Mord und Ratschlag

Der Tod und die Lüge

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
16.11.2015. Oliver Bottini führt im "Weißen Kreis" seine Freiburger Kommissarin Louise Bonì in die Tiefen der süddeutschen Neonazi-Szene, die nicht halb so undurchdringlich sind wie das Agieren des Verfassungsschutzes. Seamus Smyth antwortet mit seinem ungemein harten Roman "Spielarten der Rache" auf die Amoralität und Bigotterie der katholischen Kirche in Irland.
Die Freiburger Hauptkommissarin Louise Bonì reiht sich nahtlos ein in die internationale Riege der großen Melancholiker der Kriminalliteratur: 45 Jahre alt, trockene Alkoholikerin und ohne feste Beziehung blickt sie auf ein Leben voller Niederlagen und Verluste zurück: "Der Tod und die Lüge, da machte ihr keiner was vor." Hin und wieder schafft sie es, das Scheitern anderen zu überlassen, doch wenn sich ein Kampf lohnt, dann führt sie ihn auch ohne jede Aussicht auf Erfolg.

Mit Louise Bonì hat Oliver Bottini eine der klügsten und überzeugendsten Frauenfiguren im deutschen Kriminalroman geschaffen. "Im weißen Kreis" ist ihr sechster Fall, ein schöner Roman trotz oder gerade wegen seiner traurigen Grundstimmung, schlank und elegant, mit tollen Dialogen und einem sehr glaubwürdig geschilderten Polizeialltag, der nichts beschönigt, oft erschreckt und doch für seine Figuren einnimmt.

Am Geburtstag ihres kürzlich gestorbenen Chefs sitzt Bonì, während sich ihre Kollegen gemeinsam besaufen, allein auf ihrem Balkon und zündet ihm eine Kerze an. Aus der trübseligen Stimmung wird sie von einem Undercover-Polizisten gerissen, der sie unter der Hand informiert, dass jemand bei der russischen Mafia zwei Waffen gekauft hat, eine Makarow und eine Tokarew. Das russische Milieu gedeiht in Baden-Baden ganz prächtig. Während die Gesellschaft zwischen Kurhäusern, Festspielhaus und Casino dem gediegenen Luxus frönt, erledigen die Sicherheitschefs in den Hinterhöfen die heiklen Geschäfte. Die Freiburger Kripo ist höchst alarmiert, verfolgt die Boten und stößt prompt auf ein Geflecht alter und neuer Nazis.

Worauf das Ganze hinausläuft, weiß man von dem Moment, an dem ein Fahrradfahrer mit Baseballkappe an einem der Tatorte bemerkt wird. Das Bild der NSU-Mörder hat sich so tief eingebrannt in die Netzhaut, ein kurzes Aufblitzen dieses Motivs reicht aus, um ahnen zu lassen, dass LKA, Verfassungsschutz und Innenministerium die Ermittlungen tatkräftig sabotieren werden.

Bottini erzählt im "Weißen Kreis" nicht die Geschichte des NSU, er erzählt eine ganz typische Geschichte aus dem rechtsextremen Komplex: die Einmischung des Geheimdienstes, der mit seinen V-Leuten das braune Milieu eher stärkt als bekämpft, der sich nie erklären und nie verantworten muss, aber das Recht auf allen Wege versperren oder sabotieren darf. Ihren toten V-Mann holen die Geheimdienstler aus der Gerichtsmedizin und erklären - schön pikant - einen diabetischen Schock zur Todesursache des jungen Mannes.

Bottini wirft auch ein erhellendes Schlaglicht auf das Leben von Neonazis, die sich Paketbooten oder auf dem Campingplatz verdingen, immer schön am Rockzipfel des Verfassungsschutzes oder der russischen Mafia, und äußerlich nur noch auf den zweiten Blick zu unterscheiden sind von der Antifa, deren Dresscode und Organisationsformen sie schon lange übernommen haben: "Gegen Rassismus", steht auf ihren Jacken heute, "für die Erhaltung der Völker und Kulturen".

Dabei bleibt Bottini dicht an der Seite seiner Freiburger Ermittlerin Bonì, der von den Landes- und Bundesbehörden immer wieder Steine in den Weg gelegt werden. Warum die so agieren und wer die genau sind, bleibt so vage wie die Ergebnisse eines Untersuchungsausschuss. In den entscheidenden Momenten rauscht stets ein Herr aus Stuttgart ins Dezernat und reißt alles an sich.

Dafür stellt er seiner Kommissarin zwei sehr ungleiche Verbündete an die Seite: Einen neuen Chef, der ihr und ihrem Urteil vertraut - eine seltene Figur im Kriminalroman. Und den Ruander Ludwig Kabungu, von dem man nicht recht weiß, ob er ein guter oder böser Geist ist. Er ist das mögliche Ziel des geplanten Neonazi-Anschlags und ein Seelenverwandter Bonìs: voller Einsamkeit und Schuld, aber auch voller Fantasie. Kabungu ist aus Ruanda nach Freiburg gekommen, um die Gebeine von Großvater Mabruk zurückzufordern, die deutsche Anthropologen einst aus dem damaligen "Deutsch-Ost" für ihre anatomische Sammlungen nach Deutschland verschleppten. Dieser Kabungu streift Tag für Tag durch das Städtchen, immer am Bächle entlang, ohne sich von den Attentatsplänen beirren zu lassen. Von ihm wird Louise Bonì lernen, all die Toten, die sie umgeben, nicht mehr zu fürchten.

Oliver Bottini: Im weißen Kreis. Roman. Dumont Verlag, Köln 2015, 300 Seiten, 14,99 Euro ()

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"Wie kann man beweisen, dass man gut ist?" Der Junge, der das fragt, ist in einem Waisenhaus der katholischen Kirche aufgewachsen, im Irland der fünfziger Jahre, und wie seine Leidensgenossen wurde er geprügelt, misshandelt und stets in dem Glauben gelassen, dass seine Familie ihn weggegeben hat, weil er es nicht anders verdient habe. Doch der Junge will nicht glauben, dass er schlecht ist, auch wenn die Ordensleute den verstörten Bettnässer jeden Morgen wieder mit einem Lederriemen verprügeln lassen, vom eigenen Zwillingsbruder. Auf seine Frage wird der Junge keine Antwort mehr finden, wenige Tage später stirbt er, und wird wie Hunderte anderer Waisen in einem anonymen Massengrab verscharrt.

Es ist ein berührender Moment in Seamus Smyth' Roman, aber um falschen Erwartungen vorzubauen: Es ist ein Moment absoluter Ausnahme, denn Smyth antwortet auf die Enthüllungen über die grausame Welt der katholischen Waisenhäusern, die Irland seit etlichen Jahren quälen, auf die denkbar härteste Form. "Spielarten der Rache" ist ein absolut finsterer Roman, der bis zum Äußersten geht, um vor Augen zu führen, dass ein solches System nur Übles hervorbringen kann. Smyth erzählt die Geschichte von Red Dock, der gezwungenermaßen seinen Bruder Sean in den Tod prügeln musste. Red Dock überstand das Regime der Waisenhäuser, und was er von dort mitbekam, bereitete ihn bestens auf ein Leben in Dublins Unterwelt vor: Härte, Zynismus, Grausamkeit. Dabei bleibt er über Jahrzehnte hinweg getrieben von dem Wunsch nach Rache an allen, die einst mithalfen ihn zu verstoßen oder denen sein Schicksal gleichgültig war. Und weil er seine Moral den Unbarmherzigen Brüdern verdankt, trifft seine Rache nicht die Verantwortlichen, nicht seine einstigen Peiniger, sondern völlig Unschuldige.

Die Spielarten der Rache, die Smyth in diesem Roman aus verschiedenen Perspektiven durchexerziert, erstrecken sich über vierzig Jahre. Red Dock wird töten, erpressen, ein Baby kidnappen und unbeteiligte Frauen in den Wahnsinn treiben. Der einzige, der seinem Feldzug in die Quere kommt, ist ein psychopathischer Serienmörder, der nicht nur wegen seiner hochtrabenden Künstlerattitüde den Spitznamen Picasso trägt, sondern auch weil er nach seinen Morden die zerstückelten Opfer auf irgendwie kubistische Art neu zusammensetzt. Auch Picasso ist in einem katholischen Waisenhaus zugerichtet worden. Ausgerechnet ihm verdankt das Buch eine zärtliche Passage, in der er sich an die Verbundenheit der beiden Zwillingsbrüder Red und Sean erinnert. Es ist eine der ganz wenigen Passagen, in denen Smyth so etwas wie Empathie aufkommen lässt. Den beiden wahnsinnigen Rächern verweigert er sie konsequent, so wie er sich auch gegen jegliche Rationalisierung oder Überhöhung der Gewalt sperrt. Das macht den Roman durchaus zu einer überlegten Antwort, doch in der Brutalität, mit der er seinen Schlag gegen Amoralität und Bigotterie führt, schwer auszuhalten.

Seamus Smyth: Spielarten der Rache. Roman Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller. Pulpmaster Verlag, Berlin 2015, 266 Seiten, 14,80 Euro ()