Mord und Ratschlag

Hier ist alles Intelligenz

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
05.12.2011. In "Müllers Morde" setzt Monika Geier einen lebensuntüchtigen Historiker auf die Spur eines aus dem Ruder gelaufenen Hackers. Richard Stark lässt in "Verbrechen ist Vertrauenssache" ausschließlich professionelle Kräfte walten.
Richard Romanoff ist wahrscheinlich der sanftmütigste Ermittler der Krimigeschichte, auch der unentschlossenste. Ein "Ja" ist für ihn keine ernstzunehmende wissenschaftliche Aussage. Als Historiker ist er trotzdem nie auf einen grünen Zweig gekommen, den Tod seiner umweltbewegten Eltern hat er nie verwunden, und er lebt noch immer in seiner unrenovierten Wohnung aus Studienzeiten. Er fährt Fahrrad, trägt lange Haare und grob gestrickte Wollpullover.

Sein Geld verdient er mit lukrativen, aber akademisch weniger respektablen Nachforschungen: Für den unausgelasteten Umweltmanager eines großen Energieunternehmens und dem etwas tuntigen Kölner Upperclass-Anwalt Peter Welsch-Ruinart, spürt er antiken Artefakten nach. Eines Tages wird der Umweltmanager tot aufgefunden. Gleich drei Mordkommissionen fühlen sich nicht zuständig und einigen sich deshalb auf einen Unfall: Tod durch Ersticken, aus dem Totenmaar, einem See in der Eifel, hat sich plötzlich eine CO2-Wolke erhoben und den Mann samt weidender Kuh vergiftet. Anwalt Welsch-Ruinart lässt Romanoff der Sache nachgehen, denn erstens kann ein Historiker forschen und zweitens hat er ein Auge auf ihn geworfen.

Wer glaubt, dass Monika Geier in ihrem neuen Roman den Eifel-Krimi mit Elementen von Indiana Jones kombiniert, liegt nicht falsch, unterschätzt sie aber. Mit solchen Reverenzen ans Genre will sie nur spielen, um dann einen viel durchtriebeneren Plot zu entwickeln.

Der Leser weiß von Anfang an, dass der Manager von einem Mann ermordet wurde, der sich Müller nennt und der seine Karriere - die bürgerliche wie die kriminelle - als Hacker begonnen hat. Und wir lernen sehr bald, dass man nicht Hacker wird, weil man als Jugendlicher keine Freunde hatte. Einsame Jugendliche werden Blogger. Hacker wird man, weil man es kann. "Im Prinzip bedeutet Hackersein nichts als: Passwörter knacken. Das geht nicht immer mit technischen Hilfsmitteln. Passwörter sind persönlich. Um die rauszukriegen, und um überhaupt zur Passworteingabe vorzudringen, brauchen Sie Wissen über die Leute, die am anderen Ende der Leitung sitzen. Sie brauchen deren Namen, Arbeitsplätze, Telefonnummern, Familienmitglieder und so weiter. Sie müssen dort anrufen als Meinungsforscher und dort vorbeigehen als Klempner." Man spürt die diebische Freude durch die Zeilen blitzen, mit der sich Geier solche Perfidien ausdenkt.

Die Frage ist daher: Wer ist Müller und in wessen Auftrag mordet er? Geier erzählt abwechselnd aus der Perspektive von Romanoff und Müller. Mit viel Geschick hält sie die beiden Erzählfäden auseinander, mitunter kreuzen sie sich, und das ergibt grandiose Szenen, etwa wenn Romanoff das Reihenhaus des Managers nach Hinweisen durchforstet, während sich Müller bei der Nachbarin einschleicht - "Guten Tag, Müller von Kabel Deutschland" -, um die alte Dame mit ihrem Kissen zu ersticken.

Allerdings leidet "Müllers Morde" auch an dieser Konstruktion, die meist bei Krimis knirscht, deren Geschichte aus der Perspektive des Mörders erzählt wird. Man soll sich in das überreizte Nervensystem eines Halbverrückten hineinversetzen, darf aber sonst nichts von dem Menschen erfahren, weder über seine Person noch über seine Motive. Aber da Geier eine psychologisch durchaus versierte Erzählerin ist, erscheint es einem nicht unplausibel, wie sich der mordende Müller zunächst in Grandiositätsfantasien hineinsteigert, dann aber in einen Zustand schockartiger Erschöpfung gerät.

Natürlich kommt diese doppelte Erzählstrategie auch Geiers Talenten zugute, ihrem sardonischen Witz, ihrer Freude an bösen Situationen und ihrer menschenfreundlichen Klugheit. Damit beschenkt sie reichlich ihren so lebens- und liebesuntüchtigen Historiker Ricky, der erst Atlantis, dann einen überpotenten Hacker suchen soll, aber mit seinen vierzig Jahren nicht mal sein eigenes Leben gefunden hat. Der geradezu Beklemmungen bekommt, als man ihm ein schickes Büro anbietet: "Düfte nach gutem Leben, echter Lavendelpolitur, dem originalen alten Haus, nach richtigen Bäckerbrötchen und einer gerechten Welt. Hier roch es so, wie es nie gewesen war, er musste hier raus."

Monika Geier: Müllers Morde. Roman. Argument Verlag. Hamburg 2011, 320 Seiten, 11 Euro


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Anders als bei Monika Geier gibt es bei Richard Stark kein Zögern, keine Unentschlossenheit, keine Affekte. Bei ihm haben wir es mit Profis zu tun. Hier ist alles Intelligenz. Psychologie spielt keine Rolle, Emotionen wären unprofessionell und ein schwer zu kalkulierendes Handicap.

Der Roman ist reine Bewegung. Gleich mit dem ersten Satz sind wir mittendrin im Coup, und wie immer bei Richard Stark tut es einem um das Opfer nicht leid: Parker überfällt zusammen mit zwei Kompagnons die Entourage eines Stadionpredigers, der gerade von seinen Schäfchen vierhunderttausend Dollar an Spenden eingeheimst hat. Parkers Plan wäre beinahe aufgegangen, wenn sich nicht George Liss, der zu denen gehörte, die beinahe immer beinahe die Wahrheit sagen, gleich in der ersten Nacht mit der Beute hätte absetzen wollen. Parker muss also umdisponieren, doch er und sein Partner Mackey stecken in der abgeriegelten Stadt fest, die Polizei und die Sicherheitsleute des Reverends sind hinter ihnen her, sie müssen die Beute in Sicherheit bringen, und natürlich wartet Liss auf seine zweite Chance. Parkers einzige Hilfe ist Mackeys kluge und zuverlässig kühle Freundin Brenda.

Auf allen Seiten haben wir es mit Profis zu tun. Es geht nicht um Recht oder Moral, Verrat oder Rache. Es geht darum, keine Fehler zu machen: Parker, der Mann ohne Vornamen und Familie, ist sozusagen die Inkarnation der reinen unemotionalen Intelligenz. Der im Raubfall ermittelnde Detective mit seinem wölfischen Grinsen versteht von Gefühlen gerade soviel, dass er sie gegen andere verwenden kann. Dwayne, der Sicherheitschef des Predigers, ist ein ehemaliger Marine und sein größter Fehler besteht darin, dass er sich nicht vorstellen kann, irgendjemand könnte noch gemeiner sein als er selbst. Der beraubte Reverend ist selbstverständlich auch ein Profi, nicht nur weil er sehr wohl den Ehrgeiz hat, Trinkern oder Hohlköpfen Orientierung zu geben und die "betrieblichen Fehlzeiten" zu verringern. Wie er einen treulosen Schützling ins Gebet nimmt, dabei Daumenschraubentechnik mit süßlicher Salbaderei kombiniert, müsste jeden Verhörspezialisten in Guantanamo vor Neid erblassen lassen.

Und natürlich ist auch Richard Stark ein großer Könner und mit seiner umfangreichen Parker-Reihe auch noch nach seinem Tod ein verlässlicher Lieferant erstklassiger Krimikost. "Verbrechen ist Vertrauenssache" ist im Original bereits 1997 als "Comeback" erschienen, es war der erste, mit dem Richard Stark nach 25-jähriger Pause seinen Helden Parker wieder ins Krimigeschäft brachte. Dirk van Gunsteren hat Starks sehnige Sprache souverän ins Deutsche übersetzt. Seine Sätze sind schlank und schnell wie Pfeile. Es gibt keinen Fall zu klären, es geht allein um Technik, wie sich Kräfteverhältnisse verschieben, wie man sich selbst in den Vorteil bringt oder aus ausweglosen Situationen befreit. Außerdem lernen wir von Georg Liss, weshalb er einen Anfänger immer prima gebrauchen kann: "Damit ich einen hab, den ich vom Schlitten werfen kann."

Richard Stark: Verbrechen ist Vertrauenssache. Ein Parker-Roman. Aus dem Amerikanischen von Dirk von Gunsteren. Zsolnay Verlag, Wien 2011, 255 Seiten, 16,90 Euro

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