Mord und Ratschlag

Fährte einer toten Seele

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
12.02.2018. Marcie Rendon erzählt in ihrem poetischen Krimi "Am roten Fluss" von Untaten gegen die indianischen Amerikaner in Nord Dakota. Tom Franklin lehrt mit seiner Südstaaten-Groteske "Smonk" das Fürchten vor der Tollwut des religiösen Fanatikers.
In Washington werden Donald Trumps Twitter-Ergüsse jeden Morgen von journalistischen Hundertschaften mit derselben Andächtigkeit inspiziert, mit der sich einst die Hofschranzen über den Stuhlgang des Kaisers von China beugten. In die abgelegenen Gegenden des Landes verschlägt es dagegen Reporter nur noch selten. Als die Journalistin Amy Goodman erstmals über die Proteste der Standing Rock Sioux gegen die Öl-Pipeline durch ihr Reservat berichtete, wussten die Behörden von Nord Dakota schon gar nicht mehr, was das eigentlich ist, eine freie Presse. Der Staatsanwalt wollte Goodman glatt wegen schweren Landfriedensbruchs anklagen, denn, so sein schlagendes Argument, sie habe so viel Verständnis für die Belange der Sioux gezeigt und so empört über den Einsatz von Kampfhunden gegen Demonstranten berichten, dass man sie als Teil der Proteste ansehen müsse.

Von diesem angehängten Nord Dakota, in dem indianische Amerikaner auf ziemlich verlorenem Posten für ihre Rechte kämpfen, erzählt auch Marcie Rendon in ihrem Debütroman "Am roten Fluss", der im Ariadne Verlag unter der Rubrik "Fenster zur Welt" erscheint. Rendon ist Angehörige  der Anishinabe White Earth Nation, sie ist Dichterin, Performance-Künstlerin und kulturpolitische Aktivistin. Der Krimi ist für sie natürlich ein Mittel, um von den Lebensumständen indianischer Amerikaner zu erzählen.

"Am Roten Fluss" spielt in Fargo, am Ufer des Red River, an der Grenze von Nord Dakota zu Minnesota, inmitten des amerikanischen Weizengürtels. Meilenweit erstrecken sich die Felder, zur Ernte braucht es Flotten von Mähdreschern. Die flachsblonden Farmer sind meist skandinavischer Herkunft, sie heißen Soren und Olsen, und im Radio laufen die Country-Songs von Charley Pride. Die indianischen Nationen, die White Earth und Red Lake, leben entweder verarmt und zurückgedrängt in Reservaten oder verarmt und einsam in den Städten. Sie trinken ihren Jim Beam aus Marmeladengläsern.

Auch die indianische Landarbeiterin Cash lebt mit ihren neunzehn Jahren allein und ein bisschen verloren in Fargo: Sie spielt Billard, raucht wie ein Schlot und säuft wie der Mähdrescher, den sie mit großer Lust steuert. Als Kind musste sie in einer Reihe von schrecklichen Pflegefamilien lernen sich zu behaupten: Sie und ihre Geschwister wurden der Mutter weggenommen, als diese sturzbetrunken, mit den Kindern hinten drin, das Auto in den Graben setzte.

Cashs bester und vielleicht einziger Freund ist ausgerechnet der Sheriff, der väterlich über sie wacht, seit ihre Familie auseinandergerissen wurde. Nun hilft sie ihm, als eines Tages ein indianischer Landarbeiter tot aufgefunden wird. Da der Mann aus dem Red Lake Reservat stammt, hat der Sheriff dort keinen Zugriff, das zuständige FBI wiederum interessiert sich nicht die Bohne für den Toten. Cash macht sich auf den Weg zum Reservat. Sie, die eigentlich Renee Blackbear heißt, spürt nicht den Tätern hinterher, sie folgt durch die Weiten der Prärie der Fährte einer toten Seele. Sie kann ihren Körper verlassen und Bäume singen lassen.

Zum Glück gelten die unpoetischen Regeln des alten Detective Clubs nicht mehr, nach denen keine magischen Kräfte zur Lösung eines Falles eingesetzt werden dürfen. Allerdings erzählt Rendon nicht immer so unkonventionell wie in diesen spirituellen Passagen und sie zeichnet auch nicht alle Figuren im wunderbar unidyllischen Fargo so sorgsam wie die einnehmende Cash. Doch erschütternd - und viel spannender als der schnell geklärte Mordfall - ist das historische Unrecht, das Rendon mit ihrem Roman zum Thema macht: Wie über Jahrhunderte Kinder aus ihren indianischen Familien herausgerissen wurden. Bis in die siebziger Jahre wurden sie nach den kleinsten Zwischenfällen ihren Eltern weggenommen und in Pflegefamilien oder zur Adoption gegeben. Als Anlass diente natürlich immer der Alkoholismus der unglücklichen Eltern. Auch Cash lebt schon ganz nach einer Devise, die auch so eine Art Indianer-Weisheit sein könnte: "Ein Glück, dass sie trank. Sonst hätte sie wirklich nicht gewusst, wie sie das Leben durchstehen sollte."

Marcie Rendon: Am roten Fluss. Roman. Aus dem Amerikanischen von Landan & Szelinski. Argument Verlag, Hamburg 2017, 214 Seite, 13 Euro


****

Während Marcie Rendon den amerikanischen Mythos sanft überschreibt, zerhackt Tom Franklin ihn lustvoll in seinem grandiosen Pulp-Roman "Smonk". Franklin steigert darin den Southern Gothic zu einer monströsen Groteske, in der so viel antibürgerliche Power drinsteckt wie in zwei Dutzend deutscher Krimis nicht. "Smonk" ist Schund allererster Güte. Der Roman erzählt die üble Geschichte des Eugene Oregon Smonk, dem das Volk von Old Texas, Alabama, im Jahr des Herrn 1911 den Prozess machen will. Der alte E.O. Smonk ist hässlich wie die Nacht, sein Gesicht ist von Narben zerfurcht, das linke Auge durch eine Glaskugel ersetzt, er hat einen Kropf, die Gicht und den Tripper. Und er ist brutal, blutrünstig, hinterhältig, ein kaltblütiger Killer, kurz: die Ausgeburt des Teufels. "Es heißt, er wär mit Zähnen auf die Welt gekommen", sagen die Leute in einer Mischung aus Schrecken und Bewunderung über ihn, "es heißt, die Hebamme wär an Tollwut gestorben."

Das Volk von Old Texas, das jahrelang unter den Demütigungen des herrischen Mistkerls gelitten hat, steht ihm in Niedertracht und Heimtücke nicht nach, nur können es die Leute, eigentlich fast alles Witwen, nicht an Gerissenheit mit ihm aufnehmen. Deswegen geht die Idee mit dem Prozess auch gleich schief. "Dann legt mal los, ihr geilen Schlampen", höhnt Smonk nur, bevor er die städtische Versammlung in einem Blutbad enden lässt. In Alabama muss sich der Stärkste keinem Richter stellen. Die beiden einzigen Männer, die das Gemetzel überlebt haben, machen sich an seine Verfolgung, vor allem der Gerichtsdiener will seinen Sohn wiederhaben, den Smonk in seiner Gewalt hat.

Die Bahnen, die Smonk und seine Verfolger durch Alabama ziehen, werden gekreuzt von denen der in Hexenblut gestählten Kinderhure Evavangelina. Sie ist auf der Flucht vor einem Trupp christlicher Deputies, deren Anführer Phail Walton sich selbst geißelt, um seine permanente Geilheit unter Kontrolle zu bringen. Pardon: "Er war brillant, geistesgegenwärtig und ein Charmeur, Phail Walton, der sich etwas darauf zugutehielt, dass er keinerlei sexuelle Drang verspürte." Die Deputies sind ein Haufen Säufer und Kriminelle, die Walton Kraft seiner Autorität als Yankee zu anständigen Männern erklärt. Tatsächlich verbindet sie die Vorliebe für Alkohol, Tabak, Glücksspiel, Huren und sinnlose Gewalt.

"Smonk" ist ein makabrer Roman, monströs und geschmacklos. Er ist getrieben von einer geradezu rauschhaften und auch ansteckenden Lust an der Grenzverletzung, an versauten Witzen und am Verstoß gegen sprachliche Tabus. Es ist unglaublich, nein sensationell, mit welcher Virtuosität Nikolaus Stingl dieses Ungetüm ins Deutsche übersetzt hat und mit welcher Delikatesse er die verschiedenen Nuancen von brutaler Derbheit und und hochgestochenem Bramarbasieren moduliert. Aber "Smonk" ist nicht nur sprachlicher Furor, nicht nur Revolte gegen bürgerliche Lesegewohnheiten. Mit all seinen groben Verzerrungen schärft der Roman, zwölf Jahre nach seinem Erscheinen im Original, den Blick für das Groteske der Wirklichkeit. Vor allem aber rückt er das Bild des Südens zurecht, der weniger aus dem freisinnigen Geist nobler Plantagenbesitzer entstanden ist als aus einem Alptraum: Aus unverhohlenem Raub, nackter Gewalt und religiösem Wahn.

Im März wird bei Pulp Master auch endlich Franklins gefeierter Südstaaten-Roman "Crooked Letter, Crooked Letter", der schon 2011 mit dem Gold Dagger Award ausgezeichnet wurde, unter dem grandiosen Titel "Krumme Type, krumme Type" erscheinen. Der Roman erzählt von zwei Außenseitern des Südens, dem verschrobenen Larry Ott, der immer wieder verdächtigt wird, junge Mädchen ermordet zu haben, und seinem Jugendfreund, dem schwarzen Constable Silas Jones. Der seltsame Titel bezieht sich auf die Art, wie amerikanischen Schulkindern das Buchstabieren von Mississippi beigebracht wird: M-I- Crooked Letter, Crokked Letter - I - Crooked Letter, Crooked Letter - I- Humpback, Humpback - I. Man glaubt es kaum: An den Schulen in Baden-Württemberg gehört dieser Roman, ohne dass sich bisher Publikumsverlag an die deutsche Übersetzung gewagt hätte, bereits zum Abiturwissen. Im Stuttgarter Bildungsministerium sitzt ein echter Connaisseur!

Tom Franklin: Smonk. Roman. Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl. Pulp Master. 307 Seiten, 14, 80 Euro