Mord und Ratschlag

Psychokram auf ordentlichem Niveau

Die Krimikolumne. Von Ekkehard Knörer
12.10.2004. Tod eines Kochs in der Kühlkammer, eine Kommissarin, die Schusswaffen hasst, und ein indischer Detektiv, der sich als Hühnchenfuttervertreter verkleidet: neue Krimis von Carmen Posadas, Astrid Paprotta und H.R.F. Keating.
Wenn einem im Hause Suhrkamp Kriminalliteratur gereicht wird, darf man erst mal neugierig sein, denn das geschieht ja selten genug. Und der Roman "Kleine Infamien" der aus Uruguay stammenden, in Spanien lebenden Autorin Carmen Posadas ist jedenfalls etwas Kriminalliteraturähnliches. Zu Beginn stirbt ein Koch in der Kühlkammer, deren Tür, soviel ist klar, jemand zugestoßen hat. Ort der Handlung: Ein Landhaus, wie es Agatha Christie nicht besser hätte erdenken können. Versammelt sind der Koch, der Kunstsammler, seine Frau und ihr Liebhaber - und als Garnierung eine Mischung aus verschrobenen Sammlern, neurotischer Gesellschaftsschickeria und Dienstpersonal, das auch nicht ganz bei Trost ist.

Die satirische Absicht ist rasch erkannt, die Ausführung verstimmt. Genau eine Vorgeschichte und Psychomacke gönnt Posadas jeder ihrer Figuren, nichts wird entwickelt, alles wird endlos wiederholt, ist Verdachtsmoment und Entlarvungsversuch und Psychologieersatz zugleich. Die Auflösung, das verwundert dann nicht mehr, ist so egal wie unglaubwürdig - und die Schlusspointe schlechterdings abgeschmackt. "Kleine Infamien" ist versalzene Suppe, Suhrkamp bleib bei deinen Leisten.

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Für einen Moment ist auch von Astrid Paprottas "Die ungeschminkte Wahrheit" Schlimmes zu befürchten, nämlich ein Serienkillerroman aus deutschen Landen. Zum Glück nur eine falsche Fährte, von der Autorin intelligent gelegt. Überhaupt schlägt der Hase hier manch verblüffenden Haken, ehe man kapiert, wie er läuft. Eine Menge Tote sind zunächst zu beklagen, Obdachlose, Grenzgänger und Außenseiter der Gesellschaft, erschossen und im Tode entstellend geschminkt. Im Zentrum der Geschichte steht, ohne dass man zunächst recht weiß, warum, die Moderatorin Denise Berninger mit ihrer "Aktenzeichen-XY"-ähnlichen Sendung "Im Fadenkreuz". Die männlichen Mitglieder der Polizei himmeln sie an. Es ermittelt Kommissarin Ina Henkel, die belastet ist durch das Trauma eines Schusswaffengebrauchs mit tödlichem Ausgang. Das ist, nebenbei bemerkt, so Psychokram, den man eigentlich auch nicht mehr lesen will, aber wenigstens ist es bei Paprotta Psychokram auf ordentlichem Niveau.

Auch sonst ist der Roman sorgfältig gearbeitet. Falsche Fährten, Sommerhitze, angeschlagene Helden, eine anrührende Liebesgeschichte, Vertuschungsaktionen, ein großer Skandal, ein Wettlauf gegen die Zeit, das ist spannend und gut geschrieben. Paprotta ist erkennbar bemüht, Außenseiter der Gesellschaft ins Zentrum ihrer Geschichte zu rücken, ohne dass sie dabei je in die Gefilde der Sozialreportage abrutschte. Alles in allem ist "Die ungeschminkte Wahrheit" so ungefähr das literarische Pendant einer gelungenen "Tatort"-Folge - und damit besser als der größte Teil der literarischen Krimiproduktion aus deutschen Landen.

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Einige der sympathischsten und interessantesten Serien-Gestalten des Krimigenres findet man in aus westlicher Sicht eher abgelegenen Gegenden des Globus. Dazu zählt der wunderbare Napoleon "Bony" Bonaparte, halb weiß, halb Aborigine, im fernen Australien, der die Kunst des Wartens zum detektivischen Problemlösungsverhalten erhoben hat. Erfunden hat ihn in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts der nach Australien ausgewanderte Engländer Arthur W. Upfield und die Frage nach dem möglicherweise kolonialistischen Blick auf seine Ermittlerfigur ist ebenso berechtigt und letzten Endes gegenstandslos wie in einem anderen Fall, um den es hier gehen soll.

Der Krimikritiker und Krimiautor H.R.F. Keating nämlich, Engländer auch er, hat es gewagt, Ende der sechziger Jahre einen - ausgerechnet - indischen Polizisten in die Welt zu setzen, Inspektor Ghote, der - ausgerechnet - ein deutsches Handbuch zur Bibel seines Kampfes gegen das Verbrechen in Indien erkoren hat. Das Umfeld, in dem Ghote seine nicht unbeträchtliche Zähigkeit erproben kann, mag indisch sein, der Blick von Orientalismus gelegentlich nicht ganz frei, die Eigenarten der in ihnen lebenden Menschen aber - ihre Schwächen vor allem - kommen einem rasch sehr vertraut vor.

In "Inspector Ghote zerbricht ein Ei", dem jetzt in überarbeiteter Übersetzung neu aufgelegten Band, hat der Inspektor, von Bombay in die Provinz abgeordnet, eigentlich keine Chance gegen den Abgrund von Korruption und Machtmissbrauch, dem er sich konfrontiert sieht. Er bekommt - aber auch nur aus machtpolitischen Gründen - den Auftrag, einen Politiker des lange zurückliegenden Mords an seiner Gattin zu überführen. Er verkleidet sich als Hühnerfuttervertreter und beißt immer wieder auf Granit. Ein heiliger Mann agitiert gegen ihn, durch Hungerstreik. Mit List, Tücke, Glück, Verstand und Wagemut setzt sich Ghote gegen alle Widrigkeiten zur Wehr und es ist eine Lust, ihm dabei zuzusehen. Er ist kein eitles Genie wie Hercule Poirot, sondern ein kleiner Mann ganz groß. So kauzig wie wild entschlossen, so freundlich wie zäh. Eine wunderbare Erfindung, es besteht aller Grund zur Vorfreude auf die Bände, die hoffentlich folgen.


Carmen Posadas: Kleine Infamien. Suhrkamp Verlag 2004. 281 Seiten, gebunden, Euro 19,80

Astrid Paprotta: Die ungeschminkte Wahrheit. Piper Verlag 2004. 332 Seiten, kartoniert, Euro 13,00

H.R.F. Keating: Inspector Ghote zerbricht ein Ei. Unionsverlag 2004. 224 Seiten, kartoniert, Euro 9,90