Mord und Ratschlag

Friede seinem Knackarsch

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
17.12.2013. In Garry Dishers Hardboiled-Roman "Dirty Old Town" erlaubt sich Profigangster Wyatt ausgerechnet bei einem Juwelenraub Sentimentalitäten. Martin Cruz Smith schickt in "Tatjana" seinen Moskauer Ermittler Arkadi Renko nach Kaliningrad, um den Tod einer Journalistin aufzuklären.
Wyatt ist in die Jahre gekommen. Der Freibeuter, der immer ein Ausbund an Nervenstärke, Effizienz und Selbstbeherrschung war, hat an Schnelligkeit und Scharfsinn eingebüßt, bei seinen Raubzügen springt immer weniger Geld heraus, die alten Freunde sind tot oder sitzen im Knast, und in Zeiten des elektronischen Geldflusses ist er mit seiner Vorliebe für "Geld, Juwelen und Gemälde" technologisch abgehängt. Und dann erlaubt er sich auch noch Sentimentalitäten. Es wird Zeit auszusteigen.

Die Chance auf den großen und letzten Coup eröffnen dem müden Gangster der Kleinganove Eddie Oberin und dessen Ex-Frau Lydia, die es auf die Juwelen der Brüder Henri und Joe Furneaux abgesehen haben. Von Frankston aus, einem echten Drecksnest bei Melbourne, versorgen die Brüder Fourneaux halb Australien mit dem Schmuck, der ihnen von ihrem Cousin Alain Le Page aus Frankreich geliefert wird. Le Page ist kein ganz astreiner Kurier, sondern ein in den Straßen von Marseille gestählter Gangster, ein ebenbürtiger Gegner für Wyatt: intelligent, geschmeidig und mitleidlos, Typ "eiskalter Engel". Und dieses Mal hat Le Page nicht einmal Juwelen dabei, sondern den immer noch erklecklichen Rest der Beute, die er beim Überfall auf einen Boten der altehrwürdigen Londoner Bank Gwynn's ergattert hat und nun am anderen Ende der Welt losschlagen will: Schatzbriefe der Bank von England im Wert von 25 Millionen Pfund. Inhaberobligationen.

Doch so unerwartet die reiche Beute für alle Beteiligten kommt, fataler ist, dass Eddies neue Freundin Khandi lieber doch nicht teilen möchte. Khandi, die so hysterische wie brutale Ex-Hure, schießt Wyatt und Lydia kurzerhand nieder und eröffnet damit eine mörderische Jagd nach den 25 Millionen. Schön unbarmherzig und lakonisch zeichnet Disher eine Welt, in der jeder seinen Teil vom großen Kuchen abhaben will. Je geringer die Chancen, umso größer die Gier. Je schlechter der Start, umso größer das Konkurrenzdenken. Wenn jemand auf der Strecke bleibt, gibt es nur ein kurzes Gebet: "Friede seinem Knackarsch!". Wo nicht absolute Gnadenlosigkeit herrscht, regiert das Kalkül: Wozu viele Worte machen? "Es ging um Rache, aber mit Leidenschaft hatte das nichts zu tun." Aber auch Disher schenkt seinen Figuren wenig: Nicht einmal ein einziges Wertpapier lässt er für die abgekämpfte Polizistin springen! Dem verliebten Wyatt gönnt er nicht einmal gute Gefühle. Das ist beste Hardboiled-Ware aus Australien, und von Ango Laina und Angelika Müller auch schön lakonisch und sehr lustig übersetzt. Natürlich hat auch wieder der Hamburger Künstler 4000 das Cover verantwortet.

Gegen die gnadenlose Welt der Outlaws schneidet Disher die anderen Drecksnester dieser Welt, oder vielmehr streift er sie nur mit einem kurzen gelangweilten Blick: In der Londoner City leisten es sich die Herren von Gwynn', vornehm und unvorsichtig zu sein. Im Ernstfall sind sie, immerhin seit 1785 durch königliches Privileg im Geschäft, jedem russischen Profikiller an Kaltblütigkeit überlegen. Die schraddelig-tristen Einkaufspassagen von Frankston beweisen, dass Kommerz kein Zeichen von Wohlstand ist, sondern von Hoffnungslosigkeit. Noch schlimmer zeichnet Disher die Szenerie im neuen Mittelklasse-Viertel von Frankston, wo aufstrebende Akademiker auf ihren Fahrrädern zur Arbeit, zum Markt und dann zum Kurs für Vermögensbildung fahren. Das kann man nicht einmal mehr abscheulich finden, sondern einfach nur öde.

Garry Disher: Dirty Old Town. Roman. Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller. Pulp Master, Berlin 2013, 328 Seiten, 13,80 Euro ().

***

Arkadi Renko ist einer der zähesten Ermittler der Kriminalliteratur. 1981 führte der Amerikaner Martin Cruz Smith seinen russischen Helden mit dem berühmten "Gorki Park" ein, um dem Schmuggel von Zobel ein Ende zu bereiten; seitdem behauptet sich Renko als leitender Ermittler bei der Moskauer Polizei gegen das Verbrechen und die Macht, gegen ängstliche Vorgesetzte und den herrischen Kreml. Er hat die sowjetischen Apparatschiks unter Breschnew überlebt, die Kämpfe der Mafia unter Jelzin, Putins grausame Kriege in Tschetschenien und alle Arten von nationalbolschewistischen Schlägertrupps. Durch einen Kopfschuss wurde sein Schädel schwer verletzt, das Herz brachen ihm gleich mehrere freiheitsliebende Frauen. Doch zum Zyniker ist er darüber nicht geworden, vor jeglichem Hang zur Selbstzerstörung haben ihn seine Eltern gefeit: Der Vater, ein hoher General der Roten Armee, hat sich im Wahn erschossen, seine Mutter hat sich, mit Steinen beschwert, in einem See ertränkt. In seiner Sanftmütigkeit hat Arkadi sogar noch einen Jungen von der Straße adoptiert, der mit seinem Schachgenie den Menschen das Geld aus der Tasche zieht.

In seinem achten Fall verfolgt Arkadi Renko den Tod der kritischen Journalistin Tatjana Petrowna, die sich - jede Ähnlichkeit mit der ermordeten Anna Politkowskaja ist beabsichtigt - vor allem mit korrupten Militärs, den Verbrechen in Tschetschenien und mafiösen Strukturen in der Moskauer Politik beschäftigte. Offiziell wird ihr Sturz aus dem Fenster als Selbstmord ("wahrscheinlich aus Gründen der Publicity") verbucht und ihre Leiche für unauffindbar erklärt. Der kleine Demonstrationszug, der sich im Anschluss an eine Trauerfeier bildete, muss sich von Neonazis überfallen und von der Polizei niedergeknüppeln lassen. Doch auch der Tod eines Schweizer Dolmetschers auf der kurischen Nehrung bleibt unaufgeklärt. Der tote Oligarch, der im Handel mit Waffen, Drogen und Frauen reich wurde, wird dagegen mit einem pompösen Begräbnis von Russlands Elite betrauert. Willkommen in Putins Russland.

Natürlich hat sich Tatjana Petrowna nicht umgebracht, ihre letzte Recherche führte sie - und deshalb jetzt auch Arkadi Renko - in das heruntergekommene Kaliningrad, wo die Brutalität der sowjetischen Macht in Beton gegossen wurde. Nur mit Galgenhumor können die Menschen die Hässlichkeit der Stadt ertragen, die Stalin auf den Ruinen des zerbombten Königsberg errichten ließ. Mit grimmigem Stolz erklären sie, die sich selbst "Königs" nennen, dass in Kaliningrad das hässlichste Gebäude westlich des Urals steht: Das Haus der Sowjets. "Die Bevölkerung nennt es 'Das Monster'. Oder auch 'Rache der Preußen'." Hier liefern sich Russlands Mafia-Bosse nicht nur einen zähen Krieg um den Bernstein, sondern auch um das Erbe des toten Oligarchen, vor allem aber um die lukrativen Aufträge aus dem Verteidigungsministerium. Die Frage, die sich Arkadi stellt, ist also, was Tatjana hierzu herausgefunden hatte: "Wessen Ochse wurde gestoßen?"

Martin Cruz Smith hat in diesem achten Arkadi-Renko-Roman seinen Stil aufs Äußerste reduziert. Nur noch skizzenhaft zeichnet er Situationen und Figuren. Vieles gerät ihm dabei zu fahrig, undurchdacht und unglaubwürdig. Dann mutieren die Notizen des toten Dolmetschers zu einem schlichten Bilderrätsel. Doch in seinen starken Passagen schreibt er mit einer Nüchternheit, die einen ganz schön schlucken lässt. Dann erscheinen seine Figuren so scharf konturiert wie mit der Kaltnadel geritzt: Der Rapper Abdul, dessen Tschetschenen-Chic einen Hang zu Porsches und Panzern verrät und der in seinen Hits singt: "Ihr sagt, ich wüsste nicht, wen ich schlagen soll. Ich sage, schlagt sie alle." Der Dichterfürst Maxim Zil, der mit seiner Geliebten auch jede poetische Kraft verloren hat. Und natürlich Arkadi Renko, der sich wieder einmal unglücklich verliebt, dennoch unermüdlich den Kampf gegen Dummheit und Verrohung führt und von einem leicht depressiven Historiker lernt: "In einem normalen Land schreitet Geschichte voran, entwickelt sich. Aber in Russland kann sie in jeder Richtung verlaufen oder vollkommen verschwinden."

Martin Cruz Smith: Tatjana. Roman. Aus dem Amerikanischen von Susanne Aeckerle. Bertelsmann Verlag, München 2013, 315 Seiten, 14,99 ()