Mord und Ratschlag

Blitzschach gegen sich selbst

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
23.07.2014. Oliver Bottini erzählt in seinem Politthriller "Ein paar Tage Licht" vom deutsch-algerischen Waffenhandel und dem Kampf gegen alte Mächte in Algier und Berlin. Olen Steinhauers Spionageroman "Die Kairo-Affäre" untersucht, wer eigentlich Gaddafis Sturz vorbereitet hat: Die CIA, die Ägypter oder doch die Serben?
Oliver Bottini gehört zu den wenigen deutschen Autoren, die ansatzweise mit den Erzählern angelsächsischer Politthriller mithalten können. Natürlich ist bei ihm alles ein bisschen gediegener und fest verankert im juste milieu des rotgrünen Berlins, doch weil er einen tollen Blick für Themen hat und ausgesprochen gründlich recherchiert, ist sein neuer Roman nicht nur ungeheuer spannend, sondern politisch auch von einiger Relevanz. Oder zumindest von einer gewissen Brisanz, denn obwohl "Ein paar Tage Licht" drei Monaten lang auf der Krimizeit-Bestenliste stand, hat er in der Bundesregierung wohl niemanden von deutschen Waffenexporten nach Nordafrika abbringen können. Es ist der Roman zur jüngst vereinbarten Lieferung von 980 Radpanzern im Wert von 2,7 Milliarden Euro.

Peter Richter, altgedienter Manager des Rüstungskonzerns Elbe Defense wird quasi unter den Augen des Militärs in Algerien entführt, wo er den Bau einer deutsch-algerischen Panzerfabrik betreuen soll. Dabei waren die Sicherheitsvorkehrungen so streng, dass man kaum sagen konnte, ob sie dem Schutz oder der Überwachung des Mannes dienten. In die Ermittlungen darf sich der in Algier stationierte BKA-Mann Ralf Eley nur partiell einschalten, die algerischen Behörden möchten sich lieber nicht in die Karten blicken lassen, schon gar nicht, wenn es um den Kampf gegen Al Qaida im Maghreb geht, auf die zunächst alle Spuren hindeuten.

Eley, der ein geheimes Verhältnis mit der algerischen Untersuchungsrichterin Amel Samraoui hat, findet jedoch bald heraus, dass hinter der Entführung nicht Islamisten stehen, sondern demokratische Reformkräfte, die den Kampf gegen den Machtapparat von Präsident Bouteflika aufgenommen haben, gegen Le Pouvoir, wie die Allianz aus greisen FLN-Kämpfern, Geheimdienstlern und Ölmillionären genannt wird. Die Reformer nennen sich die Namenlosen. Einerseits weil sie nur vorübergehend als Gruppe existieren wollen, um demokratischen Parteien Platz zu machen. Und andererseits weil sie, die Namenlosen, zum größten Teil auch Vaterlose sind. Ihre Väter sind im grausamen Bürgerkrieg der neunziger Jahre zwischen die Fronten geraten, als das Militär auf den Wahlsieg und die Anschläge der Islamischen Heilsfront mit brutaler Repression antwortete: "Auslöschen statt verhandeln".

In Berlin bringt unterdessen Katharina Prinz, die frühere Botschafterin in Algier, die Krisenbewältigungsroutine im Auswärtigen Amt durcheinander. Sie nutzt den Entführungsfall, um die Waffengeschäfte mit Algerien gleich ganz zu stoppen. Sehr schön beschreibt Bottini die verschiedenen Facetten des Berliner Politbetriebs: Während Prinz ihr Netzwerk auf neuen Wegen organisiert - und sich etwa konspirativ mit dem Chef des Bundespräsidialamts auf dem Neuköllner Kinderspielplatz trifft -, beherrschen ihre Gegenspieler noch bestens die alten Techniken, die sie jahrzehntelang auf Schützenfesten in der Provinz oder beim Spaziergang durchs Regierungsviertel einüben konnten: Prompt hetzen ihr die Rüstungsmanager die Bild-Zeitung auf den Hals, die nur allzu bereitwillig mit einer schlüpfrigen Geschichte zu Diensten ist.

Berliner Politiker und deutsche Manager machen es einem Schriftsteller nicht immer leicht, eine Sprache für sie zu finden, die glaubwürdig, aber auch ästhetisch halbwegs vertretbar ist. Nicht immer gelingt Bottini diese Gratwanderung einwandfrei, und mitunter werden auch seine moralischen Skrupel erkennbar, wenn er Waffenverkäufer über die "Mannstoppwirkung" deutscher Sturmgewehre dozieren lässt. Doch wenn Bottini über Algerien als Land der Trauer und der Schuld schreibt, über eine deutsche Außenpolitik, die sich weniger als Vertreterin von Rechtsstaatlichkeit als von Wirtschaftsinteressen versteht, und über Menschen, die lieben, scheitern, fliehen und irgendwann doch wieder den Kampf aufnehmen, dann beweist er eine Fähigkeit zum komplexen, intellektuell fordernden und historisch tiefenscharfen Erzählen, die ihn aus der oft etwas provinziellen deutschen Krimilandschaft herausragen lässt.

Oliver Bottini: "Ein paar Tage Licht". Roman. Dumont Verlag, Köln 2014, 465 Seiten, gebunden, 19,99 Euro


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Der Amerikaner Olen Steinhauer hat mit seiner großartigen Trilogie um den CIA-Agenten Milo Weaver dem Spionage-Thriller zu neuem Glanz verholfen, umso mehr als er peinlichst genau darauf achtete, dass von dem Glamour nichts auf die Geheimdienste abfiel. Sie mögen unterschiedlichen Systemen dienen, doch ihre Apparate agieren bei Steinhauer allesamt so unberechenbar wie fahrlässig. Falsche Informationen, irrsinnige Einschätzungen und katastrophale Entscheidungen stehen bei ihnen an der Tagesordnung, und wahrscheinlich ist eine Hälfte des Systems nur damit beschäftigt, die Fehler der anderen Hälfte zu vertuschen und auszubügeln. Aber wehe, wenn sich dasselbe einmal Menschen erlauben! Wehe, wenn sich Menschen in politischen Verhältnissen verirren oder auf die falsche Fährte locken lassen. Dann schlägt das System zurück.

Dessen ganze Härte bekommt in der "Kairo-Affäre" Sophie Kohl zu spüren, die Steinhauer den Geheimdiensten als schillerndes menschliches Spiegelbild entgegensetzt. Sie kennt die Lüge und den Verrat und hat einen unschuldigen Mann auf dem Gewissen. Zwanzig Jahre lang fristete diese etwas haltlose Frau das eintönige Leben einer Diplomatengattin, bis ihr Mann Emmett vor ihren Augen in einem Restaurant in Budapest erschossen wird, kurz nachdem sie ihm eine Affäre in Kairo beichten musste, wo das Diplomatenpaar zuvor stationiert war. Getrieben von Schuldgefühlen flieht Sophie Kohl aus dem Kokon geheuchelter Fürsorge, in den die amerikanischen Geheimdienste sie zu wickeln versuchen, schnurstracks und ausgerüstet mit den einschlägigen Wikileaks-Depeschen nach Kairo zu ihrem früheren Liebhaber. Doch auch er, der CIA-Mann vor Ort, wird getötet, wie auch ein Analytiker aus Langley, der Kontakt zu Emmett Kohl hatte. So planlos Sophie also auch agiert, das wird bald deutlich: weder ihre vergangenen noch ihre gegenwärtigen Verfehlungen können all die Ereignisse in Gang gesetzt haben. Eher schon Stumbler - der geheime Plan der CIA zum Sturz Muammar al-Gaddafis.

Entwickelt hat den Plan der ermordete Analytiker Jibril Aziz. Er ist ein libyscher Exilant, dessen Vater Gaddafi ermorden ließ und der ein breites Netz aus Oppositionellen und Nomaden im Widerstand unterhält. Dieser Plan wird nun, wenn auch mit kleinen Abweichungen, Schritt für Schritt ausgeführt, allerdings bestreitet die CIA vehement, daran beteiligt zu sein. Das ist Steinhauer in Reinform: Wenn er beschreibt, wie die einzelnen Phasen von Stumbler abgewickelt werden, aber keiner weiß, wer eigentlich die Fäden zieht, wer die libyschen Oppositionellen verschwinden lässt und aus dem Ruder laufende Agenten tötet: Ob hier eine streng geheime CIA-Truppe, der ägyptische Geheimdienst oder Gaddafis Machtapparat am Werk ist - man kann den Unterschied nicht erkennen. Und was haben die Serben hier eigentlich für ein Eisen im Feuer?

Steinhauers ehrgeiziger Plan, Zweifel an der historischen Wahrheit zu säen, geht genau wie "Stumbler" nur halb auf. Anstatt die Perspektive auf das strategische Spiel um Tripolis leicht aber nachhaltig zu verschieben, wirbelt Steinhauer das Brett wild herum: In ungeheurem Tempo jagt er seine Spieler in die libysche Wüste und zurück nach Kairo, vom Flughafen übers Hotel in die Botschaft. Immer wieder wechseln die Perspektiven, die Sympathien und die Logiken. Das ist ungeheuer gewieft, lässt einen aber am Ende etwas unbeteiligt zurück: Es ist ein bisschen so, als würde Steinhauer mit all seinen Figuren auf dem arabischen Feld Blitzschach spielen, und zwar gegen sich selbst.

Olen Steinhauer: "Die Kairo-Affäre". Roman. Aus dem Amerikanischen von Rudolf Hermstein. Karl Blessing Verlag, München 2014, 494 Seiten, gebunden, 19,99 Euro