Mord und Ratschlag

Schottisches Testosteron

Die Krimikolumne. Von Michael Schweizer
10.10.2003. Die schottische Polizei fälscht Beweise, stiehlt, prügelt, mordet. Zumindest in Ian Rankins Krimi "Die Tore der Finsternis".
"Die Tore der Finsternis" ist für Ian Rankins dreizehntes Buch um Detective Inspector John Rebus aus Edinburgh kein überzeugender Titel. Das originale "Resurrection Men" trifft die Nuancen des Themas viel besser, lässt sich aber gerade wegen dieser Vielschichtigkeit schwer übersetzen. Rankins Roman handelt über weite Strecken von Männern, die, so das Wörterbuch, dringend eine "Errettung" brauchen, ein "Wiederaufleben" als soziale Wesen. Manchen könnte nur noch eine "Exhumierung" und "Auferstehung" helfen. Und im Grunde liegt das nicht an irgendeinem individuellen Unglück, das sie produziert haben. Sondern daran, dass sie Männer sind.

Sechs Polizisten sind ihren Vorgesetzten derart auf die Nerven gegangen, dass sie auf das Scottish Police College in Tulliallan zu einem Strafkurs geschickt wurden. Unter Leitung des strengen Detective Chief Inspector Tennant sollen sie wieder Teamwork lernen. Doch einer ist ein Maulwurf: John Rebus wurde vom Polizeipräsidenten auf die Glasgower Kollegen Gray, McCullough und Ward angesetzt. Sie stehen im Verdacht, vor Jahren das Vermögen des Drogendealers Bernard Jones an sich gebracht und dessen Ermordung in Auftrag gegeben zu haben. Als aber Tennant den ungelösten Fall präsentiert, an dem der Kurs üben soll, fürchtet Rebus, dass nicht er die drei Glasgower, sondern sie ihn überführen werden. Es geht um den Gangster Eric Lomax. Wer ihn erschlagen lassen hat, weiß Rebus nur zu gut, und wenn es herauskäme, flöge er aus dem Dienst. Der dritte Fall, auch schon Jahre alt: In Edinburgh wurde eine blinde Frau vergewaltigt, wenig später verschwand ein Krimineller, den Rebus gut kannte. Und der vierte, einzig neue: Ein reicher Kunsthändler wird erschlagen und wenig später eine Prostituierte erstochen, der er die Miete bezahlt hatte.

Das hängt alles miteinander zusammen. Korrupte, unfähige, geldgierige Beamte haben die Finger überall drin, andere, frustriert darüber, dass die Verbrecher auch nicht besser sind, dulden oder verüben Selbstjustiz. Die schottische Polizei, wie Rankin sie schildert, fälscht Beweise, stiehlt, prügelt und mordet. Jede Abteilung kämpft gegen alle anderen. Zweckbündnisse und sogar Freundschaften bilden sich, aber auch in denen wird viel verschwiegen und gelogen.

Für Rankin sind das Merkmale einer Männergesellschaft. Der Kurs in Tulliallan versammelt eine Horde von Primaten, jeder gewillt, den anderen zu demütigen. Stets liegt eine Schlägerei in der Luft. Die, die alleine leben, ernähren sich von Bier und bügeln ihre Hemden nicht. Vom Testosteron gebeutelt, haben sie für jede Frau einen ordinären Spruch, je einsamer sie sind, desto zotiger. Ob das damit zu tun hat, dass diese Männer Schotten sind, wird nicht klar; ein Marsmensch jedenfalls könnte dem Roman nicht entnehmen, dass es noch andere britische Länder gibt. Dafür würde er viel über Edinburgh und Glasgow erfahren, einiges über Dundee und Fife, wo Rankin 1960 geboren wurde, und sehr viel über Pubs.

Jeder männliche Polizist misstraut den anderen, und zwar im Prinzip zu Recht: Jeder kann eine Gefahr sein, als Krimineller oder als Anständiger, der nach Kriminellen sucht. Das Misstrauen ist also im Wortsinn grenzenlos, und damit hängen Hauptstärke und Hauptschwäche von Rankins Roman zusammen. Die Stärke: Die vielen Szenen, zusammen mehrere hundert Seiten, in denen Polizisten sich gegenseitig belauern, unter Druck setzen, täuschen, in denen jedes gesprochene Wort einen doppelten Boden hat, zeigen bewundernswert genau, was zwischen diesen Versehrten des Berufs- und Geschlechterkampfes vor sich geht. Nähme man die Dialoge heraus und ersetzte sie durch Substantive auf -ung, hätte man eine Reihe erstklassiger soziologischer und psychologischer Mikrostudien. Wahrscheinlich könnte Rankin auch analysieren, wie ein Unternehmen oder eine Partei tickt, und daraus eine Reihe ausgefeilter Kleindramen machen.

Die einzige Schwäche dieser Dramen: Es sind zu viele. Der Roman läuft aus dem Ruder. Der Leser erfährt über die vier Fälle viele Seiten lang wenig Neues, weil Rankin immer wieder erst noch den nächsten Hahnenkampf schildert. Wieder brillant, aber auch wieder eine Illustration von etwas, das man schon weiß. Selbst ein weiterer Mord wirkt wie beiläufig eingestreut. Man könnte "Die Tore der Finsternis" leicht um 200 Seiten kürzen oder um 200 Seiten Männer-Mobbing verlängern. Der Inhalt frisst die Form. Rankin hat zugelassen, dass das grenzenlose Misstrauen, von dem er erzählt, die Grenzen sprengt, die er seiner Beschreibung kompositorisch hätte setzen müssen.

Richtig ärgerlich wird das kurz vor Schluss. Rebus denkt ab Seite 31 ständig an den Tod von Eric Lomax. Da der Roman weitgehend aus der Perspektive des Polizisten erzählt wird, muss dieser Mord nicht aufgeklärt werden, er ist es von Anfang an. Aber erst auf Seite 527 erinnert sich Rebus in Formulierungen, die dem Leser sagen, was geschehen ist. Das ist ein skandalös billiger Trick. Ohne ihn hätte das Buch die Bestsellerdicke nicht erreicht, die üblich geworden ist, seit Computerprogramme das Schreiben körperlich bequem gemacht haben.

Zum Glück gibt es noch eine zweite Perspektive, die von Detective Sergeant Siobhan Clarke. Es sind die Frauen, die etwas Licht in den schottischen Sumpf bringen, und Siobhan ist die faszinierendste: intelligent, tüchtig, ehrgeizig, realistisch, unzynisch. Rebus zeigt ihr seine gewinnendsten Seiten. Die beiden wären ein Traumpaar. Deshalb wird, wie das in Krimis so ist, wohl auch nichts aus ihnen.


Ian Rankin: "Die Tore der Finsternis". Roman. Aus dem Englischen von Claus Varrelmann und Annette von der Weppen. Manhattan, München 2003, 542 Seiten, gebunden, 22,90 Euro
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