Mord und Ratschlag

Bäng, Bäng, Quietsch

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
04.03.2016. In seinem Roman "In den Straßen der Wut" setzt Ryan Gattis einen Bandenkrieg im brennenden Los Angeles von 1992 als manisches Egoshooter-Spiel in Szene. In Garry Dishers australischer Krimiwestern "Bitter Wash Road" nimmt es der strafversetzte Constable Hirsch mit den Honorationen von Schafsmist City auf.
Lange Zeit war nicht mehr so deutlich, dass die USA ein gewaltiges Problem mit Rassismus, Polizeigewalt und Waffenkult haben wie in den vergangenen Jahren: Etliche junge schwarze Männer wurden wegen geringfügigster Vergehen oder ganz ohne Grund von schießwütigen Polizisten getötet, während für die Oscars kein einziger schwarzer Künstler nominiert wurde und Donald Trump am liebsten alle Latinos zurück hinter die große Mauer schicken würde.

Ryan Gattis scheint mit seinem Thriller "In den Straßen die Wut" also einen Nerv zu treffen, wenn er noch einmal die Unruhen von Los Angeles 1992 in den Blick nimmt. Nachdem ein Geschworenengericht die Polizisten freigesprochen hatte, die den Schwarzen Rodney King brutal zusammengeschlagen hatten, ging die halbe Stadt in Flammen auf, Tausende von Geschäften wurden geplündert, mindestens sechzig Menschen kamen ums Leben. Und wie häufig bei solchen Aufständen wurden in jenen Tagen vor allem die eigenen Stadtteile in Schutt und Asche gelegt: South Central, Compton, Lynwood.

Auf der KrimiZeit-Bestenliste steht der Roman auf Platz zwei, er hat viele positivie Rezensionen bekommen. Gattis versucht nicht, die Unruhen als solche einzufangen, bei ihm spielen weder die Menschen eine Rolle, denen aus Wut oder Frustration die Sicherung durchbrannte, noch Los Angeles als Stadt - dabei wäre es eigentlich toll, mal wieder etwas über die berühmte City of Quartz zu lesen, die völlig aus dem Blickfeld der öffentlichen Wahrnehmung geraten ist. Gattis nutzt jene Zeit der Gesetzlosigkeit als Kulisse, vor der er einen mörderischen Krieg unter Latino-Gangs in Szene setzt.

Am Anfang der Bandenfehde steht der brutale Mord an dem Taco-Bäcker Ernesto Cruz, den wir aus der Perspektive des Opfers miterleben. Mit Baseballschlägern verprügelt, von einem Auto die Straßen entlanggeschleift und schließlich von einem Dutzend Messerstichen durchlöchert, stirbt dieser erste Ich-Erzähler nach wenigen Seiten, und er wird nicht der letzte sein. Gattis lässt in seinem multiperspektivisch angelegten Roman eine ganze Reihe Ich-Erzähler über die Klinge springen. Der Rückgriff auf die erste Person verleiht seinem Schreiben eine wahnwitzige Unmittelbarkeit, man ist nicht nur mittendrin in South Central, sondern direkt im Hirn eines um sich ballernden Killers oder des Junkies auf seinem Horrortrip. Als erzählerische Strategie ist das jedoch höchst fragwürdig. Romane funktionieren so nicht, so funktionieren Egoshooter.

Ernestos knallharte Schwester Payasa startet einen Rachefeldzug, tötet im Alleingang den Mörder ihres Bruders und dessen Kumpane, was natürlich deren Vergeltung auf den Plan ruft. Wir lesen das aus Sicht der verschiedenen, Homeboys genannten, Gang-Mitglieder: Apache, Clever, Trouble. Die Tage der Unruhen sind hier Tage der Abrechnung. Polizei, Nationalgarde und Militärs sind schon damit überfordert, das Leben friedlicher Bürger zu schützen, da können sie sich nicht auch noch um die Gemetzel unter den Gangs kümmern. Ganze LKW-Ladungen voller Leichen werden aus Lynwood gekarrt.

Gattis war lange Straßenkünstler, versteht sich auf Effekte und beherrscht den Sound der Straße. Er hat auch ein gutes Gespür für die Irrationalität und das amoralische Herumgewitzel, das die eigene Brutalität kaschieren soll und das Leben zum Comicstrip macht: "Und dann ging es bloß noch so Bäng, Bäng, Quietsch: schießen und mit rauchenden Reifen abhauen."

Sympathie für seine Figuren zeigt Gattis dabei selten, außer für die engelsgleiche Krankenschwester Gloria, die eine zarte Romanze mit dem stoischen Feuerwehrmann Anthony Smiljanic verbindet. So wie er bei diesen beiden nah am Kitsch entlangschrammt, so verächtlich schildert er Schwarze und Koreaner. Aber auch seine Latino-Homeboys bleiben Abziehbilder. Wenn er einigen eine schwere Kindheit zubilligt oder ein kreatives Talent, ist das reine Masche. Im Grunde sieht Gattis in den meisten seiner Figuren nur monströse Killer, die - außer Ernesto - allesamt ihren Tod verdient haben. Weil sie miese Typen waren, weil sie zu blöd waren, weil sie nicht schnell genug ziehen konnten.

Bei Gangsterromanen ist die Kunst, Sympathie für die bösen Jungs zu schaffen, ohne dabei den Unterschied von Gut und Böse zu verwischen. Bei Gattis gibt es keine Moral, keine Gesellschaft, kein Gesetz. Es gibt nur das Recht des Stärkeren. Am Ende kommt deshalb auch der große böse Wolf, der noch viel größer und böser ist als alle Homeboys von South Central zusammen, und er bricht ihnen die Knochen, dass es nur so kracht. Selten hat ein Autor mit seinen Figuren so ein zynisches Spiel getrieben.

Ryan Gattis: In den Straßen die Wut. Roman. Aus dem Amerikanischen von Ingo Herzke. Rowohlt Verlag, 510 Seiten, 16,99 Euro ().

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Constable Paul Hirschhausen, genannt Hirsch, beklagt sich nicht, er hält den Mund. Wenn sein Chef ihn schikaniert, tippt er sich nur an die Spitze seiner Dienstmütze und begnügt sich mit einem lakonischen "Sarge". Degradiert und strafversetzt muss Hirsch seinen Dienst in Tiverton versehen, einem kleinen Kaff in Südaustralien, drei Stunden nördlich von Adelaide. Hier gibt es nichts außer Wolle, Weizen und ein paar Windkrafträder. Schafsmist City.

Trotzdem ist hier jede Menge los, vor allem auf der Bitter Wash Road. Hier liegen die Einfahrten zu den großen Farmen, und sie bildet den Hauptnerv von Garry Dishers Roman, sie gibt ihm seinen Duft nach Eukalyptus und Kiefer, Rosen und ein Hauch von Dung. Hier fallen auch die ersten Schüsse. Und da Hirsch nicht sonderlich beliebt ist, kann er nie wissen, ob diese Schüsse auf ihn nicht von anderen Polizisten stammen. Schließlich schicken sie ihm auch per Post Patronenhülsen, bedrohen seine Eltern, jubeln ihm falsche Beweise unter. Hirsch hat nämlich gegenüber der Internen Ermittlung ausgesagt, weil er die kriminellen Machenschaften seiner Kollegen nicht mehr decken wollte. Er ist jetzt der große Verräter, der Denunziant, der Hund.

Aber auch den anderen Einwohnern gegenüber benehmen sich die Herren Polizisten nicht immer tadellos. Sergeant Kropp führt im Nachbarort Redruth mit seinen Deputies ein gnadenloses Regiment. Unter der Woche tyrannisieren sie ihre junge Kollegin, Samstagabend nach dem Rugbyspiel verprügeln sie junge Aborigines. Und wenn sie Geld brauchen, verhängen sie Strafen wegen unachtsamen Überquerens der Straße. Oder täuschen eine Dienstverletzung vor.

Als die Leiche eines jungen Mädchens gefunden wird, stößt Hirsch bei seinen Ermittlungen nicht nur auf die berühmte Wand des Schweigens. Die gesamte Polizei legt ihm Steine in den Weg, die sich zu Felsbrocken auswachsen, als erkennbar wird, dass die fünfzehnjährige Melia Donovan Opfer sexueller Ausbeutung war, in die sämtliche Honoratioren der Gegend verstrickt waren.

Während Hirsch versucht, den bösen alten Männern das Handwerk zu legen, stellen ihm die bösen jungen nach. Immer wieder durchquert Hirsch dabei die Bitter Wash Road, und mit jeder Fahrt verdichtet sich der Plot. Die Figuren werden dabei nie flach. Es sind Typen: Männer, die Beute machen, sexuell und materiell. Aber sie sind gekonnt geätzt. Auch die Cops sind unverwechselbar: "Groß, besitzergreifend, durch nichts zu beeindrucken, voller ungeformter Intelligenz."

Garry Disher ist der Veteran unter den australischen Krimi-Autoren. "Bitter Wash Road" ist es etwas weniger hartgesotten als die grandiosen Romane um den Profigangster Wyatt, aber immer noch lakonisch. Vor allem verbindet Disher in diesem Roman sehr schön seinen leicht pulpigen Touch mit den staubigen Weiten des australischen Südens.

Garry Disher: Bitter Wash Road. Roman. Aus dem Englischen von Peter Torberg. Unionsverlag, Zürich 2016, 344 Seiten, 21,95 Euro