Mord und Ratschlag

Driver und Dronten

Die Krimikolumne. Von Ekkehard Knörer
09.11.2007. James Sallis destilliert in seinem knappen, klaren Roman "Driver" berauschende Noir-Essenzen, Heinrich Steinfest verknüpft in "Die feine Nase der Lilli Steinbeck" einen actionreichen Plot, gezielte Abschweifung und die Sehnsucht nach Stille
Sie nennen ihn "Driver", denn das Fahren ist sein Geschäft. Ein Geschäft mit zwei Seiten. Driver ist einer der besten Stuntman-Fahrer in Hollywood. Für die entsprechenden Summen steht er aber auch denen zur Verfügung, die für ihre krummen Dinger einen virtuosen Fluchtfahrer brauchen. Driver ist ein Profi, den an den Jobs nur interessiert, was ihn selbst angeht. Er bringt die Verbrecher zum Ort ihrer Tat. Er wartet. Er fährt. Das ist alles.

In raffiniert ineinander verschachtelter Rückblenden- und Vorwärtsbewegung erzählt James Sallis die Geschichte dieses Helden. Mit einem scharf belichteten Bild beginnt der Roman. Es hat Tote gegeben. Etwas ist schief gelaufen. In kurzen Kapiteln erfahren wir, wie es dazu kam. Wir erfahren auch, wie Driver der wurde, der er ist. Aus Puzzleteilen, die ein Bild ergeben, ohne sich nahtlos ineinander zu fügen, wird ein Porträt. Der Roman nähert sich in kurzen Fragmenten seiner Figur und bleibt doch auf Distanz, noch wenn er von Drivers Träumen berichtet. Das kalte Pathos eines nüchternen Professionalismus, ist nicht nur das Verhaltensprinzip des Helden, es ist auch das Stilprinzip des knappen Romans.

Bewegung zum Tod ist das Leben. Nirgends haften zu bleiben, ist das selbst gewählte Schicksal des Driver. Der Titel des Originals verknappt das zur infiniten (oder imperativen) Verbform "drive", näher an der Lebensform seines Helden, immer weiter zu treiben, keine Ruhe zu finden, ein Motel, eine Bar, eine Frau: alles auf Zeit. Es gelten, andererseits, Regeln, auf deren Einhaltung Driver mit allem Nachdruck besteht. Wer eine Abmachung nicht einzuhalten bereit ist, bekommt seinen Zorn zu spüren und sein Zorn ist das letzte, was er je spüren wird.

"Driver" ist ein Buch, das die Kunst, die sein Autor aufwendet, nicht ausstellt. Einerseits der virtuose Nachbau von klassischer Noir-Literatur. Immerhin dies, dass es sich um eine Mimikry als Hommage handelt, schreibt Sallis dem Werk auf die Stirn mit dem Motto "Ed McBain, Donald Westlake und Larry Block gewidmet - drei großen amerikanischen Schriftstellern". Andererseits ist "Driver" aber doch ganz etwas anderes als bloß eine Manufactum-Version vergangener guter blutiger Dinge.

James Sallis erlaubt sich mit dem Verehrten nicht postmodern, was er will. (Wie es Tarantino in seinem Stuntdriver-Meisterwerk "Death Proof" tut.) Er fälscht sich aber auch kein eigenes Original zurecht, vielmehr destilliert er, indem er in Sachen Plot, Dialog und Charakterisierung nur das Nötigste tut, Noir-Essenzen. "Driver" ist das Gegenteil von Überwältigungsliteratur, ein Werk, das vielmehr durch Klarheit berauscht.

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Berauschen kann man sich auch an Heinrich Steinfests Romanen, die mal für mal der Kriminalliteratur vor Augen führen, was sie sein könnte, wenn sie sich traute, wie Steinfest es tut, die Regeln des Genres über den Haufen zu werfen, um aus dem Haufen dann etwas sehr Eigenes und interessanterweise doch immer Kriminalliteraturähnliches wieder zu errichten. Das jüngste Werk "Die feine Nase der Lilli Steinbeck" ist actionhaltiger als das bisherige Werk, in einer weltumspannenden Intrige nach Art eines Computerspiels geht es um vermeintlich ausgestorbene Dronten, um die Rückkehr der griechischen Götter, um Männer in Batman-Kostümen, aus deren Hosenschlitzen Seltsames ragt, um die Versenkung des Greenpeace-Schiffs "Rainbow Warrior" und mindestens tausend Dinge mehr.

Damit, dass einer in einen zwar gar nicht sauren, dafür aber vergifteten Apfel beißen muss, geht es los. Der Roman jedenfalls geht damit los, denn der große Zweikampf, in dem die Vergiftung und nachfolgende Entführung und geplante Ermordung des nach einigem Insistieren (und Drohen) in den Apfel beißenden Zoologen Georg Stransky nur eine Episode ist, tobt, als der Roman losgeht, schon eine ganze Weile, wie wir im Roman, wenn auch nicht gleich zu Beginn, erfahren. Es gibt, fast gegen Ende schon, eine Stelle im Buch, in der dessen Heldin, eben die auf Entführungen spezialisierte Polizistin Lilli Steinbeck mit der feinen, aber auch zertrümmerten Nase, kurz zusammenfasst, was bis dahin sich zutrug. "Sie hielt sich kurz", heißt es da, "wodurch die Sache aber nicht einfacher klang, im Gegenteil. Das kennt man. Gerade in der Verkürzung wirkt vieles an den Haaren herbeigezogen."

An den Haaren, muss man sagen, zieht, verkürzt oder nicht, Heinrich Steinfest seine Geschichten vorzugsweise herbei. Er ist, was es wirklich nicht oft gibt, ein experimenteller Autor im Gewand des Krimischriftstellers. Die Genre-Elemente, denen er sich verpflichtet fühlt, wirken dabei als Korrektiv für seine schweifende - vor allem abschweifende - Fantasie, die sich von Plotökonomieerwägungen niemals beeindrucken lässt. Das gilt in die Richtung des Großen und Ganzen, aber auch in die des Banalen und Kleinen. So kann der Steinfest-Erzähler ebenso absatzlang über die Farbe von Äpfeln sinnieren wie über das Fallen des Regens, um im nächsten Moment unvermittelt Metaphysisches sich ereignen zu lassen.

Der Plot hat in "Die feine Nase der Lilli Steinbeck" ganz entschieden multinationales Thrillerformat. Eigentlich darf man sogar an Ian Fleming ebenso wie an Jules Vernes denken. Im Verfolg des Entführungsfalls Stransky gerät Lilli Steinbeck - es ist Steinfests erste wirkliche weibliche Protagonistin - zunächst nach Athen und von da unter anderem nach Mauritius und auch auf eine Insel namens Saint Paul, in deren Innerem sich nicht nur eine französische Marslandschaft, sondern auch eine zooarchäologische Sensation verbirgt.

Es wird durch die Welt gejettet, gejagt und verfolgt, geschossen und beim Schießen so unerwartet getroffen wie unerklärlich verfehlt, aber im Herzen des Handlungstaifuns dieses Romans liegt eigentlich nichts als ein Wunsch nach tiefem Frieden. Nach dem Aufhören von Kindergebrüll. Nach einer Sanftheit des Herzens, die sich auch und gerade beim Sex Geltung verschafft. Danach, dass es gut riecht. Der Wunsch nach einem Einverständnis, kurz gesagt, mit der Welt, die es einem in dieser Hinsicht freilich nicht leicht macht.

Vielleicht deshalb ist gar nicht recht auszumachen, wie dieser Roman, von gewissen kriminalliterarischen Auflösungen und Auflösungsverweigerungen abgesehen, ausgeht. Lilli Steinbeck bricht auf, sie "hatte ein gutes Gefühl". Dann aber folgt noch ein Epilog, der Lilli Steinbecks Geschichte rasch weiter, aber auch wieder nicht zuende erzählt. Die Jahre vergehen. Die Welt bleibt sich gleich. Es ist eben so, denkt man, dass es in diesem Leben, und sei es ein Spiel der Götter, nur Episoden gibt. Heinrich Steinfest, dessen Romane zusehends an Tiefe und Weite gewinnen, hat eine erzählt. Wir sind schon sehr gespannt auf die nächste.

James Sallis: Driver. Aus dem Amerikanischen von Jürgen Bürger. Liebeskind Verlag, München 2007. 160 Seiten. 16,90 Euro.

Heinrich Steinfest: Die feine Nase der Lilli Steinbeck. Piper Verlag, München 2007. 347 Seiten. 12 Euro.