30.06.2009 Erschlagen und gefesselt wie vom Dauerfernsehen fühlt sich die NZZ von Glyn Maxwells Reality-TV-Farce "Das Mädchen, das sterben sollte". Empfehlen kann sie auch Fabio Stassis Roman "Die letzte Partie" über die beiden Schachmeister Jose Raul Capablanca und Alexander Aljechin. Die SZ liest William Henry Hudsons Erinnerungen an seine Jugend in Argentinien "Fernab und vor langer Zeit", die FR lobt einen Band zur Bewältigung der Nazizeit.
29.06.2009 Die FAZ begibt sich mit Thomas Kapielski in den "Mischwald", nach Ganglöffsömmern und auf eine sozialhermeneutische Hebebühne. Außerdem lernt sie alles über Spiegelneurone und die von ihnen erzeugte Empathie. Die SZ liest interessiert eine Biografie des moralisch sehr anpassungsfähigen Reichskunstwarts und späteren Zeitungsgründers Edwin Redslob.
27.06.2009 Bewegt und begeistert ist die FR, wie Natascha Wodins in "Nachtgeschwister" von ihrer Liebe zu Wolfgang Hilbig erzählt: von einer amour fou aus Liebeswut und Entziehungskuren. Die FAZ liest mit Freude mal eine kapitalistische Erfolgsgeschichte: Monika Marons "Bitterfelder Bogen". Fasziniert ist sie auch von Thomas Stangls Romanlabyrinth ohne Hoffnung, aber mit Gespenstern "Was kommt". Die taz spürte bei der Lektüre von Rudolf Lorenzens "Bad Walden" polare Luftströme durchs Zimmer ziehen.
26.06.2009 Sehr intelligent, unaufgeregt und süffisant findet die FR, wie Eva Illouz' in "Die Errettung der modernen Seele" die durchpsychologisierte Gesellschaft analysiert. Wie großartig die Geschichte von Genie und Wahnsinn auch ganz ohne Psychologie erzählt werden kann, das beweist der FAZ Guillermo Martinez mit seinem Roman "Roderers Eröffnung".
25.06.2009 Die FAZ liest mit großer Begeisterung die Anthologie mit Filmgedichten "Die endlose Ausdehnung von Zelluloid". Die SZ ist erschüttert von der literarischen Wucht, mit der Arkadi Babtschenko von Russlands Krieg gegen Tschetschenien erzählt. Die NZZ betrachtet fasziniert Erwin Heerichs begehbare Skulpturen im Museum Insel Hombroich. Und diie Zeit erlebt mit John Wrays Roman "Retter der Welt" großes Leseglück und hält dem bösen Blick des Karl Heinz Bohrer stand (ihr heute erschienenes Literaturmagazin werten wir in den nächsten Tages aus).
24.06.2009 Ganz irritiert ist die FR von Monika Marons so positivem Buch "Bitterfelder Bogen", das erzählt, wie sich die einst schmutzigste Stadt Europas in ein Zentrum der Solarenergie verwandelt hat. Die NZZ rühmt Martin Kohans bedrückenden Roman "Zweimal Juni" über Fußball und Militärdiktatur in Argentinien. Die SZ preist den Auftakt von Jean-Michel Beuriots und Philippe Richelles zehnbändiger Comic-Saga "Unter dem Hakenkreuz".
23.06.2009 Aussteigen kam nicht in Frage: Die taz beendet erschöpft, aber glücklich Einar Schleefs monströses Textkonvolut der Tagebücher. Die NZZ reist mit Karl-Markus Gauß zu den Zimbern, Karaimen und zu den Assyrern nach Schweden. Außerdem stellt sie Damon Galguts südafrikanischen Roman "Der Betrüger" vor. Der FAZ gefällt Klaus Merz' Novelle "Der Argentiner".
22.06.2009 Die SZ liest schaudernd bei
Thomas Bohn, wie
Minsk die
Musterstadt des Sozialismus wurde. Die FAZ feiert
Mircea Cartarescus Erzählungen "Nostalgia" als
Weltpanoptikum mit Bodenhaftung (hier eine
Leseprobe). Von
Helmut Obsts "Reinkarnation" lernt sie alles über
herumstreunende Seelen.
20.06.2009 Mit Faszination folgt die
taz dem Wuchern der Phantastik und ihrer Implosion in
Mircea Cartarescus Erzählungsband "Nostalgia" (Leseprobe
hier) über das Rumänen
Ceaucescus. Die
FAZ empfiehlt
David Chariandys Roman "Der karibische Dämon" über die Demenz seiner Mutter als Pendant zu Tilman Jens' Buch über seinen Vater
Walter Jens. Die
SZ fährt mit
J. M. G. Le Clezio in die Südsee. Die
NZZ empfiehlt
Wilhelm von Sternburgs Joseph-Roth-Bio (Leseprobe
hier).
19.06.2009 Die FR liest erschüttert bei Louis Begley nach, welch frappierende Ähnlichkeiten der Fall Dreyfus und der hundertfache Fall Guantanamo haben. Die SZ folgt gebannt den perfekten Dialogen in Steven Blooms Brooklyn-Roman "Stellt mir eine Frage". Die FAZ preist Pawel Huelles aufregenden Roman "Das letzte Abendmahl", in dem Kunst und Klerus gleichermaßen ihr Fett weg bekommen.
18.06.2009 Die Zeit liest fasziniert, wie Natascha Wodin in "Nachtgeschwister" Wolfgang Hilbigs verzehrende Künstlerwildheit wiederaufleben lässt. Auch Mahmud Doulatabadis Iran-Epos und Buch der Stunde "Der Colonel" lobt sie sehr. Die FR freut sich diebisch über die hinterhältige Ironie in Mohammed Hanifs Pakistan-Roman "Eine Kiste explodierender Mangos". Die FAZ lernt von Amelie Nothomb die Kunst der Unersättlichkeit. Und die NZZ springt mit Oleg Jurjew in die hohe Buchstaben- und Schlagersee.
17.06.2009 Als erschütterndes Werk preist die FAZ
Mahmud Doulatabadis Roman "Der Colonel", der bis heute nicht im Iran erscheinen durfte. Er erzählt von einem Militär, dessen fünf Kinder alle der
islamischen Revolution zum Opfer fallen (hier eine
Leseprobe). Ehrfuchtsvoll annonciert die NZZ ein neues Werk "
des Meisters":
Antonio Lobo Antunes' Roman "Gestern in Babylon hab ich dich nicht gesehen". Die taz empfiehlt noch einmal
Rawi Hages Roman "Als ob es kein Morgen gäbe".
16.06.2009 Als
Meisterwerk preist die NZZ
Vladimir Zarevs großen Roman "Familienbrand": Er erzählt von einer
fluchbeladenen Familie im
Bulgarien des frühen 20. Jahrhundert (hier eine
Leseprobe). Gut gefallen hat ihr auch
Dag Solstads Roman "Armand V.". Magdalena Tulli macht das
literarische Chaos perfekt!, freut sich die FAZ über ihren Antiroman "Getriebe" (hier noch eine
Leseprobe). Die SZ lässt sich von
Marianne Hoppe Märchen erzählen.
15.06.2009 Eine helle Freude sind für die FAZ die fantastisch-drastischen Liebeskollisionen in Noemi Kiss' Erzählungen "Was geschah, während wir schliefen". Die SZ blickt in die Zukunft mit Daniel Glattauers recht unfleischlichem Liebesroman "Alle sieben Wellen". Außerdem freut sie sich über eine Studienausgabe von Moses Mendelssohn.
13.06.2009 Die taz liest Michael Ebmeyers Roman "Der Neuling" über einen geschiedenen Logistiker, der sich auf einer Dienstreise nach Sibirien von einer Sängerin verzaubern lässt. Die NZZ würdigt Ben Kiernans Studie über Völkermord und Vernichtung seit der Antike als großen Wurf. Die FR studiert Habermas. Die FAZ empfiehlt neue Bücher von Mark Sarvas und Colm Toibin.
12.06.2009 Die NZZ jubelt über den ethisch sehr fragwürdigen Comic "Affentheater" des französischen Newcomer-Duos Jerome Mulot und Florent Ruppert. Die SZ staunt über die Intensität von Jiro Taniguchis Manga fast ohne Worte "Der spazierende Mann". Europas Pazifisten empfiehlt sie Martin van Crevelds mitleidlose Untersuchung "Gesichter des Krieges".
11.06.2009 Als eines der frischesten Bücher der Saison feiert die NZZ Arno Camenischs Roman "Sez Ner", der auf Romanisch und Deutsch vom Leben auf der Alp am Fuße des Piz Sezner erzählt. Besprochen werden auch zwei bewegende Dokumente jüdischer Verfolgung: Ana Novac' Aufzeichnungen "Die schönen Tage meiner Jugend" und Helene Berrs "Pariser Tagebuch".
10.06.2009 Hymnisch preist die Zeit A.J. Lieblings Box-Reportagen "Die artige Kunst" und erkennt in ihnen den Moment, da der Journalismus zur Literatur wurde. Julia Franck dekretiert zu Nadia Buddes Comic übers Kindsein "Such dir was aus, aber beeil dich!": Der gehört gelesen! Die SZ empfiehlt mit viel Sympathie Ursula Priess' Buch über ihren Vater Max Frisch "Sturz durch alle Spiegel". Und die NZZ reist begeistert mit Thomas Kapielski nach Twülpstedt, Monschau und Mosebolle.
09.06.2009 Großes Leseglück hat Roland E. Koch mit "Ich dachte an die vielen Morde" der taz beschert: ein Roman wie ein Petzold-Film, freut sie sich. Die FR liest mit angehaltenem Atem Szilard Rubins wiederentdeckte Geschichte einer amour fou im kommunistischen Ungarn "Kurze Geschichte von der ewigen Liebe". Die NZZ geht völlig d'accord mit Gerhard Neuweilers antidarwinistischer Streitschrift: "Und wir sind es doch: Die Krone der Evolution". Die SZ überkommt mit William T. Vollmann der "Hobo Blues".
08.06.2009 Die FAZ ist ganz außer sich vor Freude über Hans Pleschinskis todernsten, heiteren Roman "Ludwigshöhe", in dem drei Geschwister eine Art Zauberberg für Lebensmüde gründen. Die SZ hält es für möglich, dass Mathias Rohe mehr über islamisches Recht weiß als so mancher Islamgelehrte. Geert Maks Bild der Niederlande ist ihr allerdings zu zeitgenössisch.
06.06.2009 Ganz norddeutsch zumute wird der FAZ bei der Lektüre von Jan Christophersens Roman "Schneetage". Rasante Temperaturwechsel bescheren ihr dann die Gedichte von Robert Schindel, die unter dem schönen Titel "Mein mausklickendes Saeculum" erschienen sind. Die NZZ ist beeindruckt von Najem Walis "Reise in das Herz des Feindes". Die SZ liest ein interessantes Fußball-Geschichtsbuch über "Hertha unterm Hakenkreuz". Die taz verliebt sich in Wimbledon Green, den größten Comicsammler der Welt.
05.06.2009 In "Das verspeiste Buch" erzählt Franz Hohler, wie der Ururgroßvater einst ein aufgebrühtes Kochboch mit Schüblig serviert bekam, es aß und so Italienisch lernte - die SZ hat ihre helle Freude an der Erzählung. Als Ereignis feiert sie auch die Briefe Alma Mahlers an Alban Berg "Immer wieder werden mich thätige Geister verlocken" und stellt außerdem zwei Stapel Kinder- und Jugendbücher vor. Die FAZ liest mit strengem Blick Boris Pahors slowenisch-italienische Geschichte "Piazza Oberdan".
04.06.2009 Sehr unter die Haut gegangen ist der Zeit Kathrin Schmidts Roman "Du stirbst nicht", in dem Schmidt davon erzählt, wie sie nach einem Gehirnschlag Gedächtnis und Sprache verloren hatte. Empfehlen kann die Zeit auch die Sozialreportage "Deutschland dritter Klasse". Die FAZ kürt Mirko Bonne für seinen Roman "Wie wir verschwinden" zum französischsten der deutschen Autoren. Die NZZ entdeckt Gernot Wolfgruber wieder. Die SZ verfällt Peter Esterhazy, vor allem aber seiner Mutter.
03.06.2009 Die SZ ist ganz hingerissen von Joaquim Machados hundert Jahre altem Roman "Tagebuch des Abschieds" und dem vollendeten Taktgefühl des Brasilianers. Die FAZ liest fasziniert "Die Tochter des Schattenspielers" von Atatürks einstiger Weggefährtin Halide Edip Adivar. Und die NZZ ist begeistert von Nadja Buddes grafischem Jugendroman "Such dir was aus, aber beeil dich!"
02.06.2009 Dieses
humanistische Pathos ist echt!, ruft die FAZ begeistert über
Wassili Grossmans aufregende Innenansichten der sowjetischen Gesellschaft "Tiergarten". Die NZZ liest beklommen
Mahmud Doulatabadis Roman "Der Colonel" (Leseprobe
hier). Die SZ ist fasziniert von
Mirko Bonnes Roman über Freundschaft, Geschwindigkeit und
Albert Camus "Wie wir verschwinden".