Mord und Ratschlag

Kunst in Schwarzweiß

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
17.10.2011. Vom Lieben und Sterben in Padua singt Massimo Carlotto in seiner düsteren Mörderballade "Banditenliebe". In Dominique Manottis Politkrimi "Einschlägig bekannt" errichtet die Polizei in der Pariser Banlieue ein Besatzungsregime.
Wenn Massimo Carlotto etwas gegen den Strich geht, dann ist es wohl das Bild, das sich Italiens Nordosten gern von sich selbst macht: als gepflegte Kulturregion, in der Obstbauern und Industrielle Jahr für Jahr und in ehrlicher Arbeit ihren Wohlstand mehren, die liebliche Landschaft am Fuße der Berge hegen und ihren Tag mit einem Spritz auf der Piazza beenden. Denn für Carlotto, der nach seiner Zeit als politischer Aktivist und nach Jahren auf der Flucht und zu Unrecht im Gefängnis noch eine Rechnung mit dem italienischen Establishment offen hat, ist es die Region, in der sich mehr Mafiagruppen tummeln als in Sizilien und Kalabrien zusammen und wo sie vor allem bedeutend größere Geschäfte machen, beim Spritz auf dem Marktplatz oder mit dem Sturmgewehr auf der illegalen Müllkippe. Denn während in Nordeuropa die kosovarische Mafia den gesamten Drogenmarkt übernommen hat, lernen wir von Carlotto, konkurrieren sie im reizenden Padanien gegen serbische und türkische Clans, italienische Polizisten und alle Arten balkanischer Geheimdienste.

Marco Buratti, genannt der Alligator, hat sich nach längerem Gefängnisaufenthalt hier als Privatdetektiv ohne Lizenz niedergelassen. Früher waren ihm die Kunden heilig, heute hängt er mehr an Calvados und Blues. Die untreuen Frauen, denen er nachschnüffeln soll, verpfeift er schon lange nicht mehr, streicht aber trotzdem das Geld von den eifersüchtigen Männern ein. Nebenbei betreibt er mit seinem ehemals linksradikalen Freund Max, La Memoria, eine Kneipe, deren Philosophie er von Mary Gauthier in "I Drink" sehr genau wiedergegeben sieht: "Die Fische schwimmen, die Vögel fliegen, Väter schimpfen, Mütter weinen, die Liebenden gehen weg, und ich trinke."

Doch mit dem behaglichen Leben bei gutem Essen und guter Musik, wird es nichts, jemand will dem Alligator an den Kragen. Vor zwei Jahren hatte er einen windigen Auftraggeber umgelegt, für den er herausbekommen sollte, wer aus Paduas Rechtsmedizin die 30 Kilo Heroin geraubt hat. Nun ist die Geliebte seinen alten Kumpans Beniamino Rossini entführt worden und wird in einem Bordell im französischen Grenoble gefangen gehalten und übelst misshandelt. Beniamino ist ein alter Schmuggler und Ex-Sträfling, den man besser zum Freund hat, denn "als Feind ist er die Pest". Und wenn ein Bandit liebt, dann tut er dies wild und verzweifelt, er nimmt jedes Verbrechen in Kauf, aber keinen Verrat. Die Liebe eines Banditen ist tödlich. Und dazu verdammt, übel auszugehen.

Außerdem lieben in diesem Unterweltsreigen auch eine serbische Gangsterin namens Greta Gardner, die ihre Skrupellosigkeit beim Geheimdienst gelernt hat. Ein korrupter Carabinieri, der eine ehrbare Frau aus einer sehr schönen und sehr geschäftstüchtigen Hure machen will, die ihre besten Tage hinter sich hat. Ein kosovarischer Mafiaspross, der seine Geliebte an den perversen Bruder zu verlieren droht. Die Serben machen dabei ein prima Geschäft, der Kosovo wird unabhängig, und die UCK wird zum bewaffneten Arm des kosovarischen Drogenhandels.

In den dunkelsten Tönen hat Carlotto seine Mörderballade komponiert, traurigschön ist diese Erzählung von Liebe und Verrat, Geschäften und Mord, Drogenhandel und Politik. So schwarz, so bitter und ausweglos ist diese Gangstergeschichte, dass man glauben könnte, der Blues sei in Padua erfunden worden.

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Routineeinsatz
in der Pariser Banlieue: Vier junge Polizisten patrouillieren kurz vor Ladenschluss im Einkaufszentrum von Panteuil. Eine Frau meldet aufgeregt, dass ihr gerade eben das Handy gestohlen wurde: von einem Nordafrikaner, im Trainingsanzug, da ist er raus. Die Streife setzt sich prompt in Bewegung und findet auf der von Sozialbauten umgebenen Place de la Resistance ihren Mann, einen mit großer Geste und neuem Handy telefonierenden Nordafrikaner. Die Polizisten werfen ihn nieder, legen ihm Handschellen an, und natürlich beginnen die Jugendlichen um sie herum, Rabatz zu machen, ein Zehnjähriger droht: "In eurem Kaff hat man euch gefickt, jetzt ficken wir euch in eurer Scheißstadt." Frauen kommen aus den Häusern, schlagen Krach, versuchen ihre Kinder einzufangen, beschimpfen die Polizisten, großes Tohuwabohu, das meiste auf Arabisch.

Den hilflosen Polizisten wird Verstärkung geschickt ("Vier Kinder allein unter Kanaken!"), Mannschaftswagen preschen vor, Tränengasgranaten werden gezündet, Blumentöpfe geworfen, keiner sieht mehr, wer wen verprügelt, Tritte und Schläge in alle Richtungen. Am Ende werden Männer, Frauen, Kinder zu Dutzenden festgenommen und auf das Polizeirevier gekarrt, wo große Freude herrscht: Der Innenminister wird zufrieden sein. So viele Festnahmen wegen Beamtenbeleidigung und Widerstands gegen die Staatsgewalt hatten sie lange nicht in Panteuil.

So grandios verkorkst sieht bei Dominique Manotti ein Einsatz aus, der in guter Absicht erfolgte. Es gibt auch welche, bei denen bedeutend mehr kriminelle Energie am Werk ist, dann sollten sich die Hitzköpfe und Kleindealer aus Algerien und Marokko besser in Acht nehmen vor der Ordnungsmacht. Denn mit der Konkurrenz auf dem Drogenmarkt ist nicht zu spaßen.

In ihrem gewohnt protokollarischen, schnörkellosen Stil schildert Manottis Polizeikrimi "Einschlägig bekannt" den heillos verfahrenen Kampf um Recht und Macht in der Banlieue unter der politischen Ägide des Nicolas Sarkozy. Man liest diesen Krimi, als würde man in einer großen Schaltzentrale die Bilder von Überwachungskameras verfolgen, abwechselnd schalten sich die Monitore ein und zoomen sich die Kameras ins Geschehen. Eine Kamera verfolgt die noch wohlmeinenden Polizeianfänger, die zuerst lernen, wie sie Anzeigen abwehren, eine andere verfolgt einen korrupten Trupp der Drogenbrigade. Ein Monitor zeigt die von ganz oben protegierte Madame la Commissaire in der politischen Lagebesprechung, ein anderer die vereinsamte interne Ermittlerin auf den Spuren eben dieser ehrgeizigen Aufsteigerin. Ein Zoom zielt auf die Kneipe, in der Polizisten mit dem Chef einer Zigeunerbande die nächste Autoschieberei aushandeln, ein anderer auf das Abrisshaus, mit dem auch eine ganze malische Familie verbrennt.

Bei Manotti geht alle Gewalt vom Staat aus. Dabei geht es ihr nicht um einen korrumpierten Polizeiapparat. Über ein paar Beamte, die bei Dealern und Zuhältern abkassieren oder an Illegale überteuerte Papiere verkaufen, würde sich Manotti nicht scheren. Sie zielt auf eine Polizei, die sich auf eigenem Territorium als Besatzungsmacht etabliert, die sich eine ausgeschlossene, aufsässige und natürlich auch delinquente Jugend in der Banlieue zu unterwerfen versucht wie einst die algerische Befreiungsbewegung.

Ganz klar, das ist Kunst in Schwarzweiß, mitunter etwas grobkörnig. Aber so ist das eben bei Überwachungskameras, wie auch bei den Fotos vom Erkennungsdienst: Auf diesen Bildern sieht jeder wie ein Krimineller aus. In diesem Fall hat Manotti die Kamera eben auf und gegen die Überwacher gerichtet.

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Massimo Carlotto: Banditenliebe. Roman. Aus dem Italienischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Tropen Verlag, Stuttgart 2011, 187 Seiten, 17,95 Euro

Dominique Manotti: Einschlägig bekannt. Roman. Aus dem Französischen von Andrea Stephani. Argument Verlag, Hamburg 2011, 250 Seiten, 12,90 Euro