Mord und Ratschlag

Blondes Gift

Die Krimikolumne. Von Ekkehard Knörer
15.10.2007. Duane Louis setzt seinen Helden im rasanten Thriller "Blondes Gift" unter heftigen Zeit-, Raum- und Sozialdruck. Und Giwi Margwelaschwili lässt in "Officer Pembry" das "Schweigen der Lämmer" zukünftige Wirklichkeit werden.
"Ich habe Ihren Drink vergiftet". Sagt eine blonde Frau namens Kelly an der Bar des Flughafens von Philadelphia zum Reporter Jack, der ihr natürlich nicht glaubt. Davon, dass der vergiftete Drink noch das geringste seiner Probleme sein wird, ahnt er, zu seinem Glück, noch eine ganze Weile nichts. Das Gift, sagt die Frau, wird dich innerhalb von zwölf Stunden töten, es sei denn, ich gebe dir das Gegengift. Jack glaubt kein Wort, verschwindet in sein Hotel, es wird ihm kotzübel, er beginnt, an seiner Skepsis zu zweifeln, eilt zurück zum Flughafen, findet Kelly wieder und ahnt noch immer nichts von seinem eigentlichen Problem, das in Wahrheit auch ihr eigentliches Problem ist. Er glaubt, dass die Zeit läuft. Zum Zeitdruck kommt schnell genug aber etwas, das man konsequenterweise als Raumdruck bezeichnen müsste.

Duane Louis, ein in Philadelphia lebender Autor, der in Wahrheit den deutschen Lesern offenbar unzumutbaren Namen Duane Swierczynski trägt, setzt seinen Helden und damit seinen Thriller sehr bewusst unter diesen doppelten Druck. Für den Raumdruck braucht er ein Science-Fiction-Gimmick, die Idee nämlich, man könne Menschen auch derart vergiften, dass sie quasi implodieren, sobald ihr Abstand zum nächsten Menschen mehr als drei Meter beträgt. (Das heißt: Der Raumdruck ist recht eigentlich ein Sozialdruck.) Dieser Gimmick wird notdürftig erklärt und zieht dann, das müsste vielleicht nicht unbedingt sein, gleich einen menschheitsapokalyptischen Schweif hinter sich her.

Es ist im Grunde aber egal, denn Duane Louis will auf nichts anderes als diesen doppelten Druck hinaus. Er sucht Spannungsstellschrauben und nicht realistische Plausibilität. Worauf es ankommt, ist der virtuose Umgang mit den Stellschrauben, ist das Jagen seiner Hauptfigur in aberwitzige Situationen oft genug komisch, weil im Alltag normal, unter den Bedingungen des Doppeldrucks aber eben lebensgefährlich. Es kommt dazu: Man kann sich die Menschen, in deren Drei-Meter-Umkreis man gerät, um ihn nach Möglichkeit nicht mehr zu verlassen, nicht aussuchen, zumindest nicht in tiefer Nacht in Philadelphia. Ein bisschen darf man an Leo Perutz' Roman "Zwischen neun und neun" denken, der seinen Helden gleichfalls unter heftigem Zeitdruck in absurde Situationen manövriert, und mehr als ein bisschen an die Fernsehserie "24".

Schön ist die Konsequenz, mit der Louis seine Helden durch die Nacht von Philadelphia treibt. Überhaupt ist er ein Autor, der mit grotesken Prämissen viel anzufangen weiß. In seinem leider nicht übersetzten Erstling "Secret Dead Men" hat er im Geist seines Privatdetektiv-Helden ein ganzes Seelen-Hotel suspekter toter Subjekte eingerichtet und treibt damit etwas sehr Originelles zwischen Schabernack und Entsetzen. Das Hotel suspekter Subjekte erweist sich nämlich als kleinlicher, intriganter Club toter Nervensägen, der den Ermittler zu ständiger innerer Streitschlichtung zwingt und dadurch massiv beim Ermitteln stört. (Bei Interesse bitte nicht unter Louis, sondern unter Swierczynski nachschlagen.)

Eine verrückte Idee zu haben, ist das eine. Daraus aber einen, jedenfalls innerhalb der eigenen hirnrissigen Regeln, überzeugenden und noch dazu höllisch spannenden Thriller zu stricken, ist eine sehr viel größere Leistung. "Blondes Gift" gehört nicht zu den Büchern, die die Welt erschüttern, aber es ist intelligente und raffinierte Weglesliteratur der rasantesten Art.

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Auch der in Deutschland geborene, lange in Georgien lebende, aber auf Deutsch schreibende Autor Giwi Margwelaschwili hatte eine reichlich absurde Idee. Die Prämisse seines Romans "Officer Pembry" geht so: Hundert Jahre nach unserer Gegenwart stellt sich heraus, dass die Wirklichkeit die unheimliche Tendenz entwickelt, Konstellationen aus der Kriminalliteratur des 20. Jahrhunderts Wirklichkeit werden zu lassen. Was die großen und kleinen Meister des Genres sich ausgedacht haben, trägt sich nun detailgenau zu. Zum Beispiel - und es ist das Beispiel, das Margwelaschwili in seinem Roman erzählt - erweist sich ein Mann namens Hannibal Lecter als Kannibale und Mörder.

Allerdings geht es in "Officer Pembry" nun weniger um ihn als um eine Nebenfigur im "Schweigen der Lämmer", eben jenen nun zum Titelhelden avancierten Gefängnisaufseher namens Pembry, den Lecter bei seinem Ausbruch aus dem Gefängnis auf sehr unschöne Weise ums Leben bringt, indem er ihm nämlich das halbe Gesicht wegbeißt. Diese Tat ist in der Zukunftswirklichkeit noch nicht geschehen, steht jedoch recht unmittelbar bevor. Also schreitet die prospektive Kriminalpolizei ein, die in der Vergangenheit aufgeschriebene Verbrechen verhindert, bevor sie in der Zukunfts-Erzählgegenwart des Romans sich ereignen.

Dies Einschreiten ist keine einfache Sache, denn das Geschriebene übt geradezu zwanghaft magische Wirkung auf die Ereignisse aus. Jeder Eingriff ist heikel, beinahe unmöglich, weil alles danach strebt, zu werden wie geschrieben. Margwelaschwili entwickelt, dieser Prämisse folgend, auf den 200 Seiten seines Romans ein geradezu obsessives Interesse, alle Eventualitäten und Paradoxa, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, Wägbarkeiten und Unwägbarkeiten der einmal entworfenen Konstellation hin- und herzuwenden. Der Meta-Kriminalroman als Denkspiel - der zuletzt freilich auf die Konfrontation von eigens präparierter Wirklichkeit und dem mächtigen Zwang zur Fiktionswiederholung hinausläuft.

Eine der unzähligen Pointen dieser Idee: Der Kriminalist wird zum überpräzisen Philologen, der noch in der verstecktesten Nebenbemerkung des zukünftig wirklichkeitsdeterminierenden kriminalliterarischen Texts nach Eingriffsmöglichkeiten sucht. Auf faszinierende Weise enervierend ist es, wie Margwelaschwili zur Beschreibung der metafiktionalen Sachverhalte eine artifizielle Begriffssprache, ja geradezu eine Scholastik der Text- und Realverhältnisse entwickelt, in der haarfein auf "lesestofflich vorgeschriebene Blickwinkel", "thematische Blickzwänge", "unthematische Betrachter" und eine Unzahl weiterer Faktoren zu achten ist.

Das Wunder ist: Nicht nur der Autor, sondern auch der realpersönliche Leser hält diese scholastische Dissertationen durch. Schließlich steht das Leben der Titelfigur auf dem Spiel. Zur Belohnung gibt es, als alle denkbaren und undenkbaren Varianten durchgespielt sind, eine ziemlich brillante Auflösung der ganzen Angelegenheit. Dennoch ist "Officer Pembry" natürlich alles andere als ein Thriller, sogar ziemlich genau das Gegenteil von "Blondes Gift". Wo Louis seine Science-Fiction-Idee in erster Linie zur Spannungserzeugung verwendet, reitet Margwelaschwili auf ihr wie ein durchgeknallter Philologe herum, dem Text- und Wirklichkeitsauslegung hoffnungslos durcheinander geraten sind. Auf seine Weise macht beides Spaß, ist allerdings definitiv nur was für Möglichkeits- und nichts für Wirklichkeitsinteressierte.

Duane Louis: "Blondes Gift". Aus dem Amerikanischen von Frank Dabrock. Heyne Verlag. 335 Seiten. 7,95 Euro.

Giwi Margwelaschwili: "Officer Pembry". Verbrecher Verlag. 198 Seiten. 19,90 Euro.