Mord und Ratschlag

Haie in Wien

Die Krimikolumne. Von Ekkehard Knörer
23.12.2004. Beide Krimis spielen in Wien, in beiden beißen wilde Fische zu. Der eine ist von einem Autor wie keiner, der andere von einem Autor wie viele.
Zwei Kriminalromane von Österreichern, beide spielen, zum Teil jedenfalls, in Wien, beide suchen das Groteske im Alltäglichen und in beiden kommt es gegen Ende zum Auftritt den Menschen nicht sehr freundlich gesonnener Fische: Piranhas im einen, Haie im anderen Fall. So weit die teils schon kuriosen Parallelen zwischen Clemens Stadlbauers "Quotenkiller" und Heinrich Steinfests "Nervöse Fische". Es gibt allerdings auch einen kleinen, aber feinen Unterschied. Der eine Roman ist eine möchtegernkomische Satire aus dem Privatradiomilieu, der andere ein weiterer wunderbarer Sonderling eines einzigartigen Autors.

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Viel Blut hilft viel, das die offenkundige Devise von Clemens Stadlbauer, dem es auch sonst nicht um irgendwelche Subtilitäten zu tun ist. Gemetzelt wird, im Studio eines Privatradiosenders, der Moderator Tommy König. Der ermittelnde Kommissar bekommt es mit allerlei unsympatischen oder überehrgeizigen, in der Regel eher sowohl unsympathischen als auch überehrgeizigen, in jedem Fall aber eindimensionalen und deshalb ganz uninteressanten Figuren zu tun, die ihre Motive hätten zum Mord und die Gelegenheit auch. Dazu werden Nebenplots gestrickt. Einer von ihnen wartet mit einer Liebesgeschichte auf und einer Pointe, die nach der Hälfte des Romans auch nichts mehr rettet.

Außerdem sind Drogen, Auftragskiller, Ehebrecher und die erwähnten Piranhas im Spiel. Und, wie gesagt, viel Blut, viel Gewalt, aber alles nicht so Ernst gemeint, drum hat es wenig Sinn, sich über den in keiner Haltung zur Welt gegründeten Spaß dieses Buchs daran groß zu echauffieren. Ärgerlicher schon, dass es dem Roman, anders als den Piranhas, an den entscheidenden Stellen an Biss fehlt. Der Autor, der aus dem Milieu stammt, macht sich mit den Privatradioleuten, die der Gegenstand seiner Satire sind, im Grunde gemein. Die Satire bleibt vorgetäuscht, der Krimi ist nichts anderes als die Fortsetzung der privatradiotypischen Witzelsucht mit anderen Mitteln. Mit Literatur hat er - nicht nur darum - nichts zu tun. Die Freude des Autors am Ausbuchstabieren noch des plattesten Scherzes ist das Gegenteil von Witz, sein Wille zum flächendeckenden 1:1 der sprachlichen Weltbeschreibung ermüdet auf Dauer ungeheuer. Da hilft das Blut nicht und nicht der schlechte Geschmack. Der verkleidet sich als Kritik, ist in Wahrheit aber das Programm von "Quotenkiller". Schade, dass dieses Machwerk in der sonst verlässlichen Krimireihe des Unionsverlag erscheint.

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Mit einer nicht sehr schönen Leiche beginnt auch Heinrich Steinfest, die Umstände sind jedoch durchaus besondere. Gefunden nämlich wird sie im Swimmingpool auf dem Dach eines Wiener Hochhauses. Ermordet wurde sie, da staunt der Kommissar, von einem Hai. Von dem ist, im Swimmingpool auf dem Dach, keine Spur, also ist der Fundort nicht der Tatort. So weit ist das richtig, aber die Erklärung des wahren Sachverhalts ist wundersam genug. Haie in Wien: Wer daran zweifelt, hat die Rechnung ohne Heinrich Steinfests stets etwas absonderliche Fantasie gemacht. Nur ein Rätsel, das ist das alles natürlich nicht. Denn das ist das erste Axiom der Weltanschauung von Chefinspektor Lukastik, vom Philosophen Ludwig Wittgenstein übernommen: "Rätsel gibt es nicht." Alles, auch der Tote im Swimmingpool, ist rational erklärlich.

Manchmal muss man freilich reisen, der Erklärung halber, nach Zwettl zum Beispiel, ins österreichische Waldviertel. Dort findet Lukastik eine Tankstelle mit Bar, die beide mit dem Fall zu tun zu haben scheinen. Und er macht einen Fehler. Das sollte nicht passieren, passiert aber und lässt sich ausbügeln. Von Zwettl geht es an einen anderen Ort, dessen wahrer Name nicht genannt wird. Weil es aber der Übergangspunkt zwischen Wien ist und dem Waldviertel, nennt der Erzähler ihn "Nullpunkt". Der Erzähler nämlich hat, wie immer bei Steinfest, alle Freiheiten, beileibe nicht nur der Namensgebung. Er darf seinen Senf zu allem geben, was ihm einfällt, und er darf Vergleiche anstellen, auf Teufel komm raus.

Der Erzähler - und also auch Heinrich Steinfest - ist ein großer Meister des Vergleichs, der nicht sofort einleuchtet. Nun mag es auf den ersten Blick selbst nicht einleuchten, was so großartig sein kann an einem Vergleich, der nicht auf Anhieb einleuchtet. Der also dem vergleichend beschriebenen Sachverhalt sich selbst merklich gegenüberstellt und nicht zu verschwinden geneigt ist. An einem eigensinnigen Vergleich, der in der Gegend stehen bleibt als etwas, das sich dem Beschriebenen hinzufügt, ohne in ihm aufzugehen. Es sind die Steinfestschen Vergleiche dabei keineswegs unsinnig: Man sieht schon, wie es zu ihnen kommt. Man kann ihnen, je länger man sie ansieht, einiges abgewinnen: Sinn wie Eigensinn. Und vor allem beginnt man sie zu lieben, als Vergleiche mit Charakter. Sie machen es dem Leser nicht leicht, aber er beginnt süchtig nach ihnen zu werden. Die von Steinfest beschriebene Welt wird in den Vergleichen, die im Beschriebenen stehen als etwas dieses Beschriebene Treffendes, aber auch immer Übertreffendes und Hintertreibendes, zu einer Steinfest-Welt.

Es ist natürlich ein Wunder - wenn auch vielleicht kein Rätsel, denn Rätsel gibt es nicht -, dass eine solche Herangehensweise an die Beschreibung der wirklichen und die Errichtung einer fiktiven Welt, eine eminent literarische Herangehensweise also, im Kriminalgenre funktioniert. Denn der Krimi und sein Leser, sie wollen ja doch in erster Linie Plot. Verwicklung, falsche Spuren, Rätsel, Lösung. Der Vergleich, der nicht sofort einleuchtet, ist da ein Abweg. Steinfest aber gelingt es immer wieder, und im Grunde von Buch zu Buch besser, auf diesen Abwegen schnurstracks ans Ziel zu gelangen. Indem er etwa Figuren erfindet, die, Vergleich für Vergleich, nicht auf Anhieb, aber auf Dauer dann sehr einleuchten, als Sonderlinge, die bestens in die Steinfest-Welt passen. Der Chefinspektor Lukastik ist wieder so einer, knurrig, Wittgenstein verehrend und dann hat er auch noch eine Inzest-Vergangenheit, die einem gar nicht recht abartig vorkommen will.

Und Lukastik begegnet dem Tod. Der hat die Gestalt von Haien. Die leben im Tiefgeschoss, erstaunlich, aber alles kein Rätsel, der Haibiologe kann es erklären. Und auch der Tod entzieht sich den Vergleichs- und Beschreibungskünsten des Heinrich Steinfest keineswegs. Lukastiks Überlegungen mögen auf Anhieb nicht ganz einleuchten, aber die Sache mit der Verbeugung ist schon sehr schön und sie wird, finde ich, immer schöner, je länger man sich mit ihr befasst. Hier ist sie:

"'Der Tod ist eine Verbeugung', sagte Lukastik. ?Ach was, eine Verbeugung also?, meinte Slatin, wie man meint: Ach was, persische Eisbären also. ?Mehr kann ich Ihnen nicht sagen?, zeigte sich Lukastik bekümmert. ?Vielleicht ist alles ganz normal, und diese Verbeugung ist gewissermaßen die Eingangsgeste in den Tod. Vielleicht aber handelt es sich um eine andauernde, eine möglicherweise ewige Verbeugung. Als sei der Tod ein radikaler Asiat. Ich kann es Ihnen wirklich nicht erklären, Slatin. Aber als ich starb, oder eben beinahe starb, da spürte ich die unbedingte Verpflichtung, mich zu verbeugen. Und ich spürte - und zwar mit einer Deutlichkeit, die keinen Zweifel ließ -, dass um mich herum alles und jedes eine Verbeugung war, das Wasser, die Haie, das Dunkel, der Raum. Nicht gekrümmt, sondern verbeugt."

So geht das zu in der Steinfest-Welt, die sich oft liest wie der Traum eines radikalen Asiaten. Immer höflich, bei Mord und Totschlag. Eigensinnig, sehr eigensinnig. Haie im Tiefgeschoss. Die Rätsel werden gelöst. Obendrein gibt es eine Fußnote, aus heiterem Himmel, eine einzige, ziemlich gegen Ende. Und auf manches mehr müssen Sie gefasst sein, bei Steinfest, der wirklich ein Autor ist wie kein anderer.


Clemens Stadlbauer: "Quotenkiller". Unionsverlag, Zürich 2004. Taschenbuch, 320 Seiten, 10,90 Euro

Heinrich Steinfest: "Nervöse Fische". Piper Verlag, München 2004. Taschenbuch, 320 Seiten, 8,90 Euro
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