Mord und Ratschlag

Slowakische Berggoralen

Die Krimikolumne. Von Ekkehard Knörer
23.06.2008. In der ostösterreichischen Provinz kämpft Manfred Wieningers Diskont-Detektiv Marek Miert - ohne viel Schlag in der Damenwelt - mit seinen "Rostigen Flügeln" gegen das Unrecht der Welt und scheut dabei weder Kalauer noch Polizei.
Das ist eine seltsame Frau, die da auftaucht beim Diskont-Detektiv Marek Miert in seinem kleinen Büro in der unansehnlichsten Gegend des runtergekommenen Provinzkaffs Harland weit im österreichischen Osten. Der Diskont-Detektiv Miert seinerseits ist, wie man spätestens auf den zweiten Blick sieht, als einer, der Damen beisteht und allem Unrecht widersteht, ein Verwandter des großen Philip Marlowe. Allerdings ist er vom in undurschaubare Plots verwickelten Retter und Ritter bedroht-bedrohlicher Frauen aber doch so weit entfernt wie eben Harland - das zu St. Pölten gehört - entfernt ist von L.A.

So ist Miert der Typ ohne viel Schlag in der Damenwelt. Mit einem Bauch, den er vor sich her, mit einer meist schlechten Laune, die er in sich trägt. Andererseits ist er aber auch ein großer "wisecracker" vor dem Herrn, also einer, dem zu allem, was ihm begegnet, ein Scherzwort, ein Kalauer, eine dämliche Bemerkung, ein schiefer Vergleich (bevorzugt mit Tieren) einfällt. Ein paar Beispiele: "Meine Zunge fühlte sich an wie der staubtrockene Pelz eines toten, einbalsamierten Waschbären" oder "Hermann Frischauf klang jetzt wie ein erzürnter Hansi Hinterseer mit Mandelentzündung, der versuchte, einen slowakischen Berggoralendialekt zu sprechen". So ganz gelungen im Sinne des Zündenden und Schlüssigen sind all diese Scherze übrigens meist eher nicht. Was aber zur Mierthaftigkeit der Harland-Welt schon passt.

Die Miert-Welt in ihrer Harlandhaftigkeit sieht so aus, dass er im nahegelegenen Puff sich am Morgen seinen Kaffee besorgt (im Tausch gegen Handreichungen und Dienste gänzlich unerotischer Art), und dass er die Drogensüchtigen auf dem Bürgersteig, von denen er sich, am Morgen jedenfalls, belästigt fühlt, selber belästigt. Was nicht heißen soll, dass er nicht im Grunde eher solidarisch wäre mit all jenen, die ohne silbernen Löffel im Mund in der Welt unterwegs sind und an ihrem Rand sich durchschlagen mit Hilfe unlauterer Mittel. (Thomas Wörtche hat den Autor Manfred Wieninger, weil er auf diese weder erbauungs- noch gossenliterarisch aufzuwertenden Randbereiche sein Augenmerk legt, in einem weit ausholenden Grundsatzporträt treffend als "Poeten der Tabubereiche des Belletristischen" bezeichnet.)

Miert ist, seit dem Ausscheiden aus dem Polizeidienst, sowieso beinahe einer von ihnen, oder er wäre es, könnte er sie sich überhaupt vorstellen als Teil von irgendwas und nicht immer nur als einen, der unbefreundet mit aller Welt von recht weit draußen auf das gschaftlhuberische und freunderlwirtschaftliche Walten und Wirken der Wichtigen blickt - die Allegorie dieses Wichtigen in der Miert-Serie ist der borniert-bösartige Oberleutnant Gabloner, Mierts Vorgesetzter einst, seine Nemesis jetzt. Es ist nicht so, dass Miert sich das Draußen so richtig ausgesucht hat oder die diversen ihm widerfahrenden, wenn man es soziologisch ausdrücken will, Exklusionen genießt. Aber das Nicht-Genießen des Draußen, das genießt er, zu Gott und der Welt seinen Senf gebend, doch.

Miert ist, um das noch einmal mit anderen Worten und den Worten eines anderen zu sagen, ein klassischer Held des "Roman noir", über den nämlich der Autor und Essayist Jean-Patrick Manchette im Jahr 1976 schrieb: "Im Roman noir sind die Ausgebeuteten schlichtweg besiegt und folglich genötigt, die Herrschaft des Bösen zu erdulden. Diese Herrschaft ist das Feld des Roman noir, das Feld, auf dem und gegen das der Held agiert. Wenn dieser Held selbst kein Gauner ist und nicht ums einen kleinen Anteil an Macht und Geld kämpft, wenn er um Gut und Böse weiß, verkörpert er doch nur die Tugend in einer Welt ohne Tugend. Er kann zwar einiges Unrecht geradebiegen, aber nicht das allgemeine Unrecht dieser Welt, und das weiß er - daher auch seine Verbitterung."

Gerade die Verbitterung wird aber schnell zum Problem. Dann nämlich, wenn sie umschlägt und in Mierts Falle droht sie's in "Rostige Flügel" auch zu tun. Das vogelfreie Herumkommentieren und soziale Vagabundieren gerät hier, ambivalent wie es ohnehin schon ist, in eine bedenkliche Drift. Es gibt in "Rostige Flügel" einen Typen, der nichts anderes ist als das, was auf amerikanisch "Vigilante" heißt, einer also, der das Gewehr und das Recht in die eigenen Hände nimmt und, wenn es sein muss, dann auch all jene umnietet, die für seine Begriffe den Tod verdient haben. Miert lässt sich von ihm instrumentalisieren, widerwillig gewiss, aber in letzter Instanz stimmt er dem gewaltsamen Vorgehen dann doch zu. Was kein Zufall ist, denn sehr konsequent erscheint aus der Miert-Perspektive die Welt von Recht und Gesetz als einziger Witz. Als sehr trauriger Witz allerdings, nachzulesen in der Knast-Episode, in der Wieninger vom Schicksal eines Afghanen erzählt, der, weil er den zuständigen Stellen so verdächtig wie unheimlich ist, erst erbarmungslos hingehalten, dann einfach weggesperrt wird.

Das wird einfach so eingeschoben, als Episode ohne wirklich plausible narrative Verankerung. Aber da kennt Wieninger sowieso nix: Die Freiheit, zu erzählen, wovon er will, nimmt er sich, da zieht er die Gelegenheiten ohne Skrupel an den Haaren herbei. Er hat völlig recht damit, denn es wäre falsch, da eine den Vorschriften eines Genres oder den Erwartungen eines Publikums gehorchende Ordnung wieder einführen zu wollen, wo nur die Wahrnehmung einer Unordnung ist. Und überhaupt: Gehorcht wird hier schon mal gar nicht.

Aber noch mal zur Frau vom Anfang, die bei Miert auftaucht, die sich ihm, was ihm sofort verdächtig ist, in durchaus erotischer Absicht nähert. Diese Frau gibt ihm den Auftrag, auf ihren Ehemann, den Buchhändler Frischauf, aufzupassen. Nicht eines Verdachts auf außereheliche Amouren wegen (da ist Frischauf auch weiß Gott nicht der Typ), sondern weil er zur finsteren, vollständig verdrängten Zwangsarbeiterlager-Geschichte Harlands recherchiert und deshalb per Post Drohsendungen der unappetitlichen Art erhält. Die Vergangenheit, die nur schmutziger wird, je sauberer man sie vergisst, die drängt bei Wieninger immer in die Geschichten hinein, an denen nichts ordentlich ist oder sein soll.

So setzt sich Miert zwar dem Buchhändler Frischauf auf die Spur, der der Vergangenheit auf der Spur ist. Keiner von beiden gelangt dabei aber genau da hin, wo er hingelangen wollte. Und nicht alles ist dann am Ende so, wie es zunächst schien. Viel kommt dazwischen und dem Plot dermaßen in die Quere, dass der als das deutlich wird, was er für Wieninger ohnehin ist: der Weg von A nach B, auf dem man, über Umwege nach C oder Z, unterwegs sein und kritische Blicke werfen kann, ohne je da ankommen zu müssen, wo man eh nie hin wollte.

Manfred Wieninger: Rostige Flügel. Haymon Verlag 2008. 228 Seiten. 18,90 Euro.