Mord und Ratschlag

Schwarzer Gürtel in Charme

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
22.09.2014. Die grandiose Liza Cody meldet sich mit "Lady Bag" zurück und lässt eine verrückte alte Obdachlose gegen Ritter, Tod und Teufel antreten. Declan Burke erledigt in seinem Metakrimi "Absolut Zero Cool" einen schrecklich schlechten Schriftsteller mit morbiden Metaphern.
Ein neuer Roman von Liza Cody ist immer ein Ereignis. Die Britin, die nur einer kleinen, aber ergebenen Leserschaft bekannt ist, legt ihre Bücher in ausgesprochen wohldosierter Form vor. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb gehört sie den besten Krimiautorinnen überhaupt. Dass ihre Romane so kostbar sind, liegt auch daran, dass Cody einem absolut nichts schenkt: Sie ist eine Meisterin darin, ihrem Mittelschichtspublikum die schrägsten Außenseiter als Hauptfiguren aufzutischen. Mit ihrer Serie um Anna Lee führte sie in den achtziger Jahren die erste Privatdetektivin auf den britischen Inseln ein, zehn Jahre später ließ sie die Catcherin Eva Wylie ermitteln, eine grandiose Proletarierin, ein Koloss von einer Frau mit einem Herzen aus Gold und einem etwas verkrampften Verhältnis zu Männern. In "Gimme More" durfte die abgebrühte, aber loyale Witwe eines Megarockstars der Musikindustrie das lukrative Jubiläumsgeschäft verhageln. Trotzdem lagen ihr alle zu Füßen, denn sie hatte einen "schwarzen Gürtel in Charme".

Mit "Lady Bag" hat sich Liza Cody selbst übertroffen und eine Obdachlose zur Ich-Erzählerin gemacht, genauer gesagt: eine irre alte Schachtel, die mit ihrem Greyhound durch die Straßen zieht, in Selbstgesprächen mit dem Teufel streitet und am liebsten roten Fusel pichelt. Also genau so eine Pennerin, die man schnell wieder aus dem Kopf haben will, nachdem man ihr ein Bier spendiert hat. Lieber liest man von Serienmördern und Psychopathen, als von dem Elend, das einem so nahe kommt. Aber bei Liza Cody muss man einfach sagen: Ein Roman über eine irre Alte? Nur her damit! Spätestens nach eineinhalb Seiten ist man dieser verrückten Fledermaus so verfallen, dass man sich am liebsten mit einem Liter algerischen Rotwein zu ihr setzten möchte.

Denn diese Bag Lady, diese Jammergestalt mit Tüten, ist zwar gestört, aber nicht dumm. Sie hat kein Geld, keine Zähne, keine Peilung, aber sie hat große Klasse. Sie ist Lady Bag und ihre Geschichte ist zum Heulen und umwerfend komisch und überhaupt einer der aufregendsten und wundervollsten Romane des Jahres.

Bevor Lady Bag die bekloppte Olle ohne Namen wurde, war sie Angela May Sutherland, Angestellte einer Bausparkasse mit eigenem Haus und besten Aufstiegschancen. Leider war sie auch ein etwas einsames Herz, was ein Gigolo namens Gram Attwood auf besonders schäbige Weise ausnutzte. Erst brachte er sie auf krumme Gedanken, dann in den Knast und schließlich um ihr Geld und den Verstand. Nach ihrer Entlassung spielten ihr auch die Behörden übel mit, bis sie die Märsche zwischen Behelfsunterkunft, Arbeits- und Sozialamt leid war: "Wenn du es keine Sekunde länger aushalten kannst, gehst du, und damit machst du dich "freiwillig obdachlos". Und wisst ihr was? Es ist eine Erlösung. Du bist ganz unten angekommen. Es gibt kein weiteres Fallen."

So tingelt Lady Bag mit ihrer arthritischen Hündin Elektra durch das trubelige Westend, bis sie eines Abends dem Leibhaftigen begegnet, Gram Attwood, der schon wieder versucht, eine Frau um ihr Hab und Gut zu bringen. Lady Bag reißt ihre Kraft zusammen, macht sich auf nach Kensington, um die Frau zu warnen. Doch vergebens. Die Frau wird ermordet, ihr Haus von zwei Pennern ausgeraubt, und Lady Bag bis zur Unkenntlichkeit zusammengeschlagen - zu "Rote-Beete-Püree". Als sie im Krankenhaus zu sich kommt, ist sie Natalie Munroe, ausgewiesen durch eine Louis-Vuitton-Tasche, die ihr die Sanitäter irrtümlich mitgegeben haben.

Während sie sich auf die Suche nach dem Teufel macht, schart sich eine halbe Lumpenarmee aus Gestörten und Versehrten, Irren und Süchtigen um sie. Gemeinsam ziehen sie durch London oder lassen sich von Immobilienhaien in leerstehende Sozialwohnungen einquartieren, um die anderen Mieter aus dem Haus zu ekeln. Sie prügeln sich, beklauen sich und retten sich das Leben. In der Gosse muss man es nehmen, wie es kommt: "Wenn wir Geld haben, essen und trinken wir. Wir horten kein Geld für schlechte Tage, weil alle Tage schlecht sind." Ohne jede Larmoyanz oder Verklärung, dafür mit grimmigem Witz und heiterer Warmherzigkeit erzählt Cody die Geschichte dieser komischen Alten, und Else Laudan hat sie stilsicher und wortgewandt in ein kraftvolles, nie aggressives Deutsch übertragen. Und hin und wieder springen sogar für Lady Bag ein paar schöne Momente raus: Wenn die Gemeinheit gerade mal in die andere Richtung guckt, dann fühlt sie sich "richtig herrlich".

Liza Cody: Lady Bag. Roman. Aus dem Englischen von Else Laudan. Argument Verlag, Hamburg 2014, 200 Seiten, 17 Euro ()

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Auch die zweite Sensation dieses Krimiherbstes kommt aus Hamburg und von einem unabhängigen Verlag: "Absolute Zero Cool" von Declan Burke. Der Name ist hierzulande noch gänzlich unbekannt, doch in Irland ist Burke als Journalist, Schriftsteller und Autor des Blogs Crime Always Pays so beliebt wie erfolgreich. "Absolute Zero Cool" ist ein unverschämtes Ding von einem Roman, witzig, clever, voller Tempo, unglaublich spannend - und wahnsinnig ausgefeilte Metafiktion. Richtiges Studentenfutter, könnte man meinen, aber Burke nimmt mit diesem Roman nicht nur den Kriminalroman, den Literaturbetrieb und die Intelligenzija aufs Korn, sondern auch gleich noch Autoren, die mit solchen Büchern ihre locker-flockige Überlegenheit unter Beweis stellen wollen, und nicht zu vergessen die Leser, die sich gern von intellektuellen Spielereien beeindrucken lassen.

Der Ausgang der vertrackten Geschichte ist noch einigermaßen klar nachzuerzählen: Vor dem Bett eines verkrachten Autors taucht auf einmal eine schmierige Gestalt auf: "Zu gut angezogen, um etwas anderes zu sein als ein Anwalt oder ein Zuhälter. Er liest sehr aufmerksam, also ist er wohl eher ein Zuhälter, denn Anwälte sind heutzutage eher damit beschäftigt, Romane zu schreiben, anstatt sie zu lesen." Es ist jedoch Billy Karlsson, die Hauptfigur eines nie fertig gestellten Manuskripts. Um aus dem literarischen Limbus befreit zu werden, möchte Billy Karlsson zu Ende geschrieben und veröffentlicht werden, hätte aber noch einige Änderungswünsche, weil er in der ursprünglichen Fassung nicht gut genug wegkommt. In der ersten Romanversion arbeitete Billy als Aushilfe in einem Krankenhaus, und fühlte sich - eher aus seinem übersteigerten Ego heraus denn aus Mitgefühl - berufen, todkranke Patienten von ihrem Leid zu befreien.

Der Erzähler lässt sich auf das Spiel ein, er glaubt, die seltsame Type an seinem Bett sei von seinem Agenten geschickt. Während der Autor seiner Fantasiegestalt zu erklären versucht, dass die Morde nur Ausdruck seiner Depression gewesen seien, die Alten stünden für die kranken Gedanken, die er hätte ausmerzen wollen, hält Billy dagegen: Der Roman brauche mehr Feuer, müsse viel radikaler werden, es gehe hier doch um die Bestimmung des Menschen und um seine Freiheit. Und wenn das Krankenhaus nicht unter der Last der Metaphern zusammenbreche, müsse es in die Luft gejagt werden. Um zu zeigen, wie gefährdet Krankenhäuser sind? Oder um den Inbegriff einer Zivilisation der Schwachen und Kranken zu zerstören? Von den Spartanern lernen! Krankenhäuser zu Schlachthöfen!

Aber wie aus dieser morbiden Schwadronage einen Plot entwickeln? Zusammen machen sich die beiden an die Arbeit, wobei Billy von Kapitel zu Kapitel impertinenter wird ("Er ist die Prinzessin, ich bin die Erbse"). Zunächst schreibt er sich selbst um, dann aber auch den Autor ("Mein Haus, meine Regeln!"), bis niemand mehr weiß, wer wen aus welchem Gedanken heraus geschaffen hat. Dann ist der Nullpunkt der Literatur erreicht, "Absolute Zero Cool", oder war es doch der Ground Zero des Poststrukturalismus? Natürlich lässt Burke wissen, was er literaturtheoretisch alles drauf hat, aber für das Funktionieren des Romans spielt es keine Rolle. Denn der wird vorangetrieben durch das Doppelspiel aus einem kraftlosen Autor und einer mörderischen Nervensäge mit nur allmählich wachsendem Stilgefühl. (Bewunderswert, was Robert Brack hier übersetzerisch geleistet hat!) Mögliches Ende einer solchen Partie: Der Übeltäter wird durch ein Übermaß an Klischees und Aphorismen hingerichtet und der Autor ausradiert. Fragt Ionesco: "Wenn Gott existiert, wozu dann Literatur? Und wenn er nicht existiert, wozu dann Literatur?"

Declan Burke: Absolute Zero Cool. Kriminalroman. Edition Nautilus, Hamburg 2014, 316 Seiten, 18 Euro