Mord und Ratschlag

Ruhm will erkämpft sein

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
13.08.2016. Patricia Melo erzählt in ihrem sardonischen Telenovela-Roman "Trügerisches Licht" von Ruhm und Verbrechen in São Paulo. In "Hades" vereint Candice Fox die Mächte der Unterwelt mit dem Polizeiapparat von Sidney Metro.

Die Brasilianerin Patricia Melo gehört zu den besten Krimi-AutorInnen Lateinamerikas, ihre abgründigen Romane sollte man unbedingt lesen, auch wenn gerade kein sportliches Großereignis in ihrem Land stattfindet. "Trügerisches Licht" spielt in São Paulo, wo die Gangs nicht straff organisiert sind wie in Rio de Janeiro, sondern kopflose Haufen. Was die Sache nicht besser macht: "Sogar in Rio graut es den Leuten vor der Gewalt in São Paulo."

Doch wie kann man eine Kriminalgeschichte plausibel erzählen, wenn in einer Stadt zweihundert Morde allein in drei Wochen stattfinden?* Wenn achtzig Prozent der Verbrechen nicht aufgeklärt werden? Wenn es reicht, weiß und reich zu sein, um jeder Anklage zu entgehen? Hier gibt es nicht einmal ansatzweise ein Verhältnis von Recht und Gerechtigkeit, das gestört werden könnte. In solch einer Situation reichen weder die Mittel des Hardboiled noch des Noir, vom Detektivroman ganz zu schweigen. Patricia Melo kombiniert daher den Polizeiroman mit der Telenovela.

Azucena Gobbi leitet die Spurensicherung bei der zentralen Mordkommission. Deren Chef musste gerade nach einer besonders brutalen Mordserie an Militärpolizisten abdanken, seinem smarten Nachfolger traut sie so wenig über den Weg wie er ihr. In ihrem Privatleben steht sie bald noch isolierter da. Der Mord, der die Medien und damit dann doch auch die Kripo bewegt, ist der Tod des Schauspielers Fábbio Cássio, der mit der Soap "Eisen und Feuer" zum Telenovela-Megastar wurde. Am Theater allerdings verhob er sich gewaltig mit dem Stück "Narrenfeuer" des französischen Faschisten Drieu la Rochelle (im portugiesischen Original heißt Melos Roman wie das Stück "Fogo Fátuo"): Der Revolver, mit dem Fábbio auf der Bühne seinen Selbstmord vortäuschen sollte, war tatsächlich geladen. Selbstmord eines gescheiterten Künstlers? Unfall? Mord? Hauptverdächtige ist seine Lebensgefährtin Cayanne, die in der Reality-Show "Die Miezen und die Nerds" um Prominenz und Preisgeld kämpft.

Diese drei sind die Hauptprotagonisten des Romans, und mit dem jeweiligen Fokus wechselt Melo auch das Register. Mit Azucena Gobbi erzählt sie vom Kampf der Polizistin um den Sinn ihrer Arbeit in einem alles überwältigenden Chaos. "Schleppend geübte Gerechtigkeit ist keine Gerechtigkeit", erkennt sie und zieht auch persönlich die Konsequenz daraus. Diese Passagen sind eigentlich die interessanten, aber nicht unbedingt die überzeugendsten. Vor allem als Gegengewicht zu den satirischen Momenten wäre brasilianische Polizeiprozedur erhellend gewesen. Schön sardonisch wird Melo dagegen in den Passagen um Fábbio Cássio, von dessen Aufstieg sie im Rückblick mit beißendem Spott erzählt: Einmal bewarb er sich um die Rolle eines homosexuellen Gewerkschafters. Beim Vorsprechen tat er alles, was die Produzenten von ihm verlangten, ließ Strapazen und Demütigungen klaglos über sich ergehen - und bekam die Rolle natürlich nicht. Die Lektion, die er daraus gelernt hat? "Allein der Wunsch, berühmt zu sein, nützt nichts. Ruhm will erkämpft sein."

Die schönsten Passagen hat Melo jedoch dem Sternchen Cayanne vorbehalten. Sie ist ein hinreißendes Flittchen. Sie lässt sich aushalten und zur "Miss Popo" küren, springt aus Torten und versucht noch aus den schauerlichsten Misserfolgen Kapital zu schlagen. Und doch verliert man nie ganz die Sympathie für sie, oder zumindest die Achtung vor diesen unerbittlichen Willen zum Aufstieg aus dem Elend, in dem sie aufgewachsen ist. Dass Melo ihr am Ende nach einer märchenhaften Wendung eine eigene Fernsehsendung gewährt, in der sie live vom bitteren Alltag im Frauengefängnis erzählt, zeugt vom Großmut der Autorin.

Aber um nicht versöhnlich zu enden, das würde dem Roman nicht gerecht werden, hier noch eine Invektive: Nach einem besonders üblen Verriss tröstet Fábbios Mutter ihren geknickten Sprössling mit den Worten: "Du weißt doch, das Projekt, das in der Schublade liegt und nie vorankommt. Das ist die brasilianische Kritikerseele."

Patricia Melo: Trügerisches Licht. Roman. Aus dem Portugiesisichen von Barbara Mesquita. Tropen Verlag, Stuttgart 2016, 320 Seiten, 14,95 Euro.


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Eine gewisse Affinität zur Fernsehserie lässt auch Candice Fox in ihrer düsteren Sidney-Trilogie erkennen, doch tritt sie hier gänzlich ungebrochen auf. "Hades" liest sie wie eine Mischung aus Noir und Fantasy. Gut und Böse kämpfen in immer neuen Konstellationen gegeneinander, in Kinderherzen, im Polizeiapparat, in der Unterwelt.

Die Saga beginnt auf Sidneys Müllkippe. Hier regiert Hades Archer, der Herr der Unterwelt, das Mastermind des australischen Verbrechens. Eines Nachts werden ihm zwei blutige Bündel vor die Tür gelegt, die er auf seiner Halde "entsorgen" soll. Es sind zwei grausam zugerichtete Kinder, die nach der Ermordung ihrer Eltern selbst schon fast dem Totenreich angehören. Doch in diesem Fall ist es Hades selbst, der sie zurück aus dem Schattenreich ins Leben holt: Er nennt sie Eric und Eden und zieht sie auf. Bald muss er allerdings erkennen, dass sich hinter ihrer reizenden Gestalt wahre Monster verbergen. Als einziger Ausweg bleibt ihm, die Killerinstinkte der beiden auf andere Ungeheuer zu lenken: Er schickt sie auf die besten Polizeischulen Australiens, und tatsächlich werden Eric und Eden nach juristischer und kriminalistischer Spezialausbildung die bestaussehenden und gefürchtetsten Cops des Landes.

Gegen diese Dunkelgeschichte schneidet Fox die Ich-Erzählung des Frank Bennett, der bisher das durchschnittliche Leben eines durchschnittlichen Polizisten aus North Sidney fristete: Zweimal geschieden, Disziplinarstrafen, Probleme mit Alkohol, Frauen und Gewalt: "Je älter ich wurde, desto lieber trank ich allein." Als er zur Mordkommission versetzt wird und die umwerfende Eden Archer erblickt, hält er sich tatsächlich für einen glücklichen Menschen. Die geheimen Umtriebe des Geschwisterpaares bleiben ihm zunächst verborgen, denn mit Eden arbeitet er an einem wahrhaft schaurigen Fall: Die Polizei entdeckt auf dem Meeresgrund in der Bucht vor Sidney zwanzig Leichen, und schon bald wird klar, dass hier ein gestörter Sadist Menschen tötet, um ihre Organe zu verkaufen. Schon als kleiner Junge quälte dieser Mensch am liebsten Vögel, Mäuse und seinen behinderten Bruder. Die Frage, die ihn umtrieb, lautete stets: "Warum stoßen Vögel ihre Jungen aus dem Nest?"

Nicht dass Fox bei all dem in die Tiefe geht, ihre Figuren sind durch und durch unpsychologisch, aber clever gezeichnet. Fox erzählt unterhaltsam, spannend und mit viel Witz. Und auch wenn über allem düster dräuend die Frage nach dem Bösen im Menschen schwebt, spielt Candice Fox eigentlich recht fröhlich mit dem Genre.

Candice Fox: Hades. Roman. Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016, 341 Seiten, 14,99 Euro.