Mord und Ratschlag

Nordsee Mordsee

Die Krimikolumne. Von Michael Schweizer
02.11.2004. Auf Sylt werden Oberstudienräte durchs Watt gejagt, auf Juist unangenehme Ehemänner erstickt und auf Amrum Dichter erschlagen: In Nordsee-Krimis weht ein rauer Wind.
Die Journalistin Kathrin Herzberg wird ermordet. Es soll nach einem Autounfall aussehen, aber ihr Verlobter, der Oldenburger Studienrat Frank Löwenau, findet schnell heraus, dass ein Betäubungsmittel im Spiel war. Wenig später, kurz vor den Sommerferien, stürzt jemand den Schulhausmeister in eine laufende Kettensäge. Um Abstand zu gewinnen, fährt Löwenau nach Sylt. Dort wird er bespitzelt, beschossen und fast im Wattenmeer ertränkt. Und er lernt eine Frau kennen, die ihn sehr an Kathrin erinnert. Im Kino läuft "Vertigo", Hitchcocks Geschichte um eine scheinbare Wiedergängerin.

Karl-Wilhelm Gabbert, Jahrgang 1932, war eine Zeitlang der dienstälteste Oberstudiendirektor Niedersachsens. Seinen ersten Roman "Blutspur nach Sylt" hat er über weite Strecken in Dialogen verfasst. Manchmal muss man lachen. Kathrins Seminarleiter, dem Frank gerade gesagt hat, dass sie tot ist, antwortet: "Ich sehe sie noch vor mir. Sie hat beim Kursus mit vollem Eifer mitgemacht und gehörte zu den besonders engagierten Teilnehmern. Durch ihre interessierten Fragen und ihre konstruktiven Unterrichtsbeiträge war sie ein ungemein belebendes Element in unserer Gruppe." Auch die stummen Gedanken klingen so: "Immerhin stand jene Frau vor ihm, die zwei Morde auf dem Gewissen hatte und auch sonst in seinen Problemkreis involviert war." Gabbert lässt seine Figuren zudem alles sagen und denken, was in der Situation wichtig ist. So kann er nicht abbilden, wie sehr die gesprochene und erst recht die gedachte Sprache mit Auslassungen, mit nicht explizierten Bezügen arbeitet. Sein Stil wird behördlich bis zur unfreiwilligen Komik. Dialoge sind eben schwer zu schreiben. Wie die Leute wirklich reden, klingt gedruckt fürchterlich; erfindet man ihnen eine Kunstsprache, drohen, je nachdem, Weitschweifigkeit oder manierierte Coolness. Und innere Monologe sind für einen gewissenhaften Autor die Hölle: Er kennt ja bloß die eigenen und kann sonst nur spekulieren. Was Gabbert mit den Gesprächen und Selbstgesprächen seines Romans nicht geschafft hat, daran scheitern auch viele andere.

Zu den Krimi-Regeln gehört, dass so etwas nicht unbedingt stört. Das liegt am Publikum. Einen Kriminalroman schlägt der Leser auf, weil er müde ist. Er möchte sich vergessen, das Buch soll ihn auffressen. Deshalb kommt es vor allem auf Spannung an, darum behaupten Rezensenten rituell, sie hätten mit dem Lesen nicht aufhören können. Damit werben die Verlage dann in der zweiten Auflage. So genannte richtige Romane können allerdings nur spannend sein, wenn sie gut geschrieben sind. Im Krimi ist das anders: Unplausible, holprig vorgetragene Geschichten wie die von Agatha Christie oder von ganz unbekannten Leuten haben eine Chance, den Leser zu fesseln, wenn sie in sich schlüssig sind. Das ist das Selbstbezügliche, Eskapistische des Krimis, der so tut, als griffe er ins pralle Leben. Vor allem im Whodunit: Auch schwächer formulierte Bücher können die Frage "Wer war's" so stellen, dass sie dem Leser keine Ruhe lässt. Das Amtsdeutsch der "Blutspur nach Sylt" hat mir schnell nichts mehr ausgemacht. Ich wollte wissen, wer's war, und konnte, pardon, nicht aufhören.

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Viele Inselkrimis leben vom Glasglockeneffekt, auch Sandra Lüpkes' "Das Hagebutten-Mädchen". Abneigungen, die anderswo verläppern würden, eskalieren tödlich, weil die Leute sich nicht ausweichen können. Für eine Pensionsbetreiberin auf Juist ist es schwieriger, sich aus einer unglücklichen Ehe zu lösen, als für eine Angestellte in der Großstadt. Astrid Kreuzfeldt ist nicht traurig, als Kai Minnert betrunken im Schaufenster seines Ladens erstickt. Schließlich glaubt sie, der schwule Antiquitätenhändler sei schuld, dass ihr Mann nicht mehr mit ihr schläft. Aber hat sie nachgeholfen, ist sie eine Mörderin? Gelegenheit und Motiv hatten zum Beispiel auch der rechtsradikale Immobilienmakler Tjark Bonnhofen, dem Minnert geschäftlich im Weg war, und Minnerts geldgieriger Geliebter Henner Wortreich.

Perfekt geschrieben ist auch das nicht, aber spannend genug. Lüpkes, 1971 geboren und nach ihrer Schulzeit auf dem Festland auf die Insel zurückgekehrt, erzählt den Roman abwechselnd aus Sicht von sieben Personen. Die Insulaner wissen fast alles übereinander und doch oft das Entscheidende nicht. Diese ungesunde Intimität kommt auch aus der Geschichte, die von gemeinsam erlittenen Katastrophen (die Fluten von 1651 und 1717) und schmutzigen Kollektivgeheimnissen (Schiffbrüchige ertranken, weil ihnen niemand half) geprägt ist. "Das Hagebutten-Mädchen" ist - nur im Roman - ein trauriges Inselmärchen von Theodor Storm, in dem Gemeinheit und Hartherzigkeit sich für die Einheimischen lohnen.

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Christian Uecker muss ein neugieriger Reisender sein: Aus "Treibsand" kann man über Amrum einiges lernen, was nicht im Reiseführer steht. Wer schon dort war, erkennt nicht nur die Schauplätze wieder, sondern auch Leute, die beinahe oder genauso heißen wie im richtigen Leben. Anders als auf Sandra Lüpkes' Juist kommt das Böse im Wesentlichen von außen. In einem vorzüglichen Hotel tagt der "Club der Poeten". Einer von ihnen, Lorenz Schmidt, wird erschlagen. Der Mann war so widerlich, dass viele es getan haben könnten. Den Toten findet Pastor Frank Falke, der sich auf richtigen Urlaub gefreut hatte. Daraus wird nun nichts.

Seine Schwächen hat der Roman am Anfang. Da erklärt Uecker zu viel Selbstverständliches, beschreibt zu viel Unwichtiges um des genauen Beschreibens willen, verwendet zu viele Adjektive. Bei der Sache bleibt er ab dem Mord, der keiner ist, sondern ein zufälliger Totschlag, die impulsive Reaktion eines Gequälten.

Christian Uecker wurde 1956 geboren und ist Pastor in Klein Wesenberg und Hamberge bei Lübeck. "Treibsand" ist sein sechster Krimi mit Frank Falke. Der hat in den ersten fünf Bänden kaum ermittelt, sondern fast nur beobachtet. Meist hat der Mörder dann von selbst mit ihm geredet. In "Treibsand" dagegen rettet Falke ein Menschenleben, weil er gerade noch rechtzeitig als "Fügung, Schicksal, Berufung" akzeptiert, dass er Detektiv ist und eingreifen muss. Uecker hat das Format, um über solche Lebenswenden interessant zu schreiben.


Karl-Wilhelm Gabbert: "Blutspur nach Sylt". Oldenburg-Föhr-Sylt-Kriminalroman. Schardt Verlag, Oldenburg 2003, 230 Seiten, großes Taschenbuch, 12,80 Euro

Sandra Lüpkes: "Das Hagebutten-Mädchen". Ein Inselkrimi. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2004, 255 Seiten, Taschenbuch, 7,90 Euro. ()

Christian Uecker, "Treibsand". Der Nordsee-Krimi. Friedrich Wittig Verlag, Kiel 2001, 167 Seiten, Taschenbuch, 9,90 Euro. ()
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