Mord und Ratschlag

Ströme des Todes

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
24.07.2012. Helon Habila führt mit seinem dunkelleuchtenden Roman "Öl auf Wasser" ins Nigerdelta, auf das sich ein undurchdringlicher Schlick aus Öl, Habgier und Ignoranz gelegt hat. Emrah Serbes' melancholischer Kommissar Behzat Ç. gräbt sich durch die Parks von Ankara und den türkischen Staatsapparat.
Afrika kennt viele Beispiele, in denen sich die überreichen Bodenschätze als Fluch erweisen: die Diamanten im Kongo oder das Gold in Ghana. Multinationale Großkonzerne verdienen Milliarden mit den Rohstoffen und hinterlassen zerstörte Nationen und verheerte Landschaften. Zu den bittersten Beispielen gehört das Desaster, zu dem der Ölreichtum in Nigeria geführt hat. Jedes Jahr werden aus dem Nigerdelta Abermillionen Tonnen von Öl gepumpt; der Staat und die internationalen Großkonzerne Shell, Chevron, Mobil und Agip machen damit Milliardengewinne. Die im Flussdelta lebenden Ijaw und Ogoni haben an diesem Reichtum nicht nur keinen Anteil, sie werden im Gegenteil um ihre Lebensgrundlage gebracht. Die Gier nach dem Öl hat zu einer Umweltkatastrophe ohne Beispiel geführt.

Aus alten undichten Leitungen strömt das Rohöl ins Delta. Zehn Millionen Barrel Öl sind es in den vergangenen fünfzig Jahren gewesen, so viel, als würde jedes Jahr eine Exxon Valdez auslaufen. In gewaltigen Feuersäulen werden Abgase in die Luft gefeuert. Und immer wieder explodieren Leitungen, die entweder leck sind oder von Einheimischen angezapft wurden, die einen Tropfen abhaben wollen. Die Lebenserwartung der Menschen hier liegt bei 40 Jahren. Jede Reportage aus dem Nigerdelta liest man fassungslos (wie zum Beispiel diese hier von Bartholomäus Grill). Helon Habila erzählt von dieser Tragödie in einem grandiosen dunkelleuchtenden Roman, der einem schier den Atem raubt.

Vielleicht mehr Abenteuer- als Kriminalroman erzählt "Öl auf Wasser" die Geschichte des jungen Rufus, den weder Talent noch Berufung zum Reporter gemacht haben, sondern die schiere Notwendigkeit, Geld zu verdienen. Sein Vater sitzt im Gefängnis, weil er die Explosion einer illegalen Pipeline verschuldet hat, bei der ein Mann ums Leben kam und Rufus' Schwester schwer entstellt wurde. Zusammen mit dem alten Reporter und Trunkenbold Zaq, dessen Karriere jäh endete, als er zu furchtlos in seinem Kampf gegen die Militärjunta wurde, macht er sich auf die Suche nach einer von Rebellen entführten Engländerin. Noch bevor die beiden Journalisten in Kontakt mit den Rebellen kommen, werden diese von der Armee eines Majors massakriert, der im Delta seinen eigenen privaten Krieg führt.

Wir folgen den beiden Reportern auf ihrer Fahrt über die Ströme des Todes durch die dichten und von einer öligen Brühe überzogenen Mangrovensümpfe, auf denen der Gestank von Fäulnis, Schwefel und Tierkadavern liegt. Sie kommen an verlassenen Orten vorbei, die aussehen, als hätte eine tödliche Epidemie in ihnen gewütet: "Die gleichen leeren, gedrungenen Bauten, der gleiche gesättigte und abscheuliche Gestank, die Leere, der Ölschlick und die gleiche unbestimmbare Traurigkeit in der Luft, als ob eine Geisterhorde über den zerlöcherten Zinkdächern schwebte, die nicht fortziehen wollte und doch nicht die Macht besaß, zu bleiben."

So wie sich die beiden durch diese apokalyptische Landschaft bewegen, so führt uns Habila mit viel dramaturgischem Geschick durch die Geschichte: Rufus und Zaq tasten sich langsam vor, kommen vom Weg ab, werden von leuchtenden Feuern in die Irre geführt, müssen umkehren. Wie das Flussdelta öffnet sich ihnen auch nach und nach das Dickicht aus Habgier und Ignoranz: Konzerne bezahlen mal die Militärs und mal die Rebellen, um ihre Plattformen vor Anschlägen zu schützen. Militärs führen Privatkriege gegen Rebellen, deren Befreiungskampf sich auf finanziell lukrative Geiselnahmen beschränkt. Korrupte Gouverneure kassieren erst von den Ölfirmen, dann von den Rebellen. Die Hauptstadt-Journalisten - "liberal, glatt, schmissig" - wechseln die dramatischen Geschehnisse in Anekdotenwährung um. An Spitzen wie diesen erkennt man, dass der 1967 geborene Autor selbst in Lagos als Journalist gearbeitet hat, bevor er nach London zog. Anklänge an an Ken Saro-Wiwa oder Chinua Achebe sind ebenso wenig überhörbar wie an Joseph Conrad und Graham Greene.

In einer der verblüffendsten Passagen erzählt Habila die Geschichte eines Dorfes, das sich weigert, sein Land zu verlassen. Erst lockt die Ölfirma die Bewohner mit Wohlstand, Autos und Flachbildfernsehern für ihre Hütten, dann zieht sie die Daumenschrauben an: Von ihren örtlichen Handlangern der Polizei lässt sie den Chief verhaften und töten. Da entscheiden die Bewohner in einer erschütternden Logik aus Wehrlosigkeit und Stolz, das Land zu verlassen, aber das Geld nicht zu nehmen. Das Geld soll der Fluch sein, mit dem sie die Ölkonzerne belegen.

Helon Habila: Öl auf Wasser. Roman. Aus dem Englischen von Thomas Brückner. Wunderhorn Verlag, Heidelberg 2012, 227 Seiten, 24,80 Euro ()

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Behzat Ç. ist Leiter der Mordkommission in Ankara. Er säuft, prügelt und flucht, ist geschieden und liebt geschiedene Frauen. Behzat Ç. ist mit anderen Worten der Albtraum des Tayyip Erdogan - und die TürkInnen liegen ihm zu Füßen. Bereits mehrfach wurde Emrah Serbes' Krimireihe um den schwermütigen Kommissar ohne Nachnamen für Kino und Fernsehen verfilmt, und als die Regierung einmal drohte, die Serie aus dem Programm zu nehmen, stellte sich das halbe Land auf die Hinterbeine. Um nicht gänzlich klein beizugeben, verhängten die Behörden Strafzahlungen gegen den Sender Star TV, wegen Verstoßes gegen die "traditionellen türkischen Familienwerte".

Kein Wunder, dass der neue Kreuzberger Binooki Verlag den jungen Wilden Serbes in sein erstes Programm aufgenommen hat. Die beiden Schwestern Inci Bürhaniye und Selma Wels haben den Verlag vor einem Jahr gegründet, sie wollen mit ihm zeitgenössische türkische Autoren nach Deutschland bringen. Die Anwältin Bürhaniye und die Managerin Wels folgen dabei ihrer persönlichen literarischen Agenda: Übersetzt wird alles, was ihnen gefällt, Ideen und Auswahl entspringen dem eigenen Bücherregal. Seit Februar sind neben der Reihe um Behzat Ç. auch Alper Canigüz' Krimi "Söhne und siechende Seelen" sowie Oguz Atays Erzählungen aus den siebziger Jahren "Warten auf die Angst" erschienen.

"Verschütt gegangen" ist nach "Jede Berührung hinterlässt eine Spur" bereits der zweite Roman in der tragikomischen Serie um Behzat Ç., den der Tod seiner Tochter so fassungs- wie sprachlos zurückgelassen hat. Der eh schon melancholische Hauptkommissar hat nun gänzlich aufgehört zu reden, nicht mal seine imposanten Flüche ("Ich hab in meinem Leben mehr Katzen gefickt, als du Mäuse gefangen hast") kommen ihm über noch die Lippen, seine ganze Überzeugungskraft liegt jetzt in Blicken und Fäusten. Die Dienstaufsicht, die ihm eh schon lange im Nacken saß, will ihn nun für unzurechnungsfähig erklären lassen. Gegen den Apparat, aber zusammen mit seinen skurril-freundlichen Kollegen ermittelt Behzat Ç. im Fall eines Serienmörders, der seine Opfer bei lebendigem Leib in den Parks von Ankara vergräbt.

Emrah Serbes verlangt seinen Lesern eine große Spannbreite an Humor ab, tiefschwarze Passagen stehen neben reinstem Krimi-Ulk, bei dem regelmäßig ein dreibeiniges Kaninchen durch das Bild hoppelt. Und auch wenn sich die beteiligten Kommissare nie ernsthaft ihre mürrische Stimmung verderben lassen, gibt es doch einige böse Pointen. So laufen sich der Psychopath und der Kommissar beim selben Psychiater über den Weg, politische Verbrechen werden von der Polizeiführung mit steilem Karrieresprung geahndet. Schließlich erzählt Serbes bei allem Klamauk die Geschichte eines Jungen, den der Staat mit jedem neuen Erziehungsversuch zum Verbrecher gemacht hat. Dem Buch vorangestellt ist übrigens ein Zitat aus der bewegenden Trauerrede, die Rakel Dink für ihren ermordeten Mann, den türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink, gehalten hat: "Ohne die Finsternis zu hinterfragen, die aus einem Baby einen Mörder macht, ist alles Tun vergeblich, meine Brüder, meine Schwestern."

Emrah Serbes: Behzat Ç. - Verschütt gegangen. Roman. Aus dem Türkischen von Johannes Neuner. Binooki Verlag, Berlin 2012, 319 Seiten, 15,90 Euro ()