Mord und Ratschlag

Winter im Gemüt

Die Krimikolumne. Von Ekkehard Knörer
10.12.2007. Auf den ersten Blick gleichen sich die verwitweten Helden von Brian Freemans "Doppelmord" und Peter Temples "Vergessene Schuld" - dennoch gibt es einen Unterschied zwischen den Büchern: Das eine taugt was, das andere nicht.
Welten liegen zwischen Duluth, Minnesota und Melbourne, Australien, aber es ist hier wie da Winter, zunächst jedenfalls, in der Wirklichkeit und im Gemüt, und in diesem doppelten Winter finden wir die Protagonisten in derselben Ausgangssituation: Jack Irish und Jonathan Stride sind Männer mittleren Alters, die ihre Frauen verloren haben und nun mit gebrochenem Herzen dem Verbrechen auf der Spur sind, als regulärer Polizist der eine, als freischwebender Ermittler mit Anwaltszulassung der andere. Zwei Romane, die jeweils einen neuen Serienhelden einführen, der eine - Brian Freemans "Doppelmord" - im Original recht neu, der andere - Peter Temples "Vergessene Schuld" - schon mehr als zehn Jahre alt. Der wichtigste Unterschied zwischen den beiden Romanen mit ihren verwitweten Helden? Der eine taugt was, der andere nicht.

Vor dem Zurat der Abrat: Rachel, 17 Jahre, umwerfend schön, aber nach allem, was man so hört, ein echtes Aas, ist verschwunden. Vieles deutet auf ihre Ermordung hin. Zu denen, die sich besonders verdächtig machen, gehört der Stiefvater, mit dem sie sich erst sehr gut und dann gar nicht mehr vertrug. In der Familie liegt und lag auch sonst alles im Argen, zwischen Rachel und ihrer Mutter gab's schon mal Prügel. Jonathan Stride schleicht melancholisch durch Duluth, lernt eine Englischlehrerin kennen und denkt doch immer weiter an seine verstorbene Ehefrau. Eine Leiche wird nicht gefunden, ein Prozess wird gemacht, eine Bluttat geschieht und der Roman macht einen Sprung durch Zeit und Raum nach Las Vegas.

Es ist gegen den Plot von "Doppelmord" nicht viel zu sagen, es handelt sich um solide, am Reißbrett entworfene Qualitätsarbeit mit im Rahmen des Genres plausiblen Überraschungseffekten. Das Problem liegt in erster Linie anderswo und es ist sehr leicht zu benennen: Brian Freeman ist ein lausiger Literat. Vor keinem Sprachklischee schaudert ihm und eigentlich möchte man schon nach ein paar Seiten und viel zu vielen Exempeln einer ausgeprägten linguistischen Fühllosigkeit dieses feiste Ding aus Plastikidiomen, abgegriffenen Vergleichen und Ersatzteilwendungen in die Ecke pfeffern. (Drei Formulierungen nur von den ersten drei Seiten: "Die Angst schloss sich wie eine Faust um seine Eingeweide", "ihre Schönheit raubte ihm den Atem", "diese eindringlichen grünen Augen, unergründliche Meere, in denen er ertrinken wollte".) Es soll ja Leute geben, die finden, dass es in der Kriminalliteratur auf die Sprache nicht weiter ankommt, dass also, mit anderen Worten, die Kriminalliteratur überhaupt keine Literatur ist, sondern ein Spannungsversorger und eine aufs Plotten und Rätseln, aber nicht auf die Formulierung gebaute Lesefieberbedürfnisanstalt.

Als solche mag Freemans "Doppelmord" taugen, all jenen zumindest, denen angesichts der aufgeschwemmten Milchsemmelhaftigkeit von Freemans Sprache nicht Hören und Sehen und damit die Lust am Weiterlesen vergeht. Aber die zumeist verlässliche Regel, dass einer, der zu sprachlicher Genauigkeit und Originalität nicht fähig ist, auch in der Weltbeobachtung insgesamt wenig Eigenes zu bieten hat, erweist sich in diesem Fall als zutreffend: Nichts kommt in diesem Roman vor, das einem nicht anderswo schon besser gesagt unterkam. Die Sprache, das Denken, die Figurenbeschreibung: Man sehnt sich vergeblich nach irgendwelchen Individualitäten. Nichts springt den Leser an, nichts reibt ihn auf. Du schwitzt nicht im Sommer und du frierst nicht im Winter. Vielmehr lässt einen dieser ganze nach Duluth verklappte Genreaufguss einfach kalt.

P.S.: An der deutschen Übersetzung von Tanja Handels liegt es nicht. Retten freilich kann sie, kongenial wie sie ist, nichts.

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Peter Temple, in Südafrika geboren, in Australien zum mit Preisen überhäuften Autor geworden, wurde hierzulande erst in diesem Jahr, mit der Übersetzung seines jüngsten Romans "Kalter August" bekannt. Der Verlag hat sie im Hardcover veröffentlicht, eine Ehre, die nicht jedem "Debütanten" zuteil wird, in diesem Fall aber gerechtfertigt war. An Willen zum Stil mangelte es diesem Werk nämlich nicht, ganz im Gegenteil. Im Original las es sich eher wie Satz für Satz und Wendung für Wendung in schwarzen Stein oder gar Marmor ziseliert. Beeindruckend einerseits, aber wohl doch etwas zu viel des Guten zum anderen, weil sich bei der Lektüre auf Dauer das Gefühl einer hoch eleganten Starre einstellt.

"Vergessene Schuld" ist anders. Konventioneller, lebendiger, weniger schwarz und weniger marmorn und vielleicht nicht zuletzt deshalb ein großes Vergnügen. Es ist der Roman, mit dem Temple seinen Serienhelden in die Welt setzte: Jack Irish, durch die Folgen einer Rachebombe verwitwet, kein bisschen irisch, sondern jüdisch (von Reich zur Irish australisiert). Anwalt einst, aber nun nicht mehr. Dafür Geldeintreiber und gelegentlich auch Ermittler auf eigene Faust wie in diesem Fall. Es taucht einer aus dem Gefängnis und der Vergangenheit auf und behauptet, unschuldig verurteilt gewesen zu sein. Er saß, wie es scheint, nicht hinter dem Steuer des Autos, das einst eine manchem Mächtigen lästige Politaktivistin überfuhr. Dann aber sterben die an der mysteriösen Geschichte von einst mittel- oder unmittelbar Beteiligten wie die Fliegen und auch Irish und seiner neuen Liebe will recht bald jemand ans Leder.

Nebenbei ist Irish noch an ausgeklügelten Pferdewettmanövern beteiligt, auch diesem Teil seiner Existenz gilt des Autors liebevolle Aufmerksamkeit. Wie im richtigen Leben hat das eine nicht mit dem anderen zu tun und kommt nur in der alles andere als unsympathischen Figur des Jack Irish zusammen, der zum inneren Ausgleich gern tischlert, ansonsten eigensinnig ist, aber auch sein Leben liebt und irgendwann, als alles sehr brenzlig wird, nicht mehr weiter weiß. Irish ist ein Erbe der klassischen Hardboiled-Detektive und in seinen geistreich-frechen Dialogen kann sich Temple mit den besten des Genres messen. Das Genre selbst erneuert er damit nicht, aber er verpflanzt die Konventionen der Privatdetektivliteratur völlig überzeugend auf den australischen Kontinent. Fünf Romane um Irish hat Temple bisher geschrieben, der Verlag wird sie vermutlich in chronologischer Folge nach und nach veröffentlichen. Auch die Entwicklung des Autors vom flotten Genre-Profi zum ambitionierten Großepiker wird spannend zu verfolgen sein.

Brian Freeman: "Doppelmord". Aus dem Englischen von Tanja Handels. Hoffman & Campe, Hamburg 2007, 400 Seiten, 16,95 Euro. ()

Peter Temple: "Vergessene Schuld". Aus dem Englischen von Sigrun Zühlke. Goldmann TB, München 2007, 384 Seiten, 7,95 Euro. ()
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