Mord und Ratschlag

Unter Schönheiten

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
26.08.2013. Jennifer Egan verfolgt in ihrem Twitter-Stream "Black Box" den Einsatz einer Drohne mit menschlichem Antlitz im Mittelmeer. C.S. Forester erzählt in seinem wiedergefundenen Roman "Tödliche Ohnmacht" die englische Rachetragödie aus der Sicht einer Hausfrau.
Ein guter Tweet ist keine Kurzmitteilung. Ein guter Tweet ist eine Mischung aus Nachricht, Wortspiel und Poesie. Es ist ein Gedankenblitz, der mit Witz und Spontaneität aus dem Meer der Informationen aufleuchtet. Er muss also nichts erklären (die Leute können selber nachsehen), aber klar, stichhaltig und relevant sein, im Zweifel setzt er einen Link auf einen wichtigen Artikel oder wenigstens auf ein Katzenfoto. Im besten Fall schreibt man für interessierte, hilfsbereite und einfallsreiche Leute, die selbst voreilige und unüberlegte Tweets unter einem fantasievollen Hashtags bündeln, weiterleiten und zurücktweeten.

Kann gut sein, dass Jennifer Egan in ihrer Erzählung "Black Box" gegen die Hälfte der goldenen Twitter-Regeln verstößt. Manche Tweets ergeben etwa nur Sinn im Zusammenhang mit den vorigen, und in einigen spricht sie sogar über das Essen, was ungefähr genauso verpönt ist wie einen Guten Morgen zu wünschen. Und allem Marketing zum Trotz ist diese Geschichte, die bereits über die Twitter-Accounts von New Yorker und Spiegel Online zu lesen war und nun als dünnes Büchlein erschienen ist, mehr als nur ein Coup. Es ist der ziemlich intelligente und kunstvolle Versuch, komplexes Geschehen in äußerster Verdichtung zu fassen. 140 Zeichen sind ein Tweet sind ein Satz sind Poesie. Außerdem eine spannende Erzählung und ein kluger Kommentar zu Heroismus und Narzissmus auf der einen Seite, Sicherheitswahn, Datensammelwut und Selbstverlust auf der anderen.

Es ist die Geschichte einer patriotischen Amerikanerin, die als futuristische Super-Agentin ihren Körper in den Dienst des Vaterlandes stellt. Es ist nicht genau klar, wer der Mann ist, auf den sie angesetzt ist. Wir erfahren nur, dass er ein mondänes Leben in einer Villa in Südfrankreich führt, sich mit schönen Frauen umgibt, Champagner und Wachteln liebt, und verdächtige Geschäfte mit dunkelhäutigen, südländischen Männern abwickelt.

Wir verfolgen ihre nächtliche Aktion Satz für Satz, in diesem ganz eigenen Twitterton, der allerdings bei aller Starrheit offen lässt, ob es sich um eine eigene Erfahrung handelt oder eine Sentenz, um erzähltes Erleben oder die Feldinstruktion aus dem Agentenlehrbuch: "Im Gegensatz zur gängigen Meinung herrscht unter Schönheiten ein ausgeprägtes Kameradschaftsgefühl." - "Selbst nachts ist das Mittelmeer eher blau als schwarz." - "Denk dran, dass zuviel Denken sinnlos ist." - "Der kindliche Wunsch, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, geht normalerweise auf Kosten echter Macht."

Es wird nicht klar, ob und wenn wenn ja was sich diese Männer haben zu Schulden kommen lassen, fest steht nur, dass die Agentin sie töten wird. Und da die amerikanischen Sicherheitsdienste bekanntlich besonderen Wert auf das Sammeln von Daten legen, wurde ihr Körper technisch etwas aufgerüstet: In ihr Ohr ist ein Mikrofon implantiert, dass sich durch Druck auf das Knorpeldreieck in der Ohrmuschel einschaltet, hinter ihrem Kniekehlenband befindet sich ein Knopf, mit dem sie Lebenszeichen senden kann, aus ihren Zehen kann sie ein Übertragungskabel ziehen, um die Daten fremder Handys zu kopieren. Mit wachsendem Grauen verfolgt man, wie hier ein Körper zur Black Box gemacht wird, deren Datenbestand gesichert werden muss, und kann man am Ende nicht mehr sagen, wer hier durch das Mittelmehr gedüst ist: Ein schöner Cyborg oder eine Drohne, die zu lange in die Sterne gesehen hat.

Jennifer Egan: Black Box. Aus dem Amerikanischen von Brigitte Walitzek. Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2013, 89 Seiten, 9,95 Euro

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Den Schmökern des C.S. Forester verdanken die Briten ihren größten Seehelden nach Lord Nelson: Captain Horatio Hornblower, den vielleicht schöne Frauen in Verlegenheit bringen, nicht aber kräftige Winde oder die napoleonische Flotte. Hierzulande ist er wohl vor allem durch Raoul Walshs Filmspektakel "Des Königs Admiral" mit Gregory Peck und Virginia Mayo bekannt. "Tödliche Ohnmacht" ist einer von Foresters wenigen Kriminalromanen. 1935 geschrieben, blieb der Roman zunächst unveröffentlicht, dann ging das Manuskript verloren. Erst siebzig Jahre später tauchte es, wie es etwas vage beim Verlag heißt, bei einer Auktion auf. Vor zwei Jahren erschien "The Pursued" in Großbritannien, der deutsche Titel kann die Doppeldeutigkeit des englischen Originals leider nicht mit gleicher Selbstverständlichkeit bewahren.

Mit den Whodunits von Agatha Christie oder Dorothy Sayers aus der gleichen Zeit hat der Roman wenig zu tun. Er erzählt vielmehr ein raffiniertes Rachedrama aus dem kleinbürgerlichen Londoner Vorortmilieu, in dem sich die Menschen zwar nur noch unwohl fühlen, dem sie aber nicht zu entkommen wissen. Ergeben in ihr Schicksal lebt hier auch Marjorie Grainger mit ihrem Mann Ted und den beiden Kindern Anne und Derrick, bis sie eines Abends nach Hause kommt und ihre jüngere Schwester, die die Kinder hüten sollte, tot vor dem Gasherd auffindet. Wie sich herausstellt, war Dorothy schwanger, und einiges deutet darauf hin, dass es sich bei ihrem Tod nicht um Selbstmord handelt, sondern um Mord, denn offenbar hatte Ted ein Verhältnis mit ihr. Die Polizei tritt in dem Roman nur in Gestalt des auf und ab spazierenden Sergeant Hale auf, spielt aber ansonsten keine weitere Rolle) Aus Angst und Ekel vor ihrem Mann, der sexuell immer zudringlicher wird, flüchtet sich Marjorie in die Arme eines jungen Liebhabers. Ihre Mutter unterstützt sie dabei nach Leibes Kräften - aus übergroßer, aber kurzsichtiger Liebe und mehr noch aus blindem Hass gegenüber ihrem Schwiegersohn, dem möglichen Mörder ihrer jüngeren Tochter.

Der Roman hat Schwächen: Immer wieder überschreitet er die Grenzen zum Kolportagehaften und Unglaubwürdigen. Aber es ist eine sehr ambitionierte Geschichte und sie entfaltet durchaus ihren psychologischen Thrill. Forester beschreibt mit frappierendem Einfühlunsgvermögen das Leben einer frustrierten Hausfrau in den dreißiger Jahren, in deren Ehe - wie in Hunderttausend anderen auch - jedes Maß dafür verloren gegangen ist, worauf es im Leben und der Liebe ankommt. Vor allem aber hat er einen guten Instinkt für die Ambivalenz seiner Charaktere und bildet ihre subjektive Wahrnehmung der Geschehnisse sehr geschickt ab: Schwach, unselbständig und dennoch eigennützig fordert Marjorie, aus deren Perspektive der Roman größtenteils verfasst ist, die ganze Sympathie des Lesers - in ihrem Abscheu vor ihrem ehebrecherischen und rücksichtslosen Mann ebenso wie in ihrer Leidenschaft für ihren nicht weniger rücksichtslosen und besitzergreifenden Liebhaber. Diese Frau hat sich, unbedacht und unklug wie sie ist, ihren Platz in der Krimigeschichte verdient.

C.S. Forester: Tödliche Ohnmacht. Roman. Aus dem Englischen von Britta Mümmler. dtv, München 2013, 277 Seiten, 14,90 Euro