Mord und Ratschlag

Glaube macht radikal

Die Krimikolumne. Von Michael Schweizer
20.01.2005. Glaube macht radikal, deshalb ist er ein dankbares Thema für den Kriminalroman. Bei Oliver Bottini steht ein buddhistischer Mönch im Mittelpunkt von "Mord im Zeichen des Zen". Björn Hellberg schildert in "Todesfolge" das Milieu protestantischer Sekten in Schweden.
Taro geht durch den Schnee. Nur in Sandalen und einer dunkelbraunen Kutte kämpft sich der japanische Mönch über die südbadischen Hügel. Er schläft im Wald. Der Dorfpolizist Johann Georg Hollerer weiß nicht, was er tun soll. So muss sich die Freiburger Hauptkommissarin Louise Boni der Sache annehmen. Sie begleitet Taro, verbringt die bitterkalte Nacht neben dem abweisenden Mann, der in seinem Stummelenglisch kaum etwas sagt. Boni spürt, dass er Angst hat, sieht drei Verfolger nach ihm suchen und bittet ihren Chef Rolf Bermann um mehr Leute. Der glaubt, die Kollegin sei wieder einmal betrunken, und greift erst richtig ein, als es für einen anderen Polizisten zu spät ist. Welche Rolle spielt das elsässiche Zen-Kloster Kanzan-an, in dem Taro vor seiner Flucht gewohnt hat?

Religion ist, zumindest prinzipiell, unbürgerlich und verfehlt den goldenen Mittelweg. Sie ist unausgewogen innerlich, indem sie die Gläubigen nach dem Kern der Dinge suchen lässt, und störend äußerlich, indem sie kompromissloses Handeln begründet. Sie schafft Ärger, deshalb ist sie ein gutes Krimithema. Oft wird es in mittelmäßigen Who-done-its verschenkt, in denen der Ermittler zufällig auch Pfarrer ist. Dort wird mit Gedanken wie "Du sollst nicht töten" gespielt. Literarisch sind solche Ideen langweilig, weil ihnen jeder zustimmt. Das Verstörende der Religion, ihre Fähigkeit zum Inakzeptablen, zur fordernden Wahrheit, der andere fordernde Wahrheiten widersprechen - schließlich lassen sich eine Menge Religionen und Gottlosigkeiten plausibel begründen -, verhandeln wenige Krimis auf so hohem Niveau wie Oliver Bottini, Jahrgang 1965, in seinem ersten Roman "Mord im Zeichen des Zen".

Louise Boni lässt sich von dem Universitätsdozenten Richard Landen eine buddhistische Lehre erklären: Das "Grundübel von allem" sind die "menschlichen Begierden", "ohne Begierden gäbe es kein Leid", man muss sie also überwinden. Das Ich als Zentrum des Begehrens ist sowieso eine Illusion. Gefühle, Wahrnehmung, Bewusstsein ändern sich ständig, wie kann man da von einem Ich sprechen? Man muss gleichgültig gegenüber dem Glück werden, den Tod als "Teil des Kreislaufes der Wiedergeburten" annehmen.

Das ist öde. Was wäre das Leben ohne den Stachel der unerfüllten Begierden, ohne den finalen Zeitdruck, unter den einen das unannehmbare Ende setzt? Aber, große Ambivalenz, es ist nicht nur öde, sondern auch wahr; Verrat am Leben und dessen mögliche Verbesserung. Denn Louise Boni und ihre Kollegen kommen einer Kinderschänderbande auf die Spur, Menschen also, die ihre Begierden in der Tat besser überwinden würden. Schmerzliche zweite Ambivalenz, dass einige dieser Leute auch Gutes tun. Klaus Fröbick zum Beispiel ist ein vorbildlicher Vater.

Louise Boni hat Kollegen, die sich über die Gesellschaft keine großen Gedanken machen. Andererseits ist "Mord im Zeichen des Zen" auch ein Roman über die Folgen von 1968. Er spielt heute, die Kommissarin ist 42.
Als sie ein Kind war, hat sich ihre Mutter vom Vater emanzipiert und gegen Filbinger-Deutschland gekämpft. Mit Recht, aber der feministische Furor hat die Familie zerrissen, so dass Louise es später nicht geschafft hat, sich dem richtigen Mann zu verbinden. Obwohl der sexuell üppig versorgt würde ... Typischerweise ist es der Macho Bermann, der die klaren Worte findet, nach denen die Säuferin einen Entzug beginnt. Es gibt in diesem Roman kein Opferpathos. Auch die, die man mag, machen viel falsch. Von Louise, aus deren Sicht die Geschichte überwiegend erzählt wird, erfährt man es am ausführlichsten. Muss sie zum Beispiel ihre seelische Gesundung ausgerechnet vorantreiben, indem sie den verheirateten Landen lockt?

Dass von fast allem auch das Gegenteil wahr ist und es trotzdem im Leben wenig Zufälle und nichts Beliebiges gibt - dem sind nicht viele Krimischreiber sprachlich gewachsen. Oliver Bottini schon. Er lässt geschickt weg, fängt Dialoge nicht mit "Guten Morgen" an, sondern an einer interessanten Stelle. Jedes Thema - zum Beispiel die Ehe - kommt irgendwann mit anderen Beteiligten, in anderer Beleuchtung wieder, ohne dass er mit dem Zeigefinger darauf weist. Vorgaben des Krimigenres - Spannung, gebeutelte Ermittlerin - sind wie spielerisch miterfüllt. Man muss auch den Verlag für das Papier loben, das von Anfang an anheimelnd nachgedunkelt wirkt und schön gestrig riecht, und für den großzügigen Satz mit in aller Regel unter 55 Zeichen pro Zeile.

Nur der Titel trifft es nicht: Die Mörder haben mit Zen nichts zu tun. Stattdessen vermisst man das Wort "Schnee". Louise Bonis Bruder starb durch einen Autounfall auf verschneiter Straße, ihr Mann hat sie beim Skifahren verlassen, der Mädchenschänder, den sie in einem anderen Fall vor Jahren erschossen hat, blutete rot auf weiß. Die Kommissarin hasst den Schnee. Aber im Versuch, Taro zu retten, leitet sie eine Wendung ein. Der Mönch wird ihr "vierter Schneemann", die böse Märchen-Drei verliert ihre Kraft an die Wirklichkeit, Schnee wird der Ort der Bewährung. Und er ist spannend. Bottini zeigt den Städtern, welche Angst eine Fußspur erregen kann.

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Wer am Beispiel studieren will, wie wenig andere Krimis mit der Religion anfangen, der sie viele Seiten widmen, kann zu Björn Hellbergs "Todesfolge" greifen. Unter den "Gottesboten", einer christlichen Sekte in der schwedischen Kleinstadt Stad, geht ein Mörder um. Er tötet die Abweichler: einen liberalen Pastor, eine Ehebrecherin, einen Alkoholiker. Der Täter kommt von innen, so fallen für den Leser detaillierte Milieustudien zum protestantischen Sektenwesen ab. Leider ist der Mörder aber einfach verrückt. Wäre er gesund, würde er nicht morden. So wird die Frömmigkeit doch wieder zur Nebensache. Thema verfehlt.

Entsprechend unentschlossen ist das Buch geschrieben. Der allwissende Erzähler macht pflichtbewusst einen Gläubigen nach dem anderen verdächtig, meist wenig überzeugend. Wie oft in skandinavischen Krimis grassiert das Konferenzübel: Kommissar Sten Wall und seine Kollegen kauen wieder und wieder durch, was der Leser längst weiß. Der Stil klingt nach Gemeinderat: "großzügige kommunale Zuschüsse ermöglichten den engagierten Bildungsvereinen ein breit gefächertes und abwechslungsreiches Vortragsangebot."


Oliver Bottini: "Mord im Zeichen des Zen". Kriminalroman. Scherz Verlag, Frankfurt am Main 2004, 368 Seiten, gebunden, 14,90 Euro

Björn Hellberg: "Todesfolge". Roman. Aus dem Schwedischen von Astrid Arz. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2004, 254 Seiten, Taschenbuch, 8,90 Euro