Efeu - Die Kulturrundschau
Symbiose durch Konfrontation
Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
Bühne
Besprochen werden Sarah Kurzes Inszenierung von Nele Stuhlers Stück "Gaia googelt nicht" am Deutschen Theater Berlin (nachtkritik) und ein Tanz-"Crescendo" von Stephan Thoss in Mannheim (FR).
Film

Heute zeigt die Berlinale "Courage", Aliaksei Paluyans Dokumentarfilm über den belarussischen Protest gegen Lukaschenko - der Film beobachtet Optimismus, Ermattung und letztendlich auch die Depression des Widerstands, schreibt Sonja Zekri in der SZ. Viele Protagonisten des Films leben mittlerweile außer Landes, doch "die furchtlose Kamerafrau Tanya Haurylchyk noch nicht, was für Paluyan ein steter Grund zur Sorge ist. Dies und die Tatsache, dass seine Eltern in Minsk leben, macht den Start von 'Courage' im Berlinale Special zu einem zwar großartigen, aber eben auch hoch belasteten Ereignis. Dennoch habe er keine Wahl gehabt: 'In Minsk wurden viele Kollegen festgenommen, die ebenfalls gedreht haben, und ihr Material wurde konfisziert', sagt Paluyan: 'Wir haben Glück gehabt und konnten unseres retten. Es jetzt nicht zu zeigen, wäre Verrat.'"
Mehr von der Berlinale: In Monopol spricht Dominik Graf über seinen Wettbewerbsfilm "Fabian". Wenke Husmann bespricht auf ZeitOnline den Eröffnungsfilm, Kevin Macdonalds Politthriller "Der Mauretanier" mit Jodie Foster. Silvia Hallensleben wirft für den Freitag einen Blick in die vom Berlinale-Forum zusammengestellte Online-Reihe "Fiktionsbescheinigung" über filmische PoC-Perspektiven auf Deutschland.
Weitere Artikel: Thomas Abeltshauser spricht im Freitag mit der Filmemacherin Emma Seligman, deren (in der taz besprochenes) Debüt "Shiva Baby" gerade auf Mubi zu sehen ist. Die deutsche Filmbranche produziert trotz Corona munter weiter, weiß Christiane Peitz im Tagesspiegel. Maria Wiesner schreibt in der FAZ zum Tod der Schauspielerin Libuše Šafránková.
Besprochen werden die neue BluRay-Ausgabe von "Monty Python's Flying Circus" (Intellectures), eine Filmbiografie über Tina Turner (NZZ) und die Disney-Serie "Loki" (FR).
Kunst

Statt die Berliner Ausstellung "Diversity United" mitzueröffnen, hat der russische Präsident Putin lieber drei NGOs verboten, die an der Kuratierung der Schau mitgewirkt hatten. Schade, denkt sich Stefan Trinks in der FAZ. Jetzt wird die Ausstellung wohl nicht nach Russland reisen, obwohl sie dort bitter nötig wäre: "Doch selbst im seligen Berlin sind die fast lebensgroßen blutroten Aquarellfiguren 'Picket' der in Moskau geborenen und dort arbeitenden Ekaterina Muromtseva mit die stärksten Werke der Schau. Vor ihren mit Farbe zugelaufenen Leibern halten sie jeweils ein leeres weißes Transparent. Muromtseva begann die Arbeit als Plakat, dass sie nach der Verhaftung des Journalisten Iwan Golunow auf einer Demonstration tragen wollte. ... Nur ein Plakat vor dem Körper ist erlaubt, die oft in der unbarmherzigen Kälte stehenden Demonstrierenden wechseln sich über Tage hinweg ab. Automatisch beteiligen sich auch die umstehenden Betrachter im Hangar mit den Figuren an der stillen, bildmächtigen Demonstration gegen die russische Einschränkung von Freiheitsrechten."

Literatur
Außerdem: Cathrin Kahlweit erinnert in der SZ an H. C. Artmann, der vor 100 Jahren geboren wurde. Besprochen werden unter anderem der Comic "Monsters", an dem Barry Windsor-Smith 35 Jahre lang gearbeitet hat (Tagesspiegel), Karin Smirnoffs "Mein Bruder" (FR) und Christoph Heins "Guldenberg" (SZ).
Architektur
In Köln ist der Architekt Gottfried Böhm im gesegneten Alter von 101 Jahren gestorben. Böhm stand in Deutschland "wie kein zweiter für die Verbindung von Architektur und Kunst", schreibt Ulf Meyer im Tagesspiegel. In der FR würdigt Christian Thomas den Architekten: "Wuchtige Betonskulpturen ließ der Architekt bauen, pathetische Burgen säkularer Selbstdarstellung, theatralische Monumente des Sakralen. Und doch spürte er, immer wieder, sensibel der je besonderen Stimmung vor Ort nach - um das anmutige Idyll dann mit der Allgegenwart des Monumentalen zu konfrontieren. Das weite Feld einer Kulturlandschaft und bäuerlichen Sesshaftigkeit sah sich in Böhms sakraler Zeltarchitektur plötzlich Symbolen einer nomadischen Existenz gegenüber. Symbiose durch Konfrontation." Weitere Nachrufe schreiben Gottfried Knapp in der SZ, Dankwart Guratzsch in der Welt und Patrick Bahners in der FAZ.
Musik
Außerdem: Für die NMZ spricht Juan Martin Koch mit Gerald Fauth, dem neuen Rektor der Leipziger Hochschule für Musik "Felix Mendelssohn Bartholdy". Daniel Schieferdecker plaudert für ZeitOnline mit Noel Gallagher, der sich seine typische Bescheidenheit aus Oasis-Tagen bis heute bewahrt hat (alle seine Songs in den ersten Oasis-Jahren waren "groß und fantastisch", aber auch "grandios"). Anja-Rosa Thöming beugt sich für die FAZ über Hector Berlioz' 1844 erstmals veröffentlichte, 1855 erweiterte "Große Abhandlung der modernen Instrumentation und Orchestrierung". Vor 100 Jahren erfand Arnold Schönberg die Zwölftontechnik, erinnert Gerald Felber in der FAZ, und bedingte dadurch einen "nicht nur ästhetisch, sondern auch schaffenspsychologisch tiefgreifenden Paradigmenwechsel - gleichsam die Ersetzung des Geniekultes durch einen des Materials."
Besprochen wird "Metaphysics", das erstmals veröffentlichte zweite Album des mangels weiterer Aufnahmen mythenumrankten Jazzpianisten Hasaan Ibn Ali (taz).