Mord und Ratschlag

Wahnsinn der Vernunft

Die Krimikolumne. Von Ekkehard Knörer
07.04.2008. In Robert Littells um ein Weniges in eine mögliche Zukunft versetztem Roman "Die Söhne Abrahams" steht der Frieden im Nahen Osten unmittelbar bevor. Andrew McGahan dagegen blickt mit "Last Drinks" zurück auf einen Skandal aus dem Brisbane der späten Achtziger Jahre.
Der Druck, den die amerikanische Präsidentin gemacht hat, ist immens. Die Unterzeichnung eines Friedensvertrags zwischen Israelis und Palästinensern steht nun unmittelbar bevor. So sieht die Zukunft des Nahostkonflikts aus in Robert Littells zeitlich nur um ein Weniges, sachlich um ein Unwägbares aus der Gegenwart verschobenem Roman "Die Söhne Abrahams". Nicht jeder ersehnt die Befriedung. Die Radikalen auf beiden Seiten vor allem, die von ihren Maximalforderungen nicht lassen wollen, haben daran nicht das mindeste Interesse. Mit bewährten Methoden suchen sie den historischen Kompromiss zu verhindern. Der fast blinde Hamas-Führer Doktor Al-Shaath entführt den ultraorthodoxen Rabbi Isaac Apfulbaum und droht, ihn und seinen gleichfalls entführten Mitarbeiter zu erschießen, wenn die israelische Regierung nicht die Freilassung palästinensischer Terroristen beschließt.

Die beiden Fanatiker, von ihren Anhängern als Erlöser und Propheten verehrt, kommen im Niemandsland dieser Gefangenschaft in beider Fremdsprache Englisch ins Gespräch. Mehr oder minder blind sind sie beide, da der Rabbi seine Brille bei der Entführung verliert. Natürlich ist die Blindheit sehr direkt symbolisch zu verstehen. An derlei hat Robert Littell schon immer seine Freude, weshalb es ganz falsch wäre, ihm hier mangelnde Subtilität vorzuwerfen. Littell will nicht subtil sein, sondern direkt und wenn kompliziert, dann auf transparente Weise vertrackt. Littell ist fasziniert von Strukturen, er liebt Metaphern wie das Schachspiel, das für den in letzter Instanz unberechenbaren Kampf zweier Gegner steht und wenn es der Verdeutlichung dient, dann schickt er seinen Helden auch mal sehr buchstäblich in ein Spiegelkabinett. (So in "Sein oder Nichtsein".)

Aber auch solche Metaphern verwendet Littell nicht poetisch, sondern zur Strukturaufklärung. Während der poetische Gebrauch der Metapher Bedeutungen verschiebt, überlagert und öffnet, um mit den Mitteln der Sprache übers bereits Formulierte und Gedachte originell hinauszugelangen, ist die Metapher für Littell ein probates Werkzeug, der immer etwas verworrenen Wirklichkeit durch Denkfiguren ihre tiefere Wahrheit abzugewinnen. Die Wahrheit ist für Littell aber immer abstrakt. Darum durchzieht Littells Werk ein so kühler wie kühner Reduktionismus und deshalb ist er auch alles andere als ein im landläufigen Sinn des Begriffs realistischer Autor. Man darf das nicht missverstehen: Nichts interessiert ihn mehr als politische Wirklichkeiten, nur kommt man ihnen, lautet die implizite These seiner Bücher, einzig auf dem Wege der Abstraktion in präzise entworfenen Plots und bei ihrer Struktur genommenen Denk- und Sprachfiguren bei.

Unwahrscheinlichkeiten und Überdeutlichkeiten wie die Sache mit der doppelten Blindheit nimmt Littell dabei gerne in Kauf. Und auch Sätze, die sich ausnehmen wie sprachliche Unglücksfälle - nehmen wir exemplarisch den ersten in "Die Söhne Abrahams": "Die untergehende Sonne durchschnitt die Grenzlinie zwischen Himmel und Meer, ließ Blut fließen und warf lange Schatten auf die flache Küste der Levante." Eine originelle, ja eine literarisch überzeugende Metapher ist das kaum. Aber sie soll es nicht sein, sondern eher eine Form von Gambit in Gestalt einer Denkfigur. Eine Grenze, die selbst durchschnitten wird, ist eine Grenze, die keine mehr ist. Und um Strukturen ähnlicher Art geht es eben auch im Roman, dessen ursprünglicher Titel "Vicious Circle" lautet (also "Teufelskreis") und wiederum eine logisch beschreibbare Figur nennt.

Den Nahost-Konflikt als Teufelskreis zu bezeichnen, in dem eine Bluttat die nächste hervorbringt, liegt nahe. Bezwingend ist aber die Genauigkeit, mit der Littell die daran beteiligten Rationalitäten vorführt. Und noch viel schlüssiger ist es, wie er in der Konfrontation der Extremisten auf beiden Seiten die Rationalität des Terrorismus als den Wahnsinn einer Vernunft beschreibt, der für ihre Zwecke jedes Mittel recht ist. Im Verlauf der Entführung kommen sich der Rabbiner und sein Entführer nicht einfach nur näher. Aus der Einsicht in die gemeinsame Frontstellung gegen die Friedensbemühungen der Moderaten auf allen Seiten entwickelt Littell im Gespräch der beiden Zug um Zug und - da minutiös - völlig plausibel ein bizarres Liebesverhältnis, in das zuletzt kein Dritter mehr dringen kann. Es ist aber typisch Littell, dass die Stimme der Vernunft, verkörpert in zwei amerikanischen Charakteren, für den Leser auch im Abrund des Wahnsinns immer präsent bleibt. Und in der Überzeugung, dass die Gewalt der Aufklärung aus Teufelskreisen heraushilft, erweist sich "Die Söhne Abrahams" am Ende doch als beinahe utopischer Roman.

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Eine Suada. Der, der hier spricht und zu sprechen nicht aufhört; der sich erinnern muss, obwohl er vergessen wollte; der die Vergangenheit aufrollt, weil sie ihn einholt; der von den Dingen, die ihm geschehen und denen, die ihm einst widerfahren sind, getrieben wird, weil ihm die Kraft fehlt, sie selbst zu bestimmen - er heißt George Verney. Er war, es ist Jahre her, ein erfolgreicher Gesellschaftsjournalist, Teil der besseren Gesellschaft von Brisbane und lebt, nach einem weit über ihn persönlich hinausreichenden Skandal diskreditiert, im Kaff Highwood in den Bergen an der Grenze des australischen Bundesstaats Queensland. Der Skandal ist das, was ihn einholt und aus der Perspektive dieses Einholens, im Rückblick also, wird er von George Verney erzählt.

Rückblick heißt in diesem Fall nicht Distanz. Ganz im Gegenteil, das Geschehene ist wieder da, etwas Verdrängtes, das auftaucht, auf einen Schlag, mit einem Telefonanruf, nach zehn Jahren. Ein Mord ist geschehen, ein abscheulicher Mord. CharlesMonohan ist in einem kleinen Umspannwerk in der Nähe von Highwood gefoltert worden und durch Stromstoß verbrannt. Monohan war in den Skandal damals verwickelt, ein Freund von George Verney, aber auch ein Konkurrent um eine Frau, sie hieß Maybellene. George Verney hat Charlie nicht gesehen seit damals. Wie kann es sein, dass der offenbar zu ihm wollte? Und wer kann etwas gehabt haben gegen ihn, der nicht mehr derselbe war nach den Ereignissen einst? Diesen Fragen geht George nach, er wird, nicht weil er will, sondern weil etwas in ihm muss, zum Archäologen der eigenen Vergangenheit, die das Buch nach und nach in Rückblenden entfaltet.

Den Skandal in Brisbane gab es wirklich, Ende der achtziger Jahre. Eine korrupte Gesellschaft mit Hintermännern von Hintermännern von Hintermännern. GeorgeVerney hat das nie wirklich durchschaut als kleine Nummer, das muss er auf seiner Recherche nachträglich erfahren. Der Mangel an Klarheit hat allerdings auch einen sehr eindeutig bennenbaren Grund: Seine Vergangenheit ist durchtränkt, ganz buchstäblich, von Alkohol, Strömen von Alkohol, die nun auch das Erinnern selbst, dieSuada, die dieser Roman ist, zu einem einzigen mal reißenden, mal strudelnden, mal fast stillstehenden Fluss machen. Dieser Strom, diese Suada, diese unendliche Trinkerei , in der das Gefühl für die Zeit, für die Wirklichkeit, für die Grenzen des eigenen Selbst sich auflösen bis hin zur Selbstzerstörung, das ist es, worauf Andrew McGahan mit seinem Trinkerroman "Last Drinks" hinauswill.

Die doppelte Auflösung, zu der der Roman strebt, verfestigt sich aufs Ende hin zum nicht unbedingt reizvollen Widerspruch. Das strudelnde Chaos des - irgendwann nicht mehr rein retrospektiven - Sich-zu-Tode-Trinkens wird von der detektivischen Mustererkennung konterkariert, ohne dass der Roman daraus eine interessante Spannung bezieht. Die destruktive Auflösung der Subjekte und die rekonstruktive Auflösung des Falls verstärken einander nicht, sondern nehmen sich gegenseitig Kraft und Glaubwürdigkeit. "Last Drinks", der erste - und laut Selbstauskunft leider auch letzte - Versuch des hoch angesehenen Autors im Kriminalroman-Genre, hat einzig den Fehler, dass er den vermeintlichen Regeln des Genres zu treu ist. Denn dass geschürzte Rätselknoten am Ende sauber auseinandergedröselt gehören, steht nirgends geschrieben.

Robert Littell: Die Söhne Abrahams. Scherz. 348 Seiten. 17,90 Euro

Andrew McGahan: Last Drinks. Antje Kunstmann Verlag. 464 Seiten. 22 Euro