Efeu - Die Kulturrundschau

Mit dem Gesicht zur Wand

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10.02.2015. Auf der Berlinale scheiden sich die Geister an Andreas Dresens Wettbewerbsbeitrag "Als wir träumten": Weltklassekino, ruft die FAZ. Putzig und possierlich, mault die taz. Der Tagesspiegel staunt über die Entvertrautmachung der Berliner Philharmoniker mit Sibelius. Die NZZ hebt ab mit Adam Zagajewskis Essayband "Die kleine Ewigkeit der Kunst".
9punkt - Die Debattenrundschau vom 10.02.2015 finden Sie hier

Film



Na bitte, geht doch, freut sich Anke Westphal in der Berliner Zeitung nach der Vorführung von "Als wir träumten", Andreas Dresens Verfilmung des Wenderomans von Clemens Meyer: ""Als wir träumten" ist eine große Überraschung. Früher hätte man Andreas Dresen mitunter schütteln mögen für seine so umfassende Menschenliebe, seinen grundehrlichen Humanismus. Auch in seinem neuen Film geht er einfühlsam um mit den Protagonisten, aber er muss ihre exzessive Bedenkenlosigkeit nicht teilen, kann ihre Wege auch aus einer gewissen Distanz heraus begleiten." Andreas Platthaus ruft in der FAZ: Dieser Film ist "Weltklassekino".

Weniger überzeugt sind in der Welt Elmar Krekeler: "Es ist alles prima gemacht. So wirkt es aber leider auch." Und in der taz Cristina Nord: "Irgend etwas scheint zu verhindern, dass (...) eine DDR im Kino auftaucht, die nicht putzig und possierlich wäre, ganz so, als verstellten "Good Bye, Lenin!" oder "Sonnenallee" nach wie vor den Blick." Wenke Husmann unterhält sich auf ZeitOnline mit Andreas Dresen über dessen Film.

Werner Herzog erklärt im Interview mit der Welt, warum T.E. Lawrence so viel bekannter ist als seine "Queen of the Desert", Gertrude Bell: "Erstens war sie eine Frau. Als sie unterwegs war, gab es nicht einmal ein Frauenstimmrecht, und die ersten weiblichen Studenten in Oxford mussten zum Teil mit dem Gesicht zur Wand gedreht in Vorlesungen sitzen, um die männlichen Studenten nicht aufreizend abzulenken. Zweitens war Lawrence ein medienwirksamer Selbstdarsteller, der sogar seinen eigenen Hofschreiber bei sich hatte. Und schließlich gab es den Film von David Lean."

Der chilenische Berlinale-Wettbewerbsfilm "El Club" von Pablo Larraín über einen Zirkel pädophiler Priester stößt Lukas Foerster (Perlentaucher) mächtig auf. Er hätte sich den Film "als überdrehte Farce" gut vorstellen können, bekam dann aber doch nur "Arthaus-Zynismus" kredenzt, "der die Sinne und das Denken einsperrt und sich selbst ein audiovisuelles Zölibat auferlegt." Weitere Besprechungen bringen Lukas Stern (critic.de) und Gunda Bartels (Tagesspiegel).

Anja Seeliger (Perlentaucher) führt ausführlich und vermittels vieler tolle Youtube-Ausschnitte durchs Programm der prächtigen Technicolor-Retrospektive. Ebenfalls im Perlentaucher stellt Thekla Dannenberg Filme der Native-Reihe über indigenes Kino aus Lateinamerika vor. Wenig abgewinnen kann sie dem Ökofeminismus in Malgorzata Szumowskas Wettbewerbsfilm "Body". Claudia Lenssen unterhält sich für die taz mit der Schauspielerin Amira Casar, die für Peter Kerns Panorama-Film "Der letzte Sommer der Reichen" vor der Kamera stand. Ralph Eue freut sich in der FAZ über die Aufführung der restaurierten Fassung von Marcel Ophüls monumentalem Dokumentarfilm "The Memory of Justice" (1976) über die Nürnberger Prozesse (hier eine historische Besprechung der New York Times).

Aus dem Berlinale-Wettbewerb besprochen werden weiterhin Patricio Guzmáns "El botón de nácar" (Perlentaucher) und Terrence Malicks "Knight of Cups" (Berliner Zeitung, Tagesspiegel). Weiteres zur Berlinale im Überblick: Alle weiteren heutigen taz-Texte zum Festival hier.Cargo schickt weiter munter SMS vom Festival. Stets einen schnellen Klick wert ist der mehrfach täglich aktualisierte Kritikerspiegel von critic.de. Vom Festival berichten online außerdem u.a. Filmgazette, Tagesspiegel, Berliner Zeitung, FAZ, SZ, Das Filter und kino-zeit.de. Und der Perlentaucher ist selbstverständlich ebenfalls vor Ort.

Abseits der Berlinale: Anlässlich des baldigen Kinostarts von "Fifty Shades of Grey" schreibt Marcus Stiglegger (epdFilm) über die Geschichte des Sadomasochismus im Film. In New York sah Julia Bähr (FAZ) Drohnenfilme.
Archiv: Film

Musik

Schon die schiere Leistung der Berliner Philharmoniker unter Simon Rattle, an drei aufeinander folgenden Abenden alle Sinfonien und Violinenkonzerte von Jean Sibelius aufzuführen, ringt Christiane Tewinkel (Tagesspiegel) Respekt ab. Künstlerisch hat sie zwar ihre Vorbehalte, auch wenn sie das alles schon sehr interessant findet. Rattle greife hier "noch einmal tief in die Spielkultur des Orchesters [ein]. Denn auch der Entvertrautmachung scheinen diese drei Abende zu dienen, der bewussten Selbstentfremdung von den gewohnten Fährten und Spieltechniken, die ein Ausflug in die bekannten Gefilde des anderen (des Alten, des Neuen) in dieser Effizienz eben nicht bieten kann."

Von der Grammy-Preisverleihung berichten Christian Bos (Berliner Zeitung), Gerrit Bartels (Tagesspiegel), Jennifer Beck (Spex) und Peter Richter (SZ). Und "Sensation" ruft Willi Winkler dazu in der SZ: Der große Schweiger Bob Dylan hatte fünf Tage vorher, beim jährlichen Treffen der Musiker-Hilfe MusiCares, tatsächlich eine mit einigen Spitzen versehene Rede gehalten (hier seine Rede).

Besprochen werden das neue Album von Father John Misty (Pitchfork), Heinz Strunks neues Album "Sie nannten ihn Dreirad" (taz), ein Bach-Konzert mit Ton Koopman beim Tonhalle-Orchester Zürich (NZZ) und ein Konzert des Deutschen Symphonie-Orchesters mit Werken von Witold Lutosmawski und Karol Szymanowski (Tagesspiegel).
Archiv: Musik

Kunst

Ein bisschen mulmig findet es Alexander Jürgs (Freitag) schon, wenn die Arbeiten der 2014 gewaltsam gestorbenen Kriegsfotografin Anja Niedringhaus zusehends unter den Bedingungen des Kunstbetriebs in Museen - aktuell in der Museum Pfalzgalerie in Kaiserslautern - rezipiert werden: "Eine "Ästhetisierung" ihrer Werke ist dabei quasi unausweichlich, die Verschiebung des Blicks weg vom historischen Ereignis, von den Inhalten, hin zur Komposition, zur Bildsprache."

Im Gespräch mit der Welt erklärt Florian Ebner seine Pläne für den deutschen Pavillon auf der Kunstbiennale in Venedig im Mai (in der SZ spricht Till Briegleb mit ihm). In der taz porträtiert Doris Akrap den Schriftsteller Robin Thiesmeyer, der sich als meta bene dem Zeichnen lakonischer Tiercartoons widmet. Simone Reber (Tagesspiegel) gratuliert Konrad Klapheck zum 80. Geburtstag.

Besprochen wird eine Ausstellung von Judy Linns Fotografien von Patti Smith im Haus am Kleistpark in Berlin (Berliner Zeitung).
Archiv: Kunst

Literatur

Andreas Breitenstein liest für die NZZ Adam Zagajewskis "Die kleine Ewigkeit der Kunst" und - hebt ab: "Nun, da man es in Händen hält, merkt man, wie sehr man sich nach einem solchen Buch gesehnt hat - einem Buch, das die Kunst ernst und das Leben heiter nimmt, das Tiefe mit Ironie, Überschwang mit Abgeklärtheit, Gelehrsamkeit mit Leichtigkeit, Abstraktion mit Anschauung und Essay mit Erzählung verbindet. Einem Buch, das glücklich macht und erhebt, weil es eine Schneise der Konzentration in den Nebel der Zerstreutheit schlägt, welche über allen hängt, die mit ihren Apparaten an den rasenden Stillstand der um den Globus jagenden Information angeschlossen sind. Es gibt eine andere, höhere Transzendenz als WLAN."

Besprochen werden u.a. der vierte Band von Heinrich August Winklers "Geschichte des Westens" (Berliner Zeitung), Mike Nicols "Bad Cop" (FR) und ein Buch über Mäzeninnen (NZZ).
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Bühne


Impertinent und doch entschlossen: "Seid nett zu Mr. Sloane" in Frankfurt. Bild: Birgit Hupfeld.

Jürgen Kruses
wie gewohnt wuselige Frankfurter Inszenierung von Joe Ortons "Seid nett zu Mr Sloane" verhält sich zur Vorlage beherzt respektlos, beobachtet Judith von Sternburg in der FR: "Die Übersetzung von Brigitte Landes wird zelebriert und massakriert zugleich, ein impertinenter, aber doch auch entschlossener Vorgang. Durch den eine Besserwisserei, eine Wichtigtuerei entsteht, die gezielt völlig ins Leere geht." Und wenn die eine Figur der anderen den nackten Hintern versohlt, wirke das nicht provokativ, sondern "müde, ein Theater von einst, das, wenn es jemals einen Sinn hatte, nichts mehr davon wissen will. Während die Darsteller total auf Draht sind."

Besprochen werden u.a. Placido Domingos Auftritt als Macbeth an der Staatsoper Berlin (Tagesspiegel), zwei von Peter Konwitschny in Heidelberg inszenierte Einakter von Johannes Harneit ("ein langer, verwirrender Abend", meint Gerhard R. Koch in der FAZ, während Hans-Klaus Jungheinrich dem Haus in der FR einen "gewaltigen Kraftakt" bescheinigt) und ein "Cyrano de Bergerac" am Theater Bern (NZZ).
Archiv: Bühne