Mord und Ratschlag

Da gehen wir konträr

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
24.06.2019. In Franzobels Groschen-Roman "Rechtswalzer" arbeiten der Untergrutzenbacher Provinzadel und Wiener Politkarrieristen am Ausverkauf der Alpenrepublik. In Johannes Groschupfs Roman "Berlin Prepper" treiben Hasstiraden und Gewaltfantasien einen vereinsamten Content Moderator in die Arme der Reichsbürger.
CoverBeinahe wäre Franzobels "Rechtswalzer" als ein typischer Groschen-Roman durchgerutscht, bei dem der Wiener Autor mit jeder Menge Schmäh und östereichischem Lokalkolorit die Untiefen eines Landes durchstreift, dessen höfisches Staatswesen verlässlich die geschmeidigsten Opportunisten und abgefeimtesten Karrieristen hervorbringt. Doch die Ibiza-Affäre des Hans-Christian Strache, der in einer kokserfüllten Nacht bereit war, die Republik an die nächstbeste Oligarchin zu verscherbeln, zeigt, dass einige von Franzobels wild abgefeuerten Pointen durchaus ins Schwarze treffen.

"Rechtswalzer" spielt im Jahr 2024. Die türkis-blaue Regierung ist von der noch populistischerem Bewegung LIMES abgelöst worden, der neuen Partei für Sicherheit, Wohlstand und wahren Sozialismus. LIMES hat ein neues nationales Glaubensbekenntnis erlassen und die Herabsetzung staatlicher Symbole unter Strafe gestellt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung in Amt des Glaubens umbenannt, das Finanzministerium in Ministerium für Wohlstand. Es gibt auch das Ministerium für Liebe und eines für Glück. Aber es nicht alles schlecht! Es gibt Steuererleichterungen, höhere Pensionen, billigeres Benzin.

In dieser Republik gehört Malte Dinger zu den Guten und seit Kurzem auch auch zu den Erfolgreichen. Er ist für Menschlichkeit, Umweltschutz und Toleranz, äußerlich "ein Oskar-Werner-Typ", liebender Vater eines kleinen Sohns und stolzer Betreiber eines angesagten Comptoirs. Mit dem Dingers hat er voll auf das Gin-Ding gesetzt, bei ihm gibt's keinen Gordon, sondern Persian Peach, White Rain, Edinburgh Christmas Gin. Der Ernst des Lebens bricht über ihn herein, als er beim Schwarzfahren erwischt wird. Nach einer Verkettung unglücklicher Umstände, bei der er schließlich einem Polizisten einen Zahn ausschlägt, landet Malte Dinger im Gefängnis: "Widerftand gegen die Ftaatfgewalt. Daf wird teuer, Freundchen." Die Justizvollzugsanstalt Josefstadt ist fest in der Hand von fiesen Nazis und brutalen Georgiern, die ihre Mitgefangenen übelst terrorisieren. Immerhin kann sich Malte Dinger die Zelle mit dem berüchtigten Lobbyisten Godehard Persenbeug teilen, dessen bevorstehende Aussage die halbe Republik fürchtet.

In einem zweiten Strang lässt Franzobel seinen bewährten Falt Groschen ermitteln, der eigentlich Gruppensinpektor ist, aber den Fernsehzuschauern zuliebe Kommissar genannt wird. In einem S/M-Studio in der Strozzigasse wird ein Mann tot aufgefunden, dem siedend heißes Wasser in den Darm gejagt wurde. Der Mordfall führt den Kommissar Groschen nach Untergrutzenbach, aus der die Familie Hauenstein ihren Wohlstand saugt. Der Tote war der Geliebte der Clanchefin, ein Gigolo und Mitglied der balkanischen Witwentröster-Mafia. Die Hauensteins dagegen sind echter Provinzgeldadel: gemein, vulgär, kaltherzig. Der Dame Hauenstein ist nicht nur der Geliebte abhanden gekommen, sondern auch das Gold, das im Keller lagerte. Der Gemeindesekretär wird in Untergrutzenbach nicht gerade vermisst, aber verschwunden ist er auch.

Franzobels Krimi-Satiren ersparen den Österreichern nichts. Das Figurenarsenal setzt sich vorzugsweise aus Hysterikern, Heuchlern und blasierten Honoratioren zusammen, serviert werden Blunzengröstel und Grammelknödel, es riecht in diesem Land "nach Doppelmoral, Weihrauch und kleinen Herzen". Franzobel paart subtile Ironie und feinsinnige Doppelbödigkeit mit herrlichsten Albernheiten und derbstem Humor. Aber er behrrscht auch echte Schenkelklopfer, abgedroschene Kalauer, pubertäre Scherze, geschmacklose Witze. Nichts und niemand entkommt seinem Spott. Seine Invektiven beschränken sich nicht auf die Irrsinnigkeiten des politischen Systems, auch die Gesellschaft, die es erst ermöglicht, bekommt ihr Fett weg, außerdem der Kunstbetrieb, das Theater in der Josefstadt, die Niederösterreichischen Nachrichten, die Homöopathie und die Kulinarik der Briten.

Pirouetten drehend lässt sich Franzobel von einem Einfall zum nächsten wirbeln. Das hat mitunter etwas Selbstgenügsames und dient nicht immer dem Vorwärtskommen der Erzählung. Dafür entschädigen die genüsslich ausgebreiteten Austriazismen. Hier wird punziert, die Nämlichkeit aufgenommen und konträr gegangen. Und absolut kunstvoll ist der Wechsel zwischen den Registern: "Geld allein macht nicht unglücklich", kalauert eben noch der Juristengeck, da mahnt Nietzsche schon: Wenn Du lange genug in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund in dich zurück."

Franzobel: Rechtswalzer. Kriminalroman. Zsolnay Verlag, Wien 2019, 416 Seiten, 19 Euro (Bestellen).


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Cover: Berlin PrepperWalter Noack zieht gern Linien. Kurz vor Mitternacht schnürt er sich seine Joggingschuhe und läuft durch den Görlitzer Park und Treptrow, vorbei an der Insel der Jugend zum Spreepark in den Plänterwald. Von dort lässt er sich die Spree hinab zur Oberbaumbrücke treiben und schwimmt zurück gegen den Strom. Wenn er vom Badeschiff hört, wie sich die Leute amüsieren, wie sie trinken, Spaß haben, Selfies schießen, denkt er: "So will ich nie werden."

Die Gefahr ist denkbar gering. Walter Noack hat eine kaputte Ehe und etliche berufliche Pleiten hinter sich. Andere Menschen spielen für ihn keine Rolle mehr. Er wappnet sich. "Lebe in der Lage", lautet seine Devise: "Kraft und Mut". Er ist ein Prepper, will vorbereitet sein auf den Ernstfall. Bei Hochwasser oder Ebola möchte er sich nicht auf den Berliner Senat verlassen müssen und hortet in seiner Wohnung Vorräte: Kerzen, Raviolidosen, Pumpernickel. In den Prepper-Foren tauscht man sich über günstige Konserven bei Aldi und Lidl aus, außerdem gibt es preiswerte Cargo-Hosen bei TEDi, andere beraten sich, wie man an Jagdmunition kam. Man unterhält sich über neue Fluchtwege und riesige Bärlauchfelder bei Nürnberg.

Es gibt interessantere Clubs. Doch für seinen Roman hätte sich Johannes Groschupf keinen besseren Protagonisten aussuchen können als diesen Kombattanten gegen das Leben. Noack hat sich in seinem Wahn und seiner Einsamkeit verbarrikadiert und jeden Bezug dazu verloren, worin die Normalität und worin die Katastrophe besteht. "Prepper" ist ein Roman über das Abgleiten. Linien verwischen, verschwinden, werden übertreten. Die Grenze zwischen dem politischen Mainstream und dem rechtsextremen Lager, schrieb Ivan Krastev in Le Monde diplomatique, sei inzwischen die "am schwächsten bewachte Grenze" in Europa.

Noack arbeitet als Content Moderator beim großen Berliner Zeitungskonzern. Jeden Morgen fährt er mit dem 29er Bus zum Hochhaus an der Oranienstraße, acht Stunden am Tag liest und löscht er Tausende von Leserkommentaren, Beleidigungen, Hasstiraden und Gewaltfantasien: Die Stunde der Abrechnung wird kommen. - Das Gesocks muss weg. - Die Volksverräter werden dort enden, wo Volksverräter immer enden.- Das Endziel ist eine globale Islamdiktatur. - Die gewollte Umvolkung drückt uns zurück ins Mittelalter. Die Absender nennen sich Besorgte Bürger, Volksschullehrer oder Axel Schweiß. Sie beschimpfen die Moderatoren als Zensurhuren, Mediennutten, Propagandasäue. Es ist wie Kloputzen, zur Belohnung gibt es dreizehn Euro die Stunde und die Verachtung der Herren Redakteure.

Nach einer unerwarteten Extraschicht wird Noack direkt vor den Augen des konzerneigenen Wachschutz niedergeschlagen, der Täter entkommt unerkannt. Ein paar Tage später trifft es seine Kollegin Peppa, doch sie verpasst dem Angreifer eine gefährliche Bisswunde. Der Wachschutz, der um seinen Ruf und seinen Auftrag fürchten muss, streut das Gerücht, es seien Flüchtlinge aus dem Containerdorf hinter der Bundesdruckerei gewesen. Peppa, immer darauf aus, was loszumachen, und Noacks Sohn nehmen die Dinge in die Hand.

Wenn es sich nicht um einen Roman von Johannes Groschupf handeln würde, müsste man sagen, dass sich die Lage zuspitzt: Menschen sterben, um Berlin wüten Waldbrände und die Ratten der Stadt kriechen aus dem Untergrund hervor. In Groschupfs unterkühlter Prosa liest sich das allerdings ausgesprochen unaufgeregt, kaum merklich verschieben sich Wahrnehmungen und Grenzen. Nicht immer weiß man, ob die Unschärfe beabsichtigt ist. Doch Groschupf, der Journalist und frühere FAZ-Mitarbeiter, hat ein hervorragendes Gespür für Tonlagen: Sein Kreuzberger Sound ist unschlagbar, aber er kann auch Ahrensfelde. Und Protagonist Noack bleibt stets ein irritierend emotionsloser Pseudo-Rationalist, auf dessen Urteil man sich nicht verlassen sollte. Auch all die Hasskommentatoren und Reichsbürger, die vor Kanzleramt und Zeitungshochhaus aufmarschieren, verbreiten ihre Menschenverachtung in einer Diktion, als wären sie messerscharfe Analytiker und nicht die Kampfhunde des Rechtsextremismus. (Man braucht übrigens sehr lange, um das Buchcover ertragen zu können, das diese Hässlichkeit in Hochglanz widerspiegelt.)

Das nervöse Herz des Romans ist allerdings der Newsroom der Zeitung, in der Noack seine Dienste schrubbt, die "Kathedrale des Konzerns", wie sie ehrfürchtig genannt wird. Doch hier herrscht kein Glauben, sondern Zynismus. Hier führt der Nachrichtenchef Kottwitz das Regiment, seit seinem Einsatz in Afghanistan fehlt dem empathielosen Ex-Soldaten auch noch ein Bein. Niemand kann es mit Kottwitz aufnehmen, wenn es darum geht, alten Redakteuren die Abfindung schmackhaft zu machen und junge Redakteure ins Schwitzen zu bringen, die noch nicht alle Raten für ihren neuen SUV abbezahlt haben: "Um sich gegenüber der Chefredaktion zu profilieren, verschärften sie den Ton ihrer Artikel." Nur die Kommentar-Abteilung bleibt von allen Sparrunden und Kürzungen unberührt: Sie sorgt für die werbetechnisch so vorteilhafte Verweildauer der Leser. Und Kottwitz versteht es, die Stimmung anzuheizen: "Man veröffentlichte jetzt gern Interviews mit Claudia Roth, Dunja Hayali oder Til Schweiger zur Flüchtlingsproblematik, das brachte die Leser verlässlich zur Weißglut." Im Großjournalisten, der sich etwas auf seine Hartgesottenheit einbildet, findet Noack seinen Meister.

Johannes Groschupf: Berlin Prepper. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019, 236 Seiten, 14,95 Euro (Bestellen)