Mord und Ratschlag

Verhasst wie Yoko Ono

Die Krimikolumne. Von Ekkehard Knörer
13.05.2003. In Buddy Giovinazzos Krimi "Potsdamer Platz" räumt die italoamerikanische Mafia höchst blutig mit der russisch-deutschen Mafia auf. Liza Codys neue Heldin Birdie Walker beweist in "Gimme More", dass schöne Frauen jeden Rockstar aufs Kreuz legen. Von Ekkehard Knörer
Kurze Notiz: Den diesjährigen "Edgar", den renommiertesten Krimi-Preis im anglo-amerikanischen Raum, hat, sehr zu Recht, S.J. Rozan (homepage) erhalten, für ihren jüngsten Roman "Winter and Night". Ob das neue Buch jemals in deutscher Sprache erhältlich sein wird, steht - man wagt es kaum zu schreiben - in den Sternen. (Lesen Sie zu Rozan auch die Kolumne vom Oktober 2002).

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Sie glauben Berlin zu kennen? Sie werden es nicht wiedererkennen, wenn Sie es durch die Augen von Tony zu sehen bekommen, den Helden von Buddy Giovinazzos soeben erschienenem Roman "Potsdamer Platz". Tony kommt, zu Beginn, angeflogen aus den USA, stellt fest, dass der Flughafen Tegel sogar noch kleiner ist als der von Newark, New Jersey, seiner Heimatstadt. Dann legt er erst einmal eine Handvoll Leute um. Behilflich ist ihm dabei sein Kumpel Hardy, ein Psychopath, der tötet, ohne Hirn, ohne Herz, und darin anders als Tony, dazu gleich mehr. Die beiden kommen nach Berlin im Auftrag Riccardo Montefories, der ein Mafia-Boss ist in New Jersey (richtig, ganz wie bei den "Sopranos") und ins alte Europa expandieren will. Eine Anfrage des türkischen Bauunternehmers Yossario kommt ihm gerade recht, er will sich, mit dessen Hilfe und ohne dessen Wissen, die lukrativen Bauaufträge am Potsdamer Platz unter den Nagel reißen, wir befinden uns im Jahr 1995.

Das Problem, das es auszuräumen gilt, ist die russisch-deutsche Mafia- und Stasi-Mischpoke, die ihr eigenes Süppchen kochen will. Deshalb die amerikanischen Killer, dergleichen hat der deutsch-türkische Markt nicht zu bieten. Es geht dann aber schief, was schief gehen kann. Hardy tötet die Tochter des Russenmafia-Chefs, der zum Gegenschlag ausholt. Bald ist die ganze Italo-Mafia aus New Jersey angereist, um Ordnung in die zunehmend eskalierende Auseinandersetzung zu bringen. Man kann sich denken, dass das nicht funktioniert. Die Art jedoch, wie es nicht funktioniert, sollte man sich besser nicht auszumalen versuchen. Buddy Giovinazzo übernimmt den Job für uns, manchmal muss man sich dabei die Hand vor die Augen halten und vorsichtig durchblinzeln: es ist auch dann noch blutig genug.

Es kann jetzt aber keiner mehr sagen, das ginge nicht: Hard-Boiled-Literatur der richtig wüsten Sorte in deutschen Landen (naja, es gibt Leute wie Tim Staffel, aber das ist das intellektuelle Spiel mit blutigen Versatzstücken: Giovinazzo ist dagegen "the real thing"). Der Trick ist einfach, aber er funktioniert. Die Gewalt wird mit denen, die sie ausüben, importiert und Berlin erhält, durch die Augen eines amerikanischen Killers, einen blutroten Anstrich, der sitzt wie angegossen. Zusätzlich gibt es einige politisch gewiss nicht korrekte Verfremdungseffekte (erste Begegnung mit Kreuzberg: "Scheiße, wo zum Teufel sind wir hier? Downtown Kairo?"), Neo-Nazis und vor allem einen Killer, der zusehends ans Ende gerät mit seinem Mord-Latein. Der heimgesucht wird von Skrupeln, der sich verliebt in eine deutsche Studentin.

Giovinazzo - selbst Amerikaner in Berlin, Schriftsteller und vor allem Filmemacher (beim letzten, exzellenten "Polizeiruf" mit Edgar Selge führte er Regie) - gibt Tony viel Raum, vor allem in Form von Rückblenden auf dessen Kindheit und Jugend und erste Erfolge im Reiche Montefiore. Auf kurzschlüssige psychologische Erklärungen will das zum Glück nicht hinaus, rundet sich eher zum weitgehend klischeefreien Porträt eines Mannes, dem gerade seine ganze Existenz unter den Händen wegbröckelt und der in einer Weltgegend landet, von der man sich in New Jersey keine Vorstellung macht. "Potsdamer Platz" ist nichts für schwache Nerven. Wer an sowas aber Spaß haben kann, wird riesigen Spaß daran haben.

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Kein bisschen weniger Vergnügen bereitet auch "Gimme More", der neue Roman der Britin Liza Cody, die - in ihren drei vorherigen Romanen - die vielleicht ungewöhnlichste Krimiheldin aller Zeiten in die Welt gesetzt hatte: Eva Wylie, Catcherin und Gelegenheitsdetektivin, nicht die hellste, aber nie um ein Wort verlegen. Codys neue Heldin Birdie Walker ist von ähnlichem Kaliber, nur sehr viel intelligenter, sehr viel gerissener und vor allem das, was Eva Wylie beim besten Willen nicht war: überaus sexy. Jedenfalls war sie es einst, in ihrer großen, nun schon zwei Jahrzehnte zurückliegenden Zeit, als viel beneidete Braut des legendenumwobenen Rock-Superstars Jack Walker (irgendwas zwischen Mick Jagger und John Lennon darf man sich hier vorstellen). Der ist bei einem Unglück ums Leben gekommen, Schuld daran soll, wie in solchen Fällen gerne, die Frau an seiner Seite gewesen sein.

Birdie, bei den Fans verhasst wie Yoko Ono oder Courtney Love, steht längst - there's no business like music business und die Gegenseite hat immer die clevereren Anwälte - mit leeren Händen da und schlägt sich mit Betrügereien eher kleinen als großen Stils durchs Leben. Sie ist ein Chamäleon, wieselwendig, bereit und willens, alle Menschen um sich herum auszunutzen, zu beklauen und, wenn es sein muss, zu bezirzen, um zu bekommen, was sie will. Sie bekommt es stets, und die große Kunst Liza Codys besteht darin, einem diese Heldin - im steten Wechsel zwischen Ich- und Außenperspektive - durch und durch sympathisch erscheinen zu lassen.

"Gimme More" ist dabei manches auf einmal, vor allem ein Einblick ins Musik-Geschäft, nach dem einem alle "Superstar"-Abzockereien als karitative Einrichtungen guter Seelen vorkommen mögen. Am wenigsten ist es vielleicht sogar ein Kriminalroman, denn ein richtiges Verbrechen gibt es nicht, nur ein Geheimnis, von dem man nicht weiß, ob es "Mystery" ist oder bloße Mystifikation, einer der vielen Tricks von Birdie Walker, ein letzter Bluff als großer Coup. Hineingefädelt in diesen Hauptstrang der Geschichte werden Erinnerungen an die Vergangenheit, verkommene Typen und traurige Gestalten, Schleimer und Wichtigtuer, alles also, was da kreucht und fleucht, wo viel Geld ist.

Immer mittendrin, mit viel Geschick die Strippen ziehend, Birdie Walker, eine beeindruckende, eine geheimnisvolle Erscheinung, aber keineswegs nur souverän und alles überstrahlend. "Gimme More" ist nämlich auch ein Roman über das Altern, den Verlust der Schönheit und der Macht, die die Schönheit bedeutet, über den Kampf, den das Überleben einer Frau in einer Männerwelt darstellt. Grandios ist Liza Codys Vermögen, dieser Heldin, die erst dadurch zum wirklich großen Wurf wird, eine Sprache auf den Leib zu schreiben, die rotzig ist und gewandt, präzise und schwungvoll. Das Buch hat (in der großartigen Übersetzung Pieke Biermanns) einen Ton, den man so schnell nicht wieder aus dem Ohr bekommt, eine Heldin, die man so schnell nicht vergisst. Muss man gelesen haben.


Buddy Giovinazzo: "Potsdamer Platz". Roman. Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller. Maas Verlag 2003, Taschenbuch, 411 Seiten, 13,80 Euro

Liza Cody: "Gimme More". Roman. Aus dem Englischen von Pieke Biermann. Unionsverlag 2003, gebunden, 356 Seiten, 19,90 Euro