Mord und Ratschlag

Mit scharfen acht Köstlichkeiten

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
01.04.2014. In Mukoma wa Ngugis Roman "Nairobi Heat" nimmt es ein afrikanisch-amerikanisches Ermittler-Duo mit der internationalen Spendenmafia auf. In Qiu Xiaolongs "99 Särge" gerät Oberinspektor Chen im Machtkampf von Shanghai-Bande und Pekinger Jugendliga zwischen die Fronten.
Mukoma wa Ngugi ist der Sohn des großen kenianischen Schriftstellers Ngugi wa Thiong'o. In den USA geboren, wuchs er in Kenia in einem kleinen Dorf nahe Nairobi auf und kehrte zum Studieren nach Amerika zurück. Heute unterrichtet er englische Literatur an der Cornell University und schreibt neben Gedichten und Erzählungen gern auch gepfefferte Beiträge für die Kommentarseiten des Guardian: über Korruption in Afrika, die Blindheit der Linken oder das Übel des amerikanischen Kapitalismus. Sein großes Thema sind jedoch Identität und Differenz. Vor allem beschäftigen ihn die unterschiedlichen Erfahrungen, die Afrikaner und Afro-Amerikaner in den USA machen: "Schwarze Amerikaner wachsen mit einem feindseligen, bedrohlichen und defensiven Rassismus auf, Afrikaner dagegen erleben einen herablassenden, aber hilfsbereiten." Mukoma wa Ngugi weiß ebenso gut wie Barack Obama, dass einem Mann mit kenianischem Vater in Amerika ganz andere Türen offen stehen als einem Schwarzen, dessen Familie seit zweihundertfünfzig Jahren in Louisiana lebt.

Die Fallstricke afro-amerikanischer Identität sind auch das durchgehende Motiv seines Roman "Nairobi Heat", das hier aber gleich mehrfach gespiegelt wird: Der Ich-Erzähler, ein schwarzer Polizist mit Namen Ishmael ermittelt in der Kleinstadt Madison in Wisconsin, wo eine junge weiße Frau vor dem Haus eines alten schwarzen Mannes tot aufgefunden wird. Doch voreiligen Schlüssen zum Trotz scheidet der Alte bald als Verdächtiger aus: Joshua Hakizimana gilt in Menschenrechtskreisen als humanitäre Lichtgestalt, an Universitäten und auf Konferenzen in der ganzen Welt hält er die Erinnerung an den Völkermord in Ruanda wach und berichtet von seiner eigenen Rolle bei der Rettung hunderter Menschen.

"Schwarz ist, was Weiße sehen", heißt es an einer Stelle. Wenn Ishmael, der Polizist, im Laufe seiner Ermittlungen nach Nairobi kommt, rufen ihn die Kinder wie jeden anderen Europäer auch "Mzungu" - Weißer. Sein kenianischer Kollege David Odhiambo, genannt O, muss ihm das afrikanische Leben und Arbeiten erst einmal beibringen: Ausgelassen tingeln sie durch schäbige Bars, flirten mit den schönen Frauen, rauchen Dope oder berauschen sich an Tusker und Nyama Choma, an Bier und gegrilltem Fleisch - in diesen Breiten der beste Weg, um an Informationen heranzukommen, einen Handel zu besiegeln oder Freundschaft zu schließen.

Die Momente der afrikanisch-amerikanischen Freundschaft unter schwarzen Vorzeichen sind die stärksten Passagen in diesem Roman. Hier stößt Mukoma auf etliche frappierende Absurditäten im gestörten schwarz-schwarzen Verhältnis, wie das Tabu unter afrikanischen Einwanderern, schwarzen Slang zu sprechen. Doch Mukoma hat sich mehr vorgenommen als nur eine durchdachte Erzählung über Vorurteile und weißen oder schwarzen Rassismus: Auf gerade einmal hundertsiebzig Seiten will er auch noch den Völkermord in Ruanda und die Spendenschiebereien internationaler Stiftungen behandeln, die Sklaverei und die Verbrechen des KuKluxKlan. Dafür schickt er seinen Helden nach Kenia, Uganda, Ruanda und immer wieder zurück nach Illinois und vollführt etliche Verbeugungen vor seinen literarischen Hausgöttern von Melville bis Chandler. Herausgekommen ist dabei ein echter Ritt über den Victoriasee. Den sich vor ihm auftürmenden Problemen begegnet Mukoma mit einem linken Haken, einem Anruf von Deep Throat aus Nairobi oder der erstaunlich locker sitzenden Waffe seiner Protagonisten. Sprachlich ist dieser Kriminalroman, auch in der Übersetzung von Rainer Nitsche, sehr sorgsam gearbeitet. Aber mit den Menschenleben geht dieser eigentlich sehr sympathische Erzähler fast so unbeschwert um wie mit dem Genre.

Mukoma wa Ngugi: Nairobi Heat. Roman. Aus dem Amerikanischen von Rainer Nitsche. Transit Verlag, Berlin 2014, 180 Seiten, 19,80 Euro


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Kein anderer Krimiautor nimmt seine Leser so fürsorglich bei der Hand wie Qiu Xiaolong, der mit unnachahmlicher Freundlichkeit und Ruhe wie ein Fremdenführer durch das moderne China führt. Der in St. Louis lebende Professor erklärt dabei ebenso sorgsam die Feinheiten der chinesischen Lyrik wie die enigmatischen Leitlinien der aktuellen Parteipolitik, er führt zu den schönsten Gärten und Dichterhäusern und tischt die köstlichsten Gerichte auf. Tempo und Action kommen nur als Zitate aus der Kung-Fu-Literatur vor, die Qiu Xiaolong aber ebenso in ihr Recht setzt wie die schönen Gedichte aus der Song-Dynastie.

Wie seit seinem berühmten Erstling "Tod einer roten Heldin" gewohnt, ermittelt auch in "99 Särge" Oberinspektor Chen Cao, der zugleich ein gefeierter Dichter und ein angesehener Parteikader ist. Zu einer realistischen Figur macht ihn seine Ambivalenz gegenüber dem Sozialismus chinesischer Prägung: Durchaus ehrgeizig sieht er seine Karriere als Ergebnis guter Arbeit, und während er die Korruption der Spitzenkader zutiefst verabscheut, nimmt er Gefälligkeiten und Privilegien als Honorierung seiner besonderen Leistung sehr gern an.

Diesmal muss Chen in einem gefährlich prominenten Todesfall in der Baubranche ermitteln: Der Direktor der Shanghaier Wohnungsbaubehörde wurde bei einer sogenannten "Menschenfleischsuche" im Internet als korrupter Kader enttarnt und von der Disziplinarbehörde der Partei einem Shuanggui unterzogen, einem außergerichtlichen Verhör im Luxushotel , wo er nach wenigen Tagen ums Leben kam, angeblich durch Selbstmord. Ein Fall also, bei dem man nur verlieren kann, und selbst wenn man ihn gewinnt, wird man darüber nicht glücklich sein können. Darauf spielt der Titel an, der sich an einen Ausspruch des einstigen Premierministers Zhu Rongji anlehnt, der hundert Särge bestellte: 99 für korrupte Kader und einen für sich selbst.

Die Ermittlungen führen Chen in die Immobilienbranche, deren Preise nicht so sehr von gierigen Investoren in exorbitante Höhen getrieben werden, sondern von Parteikadern, die bei der Vergabe von Bauland und Aufträgen kräftig abkassieren. Chen gerät aber auch in den Kosmos der "Netzbürger", denen das Buch sehr liebevolle Porträts widmet. Immer auf der Hut vor der Netzpolizei, schlagen sie die wildesten Haken, um ihre Blogs und Foren vor Drangsalierungen zu schützen. Die "Menschenfleischsuche", die in unseren Ohren so abscheulich und ungerecht klingt, erscheint bei Qiu Xiaolong nicht als die Aktion einer aufgestachelten Meute, sondern als gezielter und legitimer Protest gegen den Missbrauch öffentlicher Ämter oder Mittel.

Sehr schön ist, wie wenig sich der Erzähler von den Ereignissen drängen lässt. Selbst wenn sein Oberinspektor zwischen die Fronten von Shanghai-Bande und Pekinger Jugendliga gerät, nimmt sich Qiu Xiaolong alle Zeit für die Beschreibung chinesischer Eigenheiten: Das Spiel von Wolke und Regen, die positive Wirkung von Eidechsenessenz auf das Yang im Körper oder den Status der verschiedenen Zigarettenmarken: Panda galten als die besten Zigaretten der Welt, sie wurden exklusiv für Deng Xiaoping hergestellt, Mao bevorzugte die Marke China, die nur in der verbotenen Stadt geraucht werden durfte. Und unablässig wird gekocht und gegessen: Über-die-Brücke-Nudeln mit scharfer Acht-Köstlichkeiten-Sauce, gebackener Tofu und knusprig frittierter Reisfeldaal. Das Wasser läuft einem nur so im Munde zusammen und man liest mit knurrendem Magen, bis man auf das mahnende Sprichwort stößt: "Wenn das Kaninchen erwischt wird, werden auch die Hunde mitgekocht." Dann denkt man nur noch: Oh ja, toll, aber bitte mit dem leckeren Fünfgewürz!

Qiu Xiaolong: 99 Särge. Ein neuer Fall für Oberinspektor Chen. Roman. Aus dem Amerikanischen von Susanne Hornfeck. Zsolnay Verlag, Wien 2014, 285 Seiten, 17,90 Euro