Mord und Ratschlag

Show, don't tell

Die Krimikolumne. Von Ekkehard Knörer
27.06.2007. Ein Dienstbote lässt seinen Herrn töten. Doch der Traum von Geld und Glück platzt. Elmore Leonard liefert mit "Callgirls" eine feine Etüde über menschliche Grobheit. In Rainer Gross' grüblerischem Debüt "Grafeneck" bringt eine mumifizierte Leiche verdrängte Naziverbrechen an den Tag.
"Callgirls", im Original "Mr. Paradise", ist in den USA vor drei Jahren erschienen. Elmore Leonard, ohne jeden Zweifel einer der besten lebenden Autoren der Kriminalliteratur, hat unterdessen, auch mit über achtzig Jahren nicht faul, zwei weitere Romane veröffentlicht. "Callgirls" erscheint bei uns nur als Taschenbuch, das noch dazu ziemlich billig aussieht, lieblos aufgemacht wie x-beliebiger Ramsch. Schon seltsam, möchte man denken, wäre man nicht lange genug desillusioniert, was den Umgang deutscher Verlage mit jenen Großen der US-Spannungsliteratur angeht, die es bei uns, warum auch immer, aber als Folge mangelnder Liebe und Kenntnis von Verlagsseite gewiss nicht zuletzt, nie zum Bestseller-Status gebracht haben, von George Pelecanos zu Donald Westlake, von Lawrence Block zu Joe Gores.

Und eben Elmore Leonard, der nach nicht immer überzeugenden Büchern in den letzten Jahren, mit "Callgirls" nun ein spätes Meisterwerk vorlegt. Allerdings ist Meisterwerk ein Wort, das sich mit der Leichtigkeit, mit der Leonard Schweres tut, auf den ersten Blick so gar nicht vertragen will. Denn das Buch liest sich, als wöge es nichts, nur ein leises Rauschen und Rascheln der umgeblätterten Seiten vom Anfang zum Ende, dann ist es vorbei. Man wird sagen können, hinterher, man habe viel gelacht, ein wenig gezittert, man habe mit Menschen, die man gleich mochte, aber vielleicht mit den anderen auch, gehofft und gelitten, man habe gelegentlich auch über das, was sich zutrug, gestaunt, sich insgesamt kein bisschen gelangweilt, und mehr war da nicht. Was Leonard in "Callgirls" demonstriert, ist die schiere handwerkliche Perfektion, die alle Anstrengung in Nichts aufzulösen versteht

Dabei ist es ein typischer Leonard-Roman über das Missglücken und das selbstverschuldete Ertapptwerden - ein perfekter Roman also über die Unvollkommenheit menschlichen Wollens und Tuns, eine feine Etüde über menschliche Grobheit. Ein Schwarzer namens Montez Taylor tötet, nach zehn Jahren als Bediensteter, seinen hoch begüterten Dienstherrn Anthony Paradiso. Vielmehr, damit beginnt das Elend: Er lässt töten, von zwei weißen Rassisten, die zwar einige Erfahrung haben als Auftragskiller, ohne dass man sie doch Profis nennen dürfte. Es kommt zu Komplikationen, denn als Paradisos letztes Stündchen schlägt, ist er, andes als vorgesehen, nicht allein. Chloe, das Callgirl, und ihre Freundin Kelly sind als Cheerleaderinnen engagiert, die die Fernsehaufzeichnungen von Footballspielen live begleiten. So muss, als Zeugin, auch Chloe sterben, Kelly kommt, da aus purem Glück nicht mehr im Raum, mit dem Leben davon.

Was weiter geschieht, ist beinah vorhersehbar: Ein Detective ermittelt, die Mörder sind täppisch, aus den Träumen des Montez Taylor von Geld und Glück wird nichts. Der Detective und die Überlebende Kelly kommen sich näher und alles geht den Gang, den die Dinge im Genre so gehen. Diese Vorhersehbarkeit im Großen macht aber nichts. Leonard hat seinen Roman nicht auf Plot-Originalität angelegt, sondern auf Überraschungen im Kleinen. Die Kunst der Lakonie, die Virtuosität, mit der Leonard nie ein Wort zu viel sagt, ist perfektioniert zum mikrologischen Beziehungsreichtum der Dialoge und Konstellationen. Was in der Beschreibung nur Klischee wäre, wird für den Moment der Lektüre wundersamerweise etwas ganz Frisches und Glaubhaftes. Nichts daran stellt Leonard aus, treu wie je folgt er seiner Devise des "show, don't tell", aber gerade durch seine Kunst der Verbergung der Kunst geht das Können einfach so - als wäre das so einfach - in den anderen Aggregatzustand des reinen Lektürevergnügens über.

***

Es trifft sich gut, dass der andere heute besprochene Roman, Rainer Gross' Debüt "Grafeneck" in manchem das Gegenteil zu Leonards Werk ist. Von einer gewissen Schwere und Erdgebundenheit vor allem, die er aber sehr bewusst sucht. Diese Erdgebundenheit nennt sich ja gerne mal Regionalkrimi, nur dass Gross vorführt, wie man aus der Fokussierung aufs Lokale etwas ganz anderes als provinzielle Literatur gewinnt.

Den Ort Grafeneck, der den Titel gibt, existiert, auf der Schwäbischen Alb. Der Name ist mit einer Anstalt verbunden, in der im Dritten Reich Behinderte als sogenanntes lebensunwertes Leben versammelt und ermordet wurden. Dieses historische Faktum ist der Hintergrund des Romans. Im Vordergrund geht es erst einmal um den Fund einer mumifizierten Leiche in einer Höhle. Der, der sie findet, ist die Hauptfigur des Romans. Hermann Mauser, Hauptschullehrer, etwas kauzig, Anfang sechzig. Sein Vater war unter den Nazis Polizist im Grafeneck nahe gelegenen Ort Buttenhausen, seine Schwester wurde damals in Grafeneck ermordet. Die Höhle, aus der nun die Vergangenheit wieder ans Tageslicht gerät, ist also eine allegorische Höhle, ihre Finsternis eine metaphorische Dunkelheit, die vor allem den Wunsch des Verdrängens und Vergessens bezeichnet.

Nun wird alles wieder aufgewühlt. Mauser sieht sich mit der Frage konfrontiert, ob sein Vater, den er als Widerständler verehrt, ein Mörder war. Ein Ermittler taucht auf, mit dem Mauser sich bestens versteht, beide sind sie theologischen Fragen nicht abgeneigte Tiefgründler. Aber man liest die Tiefgründeleien, die mit Schuld und Erbarmen zu tun haben, nicht ungern, da Rainer Gross überhaupt nicht zum Feierlichen neigt, sondern auch auf diesem Gebiet zu einer eher knappen Erdverbundenheit. Es weht einen, wenn nicht alles täuscht, so ein Georg-Büchner-Ton an aus dem Buch, aber auch dagegen ist wenig zu sagen.

Weder plump noch schrill ist dieser Roman. Er will etwas wissen und hat was zu sagen und ist von den Fragen, die seine Figuren sich stellen, selbst ganz durchdrungen. Gewiss, Gross hat ein Thema, aber er benutzt die kriminalliterarischen Elemente nicht nur als Vehikel. Das Analytische der Kriminalliteratur ist der historischen Nachforschung denkbar angemessen. Und die Figuren sind interessant, und zwar einigermaßen abseits der üblichen Versatzstücke, weil sie aus demselben Stoff wie das Buch selbst sind und sein so überzeugend schwergängiges Grübeln und Denken.

Nicht der Vergleich mit Leonard ist angebracht, denn das ist einfach eine andere Welt. An Titus Kellers (d.i. Helmut Kraussers) Designer-Krimi "Aussortiert" musste ich aber denken, ein etwa zeitgleich erschienenes, so gekonntes wie komplett hohles Stück urbaner deutscher Wegwerfkriminalliteratur, das mit einigem Marketing-Lärm auf den Markt gebracht wurde. Dergleichen Mittel stehen dem kleinen, aber exquisiten Pendragon Verlag nicht zur Verfügung. Nur der gute Geschmack, die Lust an der Entdeckung und ein gelungenes Debüt. Es sind halt, leider, eher die kleinen Verlage, die leisten, wozu die großen Kosten-Nutzen-Kalkulierer bei Bertelsmann, Eichborn & Co nicht willens und in der Lage sind. Auch das ist ein altes Lied.


Elmore Leonard: "Callgirls". Roman. Goldmann Verlag, München 2007. 315 Seiten, Taschenbuch, 7,95 Euro.

Rainer Gross: "Grafeneck". Krimi. Pendragon Verlag, Bielefeld 2007. 191 Seiten, Taschenbuch, 9,90 Euro.