Mord und Ratschlag

Poesie der Straße

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
13.05.2013. Giancarlo de Cataldo "König von Rom" lehrt, niemals Gefälligkeiten von einem Camorraboss anzunehmen. Mike Nicol besingt in seinem "Killer Country" das Grau Südafrikas, das noch trister sein soll als das Grau Berlins.
Wahrscheinlich braucht es für jede Karriere einen Moment der Skrupellosigkeit. Giancarlo de Cataldo verdankt seinen Erfolg der Maglianabande. Ohne diese Supergangster, die in den siebziger Jahren das Verbrechen in Rom nach Mafia-Vorbild organisierten und beherrschten, hätte der Richter de Cataldo niemals den Stoff gefunden, aus dem sich solch eine opulente Verbrechenssaga wie sein mehrfach verfilmter "Romanzo Criminale" stricken ließ: Draufgängerische Kleingangster jagen den Marseiller und Neapolitaner Mob aus Italiens Hauptstadt und übernehmen den Drogenhandel, das Rotlichtmilieu und alle notwendigen Verbindungsstellen in Politik wie Justiz. "Ich entschied mich als Autor dafür, diesen Prozess zu übernehmen, nicht als Richter", zitiert ihn Tobias Gohlis in seinem Nachwort. De Cataldo verurteilte 69 Angeklagte zu insgesamt 500 Jahren Gefängnis, kündigte seinen Job am Schwurgericht und lebt heute als Autor vom Organisierten Verbrechen, das sich literarisch wie finanziell als äußerst einträglich erweist.

De Cataldos neuester Streich ist "Der König von Rom". Der kurze Roman erscheint ganz im schwarzen Schnitt, aber auch sonst wäre sehr bald klar, dass es sich hierbei um einen Noir handelt, wie man ihn sich durchtriebener kaum vorstellen kann: Er erzählt ein Kapitel aus der Vorgeschichte der Magilanabande: Libanese, der intelligente und charismatische Kopf der Bande, unternimmt 1976 einen ersten Versuch, Herrscher der römischen Unterwelt zu werden. Den dafür nötigen Killerinstinkt hat der Kleingangster aus der römischen Vorstadt ganz eindeutig.

Libanese rettet im Gefängnis einem Neffen von Pasquale O' Miracolo das Leben. Der große Camorraboss erweist sich erkenntlich und bietet Libanese für 300 Millionen Lire Heroin aus einer frisch eingetroffenen Schiffsladung an. Libanese versucht, nach seiner Entlassung aus dem Knast, alles Mögliche, um an das Geld zu kommen: Erst probiert er es mit Glückspielen und Drogengeschäften, dann ersinnt er die Entführung eines reichen Baulöwen. Immer an seiner Seite sind seine Kompagnons: Der Salonlöwe Dandi, der opportunistische Buffalo und der etwas weniger intelligente, aber loyale Scrocchiazeppi. Über allem strahlt die schöne Studentin Giada, die zusammen mit anderen Kindern der Bourgeoisie in einer linken WG die Revolution vorbereitet. Libanese ist Feuer und Flamme für die Frau, wobei er sich selbst noch keine Klarheit verschafft hat, ob er über sie Zugang zu einem anderen Leben will oder an das Geld ihrer kiffenden und koksenden Kommilitonen.

In kurzen, schlaglichtigarten Bildern skizziert de Cataldo das Porträt des Gangsters als jungen Mann, dessen Mutter die alte Hure Rom war und dessen Lehrmeisterin die Straße. Die Schläue und den Schneid, die sie ihm mitgegeben haben, lässt er sich von niemandem abkaufen. Grandios sind die Szenen, in denen er schafft, sich Don Pasquale zu entziehen, der es gut mit ihm meint: Wie reagieren, wenn einem ein Camorraboss einen Wunsch erfüllen will? Eine heikle wie gefährliche Situation: "Um etwas zu bitten, hieß sich zu unterwerfen, und Unterwerfung war nie eine gute Strategie. Um nichts zu bitten, hieß stolz zu sein, und auch Arroganz war keine gute Strategie."

In einer anderen Szene stellt er mit der ganzen Frechheit eines jungen Revolutionärs das alte Hierarchiesystem der Camorra bloß, dem diese so gern einen ehrwürdigen Anstrich gibt: Der alte Boss erzählt von den heiligen Banden und vom Erzengel Michael, der edle Männer rekrutieren ließ, die nach der ewigen Regel die Geschicke der auserwählten Elite leiten sollten: Dem Obersten müsse solange Gefolgschaft geleistet werden wie dieser sich würdig erwies. "Der liebe Gott, der Hl. Michael, das Pergament, das Geheimnis... Was war an einer Bande, bei der du unten bist, solange du schwach bist, und im Augenblick der Stärke den ersetzt, der eben noch über dir war, göttlich, heilig und geheim?" Es ist doch nur das Gesetz der Straße. Als Richter hätte de Cataldo es verachten müssen, als Autor schlägt er daraus Funken: Wenn er die Schönheit einer Schlägerei beschreibt, dann verdichten sich seine Bilder zu dunkler Poesie, der Poesie der Straße.

Giancarlo de Cataldo: Der König von Rom. Roman. Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl. Folio Verlag, Wien 2013, 159 Seiten, 19,90 Euro


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Einer der wunderbarsten Orte des Kalten Krieges war das Café Adler in Berlin, gleich gegenüber vom Checkpoint Charlie. Das Lokal mit seinen hohen Fenstern und großen Spiegeln, mit Mosaik-Fußboden und denkmalgeschützter Kassettendecke war in der gründerzeit eine Apotheke gewesen, im hinteren Treppenhaus konnte man an den Wänden noch die Wahlkampf-Parolen von KPD und SPD aus den zwanziger Jahren lesen. Im Café Adler trafen sich die ausländische Journalisten mit Ost-Berliner Dissidenten, der Literaturredakteur der nahen taz las dort seine Manuskripte, und während türkische Studenten kellnerten, versammelten sich dort die Geheimdienstler von CIA, MI6 und KGB, die allesamt in den umliegenden Häusern ihre mehr oder weniger konspirativen Wohnungen mit Blick auf den Grenz-Übergang unterhielten.

Dass Mike Nicol das inzwischen geschlossene Café in seinem Roman "Killer Country" vorkommen lässt, spricht also sehr für seine Weltläufigkeit. Der Südafrikaner kann dem Lokal sogar noch eine weitere Facette hinzufügen mit der - absolut plausiblen - Fiktion, dass sich die Waffenhändler des ANC hier mit ihren Lieferanten aus den verschiedenen Ostblock-Ländern getroffen haben. Stichwort Waffenhändler. Killer Country ist sozusagen die Fortsetzung von Nicols Roman "Payback", in dem das schwarz-weiße Duo Pylon Buso und Mace Bishop versuchen, einer Vergangenheit zu entkommen, die politisch ehrenwert war, aber auch undurchsichtig und grausam.

Der Roman beginnt mit einer gespenstischen Szene im Pollsmoor Gefängnis von Kapstadt: Ein Mann ist in einer der überfüllten Gemeinschaftszellen ermordet worden, sein Kopf abgetrennt, sein Herz herausgerissen und vermutlich aufgegessen. Man merkt gleich: Südafrikas Obergangster haben großes Interesse an dem Geschäft, um das es hier geht. Es ist bedauerlicherweise das gleiche hochpreisige Immobilienprojekt, mit dem auch die Pylon und Mace den Sprung in die Wohlanständigkeit schaffen wollen. Bisher haben sie es nur zu einer entsprechenden Fassade in einem Kapstadter Vorort geschafft, wo Ärzte aus dem Kongo und Lehrer aus Angola für Pfennigbeträge die Parkplätze bewachen und alle arrivierten Paare eine Aids-Waise adoptiert haben. Doch ihr Geld müssen sie sich immer noch mit dem Schutz von reichen Engländern verdienen, die auf Großwildjagd gehen, während sich ihre Frauen in der Schönheitsklinik unters Messer legen.

Auch alle anderen wollen ins Geschäft ein- und aus ihren vorherigen Aktivitäten aussteigen: Der Kartellchef muss sein Drogengeld waschen; der Richter will dem Schatten seines mörderischen Vaters entkommen, der ein williger Vollstrecker der Apartheid war; und die Anwältin kämpft gegen ihre Dämonen aus der Zeit des Befreiungskampfs. Eben jene Sheemina February, deren Rachegelüste meist umstandslos in Erotikfantasien übergehen, wird als erste einen Killer ins Spiel bringen. Das Katz-und-Maus, das sich hieraus zwischen Kapstadt, Johannesburg und Berlin entspinnt und einige Händler des Todes das Leben kosten wird, mag vielleicht ein bisschen zu überdreht geraten sein, aber Nicol verliert bei aller Turbulenz nicht das Ziel seines Erzählens aus den Augen: Die Spuren der Gewalt, die sich der südafrikanischen Gesellschaft eingeprägt haben. Die geleugnete Gewalt, verdrängte Schuld und alte Ungerechtigkeit der Apartheid kehren im Südafrika des Regenbogen wieder: als Unrecht, Rache und Macht des Geldes.

Eine großartige Gestalt ist dabei der auf Mace und Pylon angesetzte Killer, der elegante Mister Spitz mit einer Vorliebe für Budapester Schuhe, bayrische Biergärten und hervorragender, aber ausgesprochen trister Country-Musik: Lieder aus den Badlands für ein Land voller Wahnsinn und Mord, aber auch die Liebe bringt nur Unglück: Johnny Cash natürlich, aber sehr schön auch Emmylou Harris, Sixteen Horsepower, M Ward, Jesse Sykes and the Sweet Hereafter. Eine Playlist ganz ohne Kwaito, so deprimierend wie die enttäuschten Hoffnungen in einem Land, in dem es immer weniger Schwarz und Weiß gibt, aber immer mehr Dunkel: "Jemals einen graueren Ort im Regen gesehen als Soweto?", fragt jemand, "sogar noch schlimmer als Berlin".

Mike Nicol: Killer Country. Roman. Aus dem Englischen von Mechthild Barth. btb, München 2012, 508 Seiten, 14,99 Euro