watt-Areal' nennen darf, wurden weitere Vorkehrungen getroffen, die die Mündigkeit des Individuums tatsächlich grundsätzlich infrage stellen. Es gibt bei einer Genossenschaft etwa 'mietvertragliche Verpflichtungen', die dem Bewohner vorschreiben, welche Haushaltsgeräte er benutzen soll und wie er seine Wohnung einzurichten hat."

Weiteres: Ganz und gar unzufrieden ist Falk Jaeger in der FAZ mit dem Umbau der Prager Straße in Dresden: "Die Stadt hat ihre Planungshoheit längst aufgegeben und ihre Zukunft den Kräften des Marktes überlassen." Dankwart Guratzsch verteidigt in der Welt die Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt gegen den Architekten Stephan Trüby, der sie kürzlich in der FAZ als revisionistischen Plan eines Rechtsradikalen geißelte.
Archiv: Architektur