Mord und Ratschlag

Gehobene Koks-Klasse

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
07.04.2010. Eigentlich wollte Roxanne Palmer nur ihren miesen Mann loswerden. Leider tritt sie mit ihrem kleinen Mord auch einigen Gangsterbossen auf die Füße und deshalb einen veritablen Bandenkrieg in Kapstadt los. Zwischen die Fronten geraten in Roger Smith' Thriller "Blutiges Erwachen" außerdem Huren, Tik-Junkies, Zulu-Zauberer und Kannibalen.
Es gibt eine Sorte Krimis, von der man nicht weiß, ob sie noch in die Kategorie Thriller gehören oder schon zu den Reiseführern mit Mord. Ihre Erzähler nehmen den Leser freundlich an die Hand, führen ihn in Kultur und Politik des Landes ein und verraten gern auch ein paar Kochrezepte. Ihre Ermittler dichten, aber trinken nicht, sie verabscheuen Gewalt, aber den Müll bringen sie meist ohne großes Murren raus. Auch in Roger Smith' "Blutiges Erwachen" scheint der Mond groß und rund über Kapstadt, aber soft-boiled ist sein südafrikanischer Krimi ganz eindeutig nicht. Hier weht hier ein scharfer Wind Staub und Dreck aus der Wüste direkt in die Hütten der Cape Flats.

Bei Smith ist Glück ein endliches Gut, wer davon etwas abhaben will, muss es einem anderen wegnehmen. Und am besten besorgt er sich dafür auch eine vernünftige Waffe, sonst überlebt er nicht. Aufstieg und Erfolg verheißen hier kein komfortables und sicheres Leben, sondern allenfalls die besseren Drogen. Nicht mehr die miesen Amphetamine, kein Ice, Crystal, Meth oder Tik, die, wenn man Pech hat, von den Dealern in den Cape Flats mit gemahlenem Spülstein, WC-Reiniger oder Rattengift gestreckt werden.

Den Aufstieg in die gehobenen Koks-Klasse hat auch Roxanne Palmer geschafft, genannt Roxie, ehemaliges Fotomodell und jetzt verheiratet mit einem Waffenhändler, Joe, der vornehmlich kongolesische Kriegsherren mit illegalen Waffen versorgt. Roxanne ergreift die Gelegenheit ihres nicht mehr ganz blühenden Lebens, als den beiden bei einem Überfall von zwei Tik-Junkies der Luxus-Mercedes geklaut wird. Sie erschießt ihren Mann und schiebt den Mord den beiden Schwarzen in die Schuhe. Bei der Polizei hat sie auf jeden Fall die besseren Karten. Allerdings hatte der Waffenhändler bei einer Menge Leute eine Menge Schulden, zum Beispiel bei Billy Afrika, einem Ex-Polizisten und Söldner, der dringend Geld braucht, um der Familie seines ermordeten Ex-Partners zu helfen. Und als der dann auch noch den eh schon nervösen Gangsterbossen in die Parade fährt, bricht die Hölle los. "Wenn man ein Leben nahm, verlor man eine Form des Schutzes, von dem man nicht mal wusste, dass man ihn besaß."

Polizisten werden aus dem Weg geräumt, Kleingangster von ihren Bossen umgebracht, ganze Familien von Psychopathen vergewaltigt und verstümmelt. Alles in allem wird es schon allein fünfzehn meist sehr unappetitlich zugerichtete Leichen geben - bevor überhaupt der Krieg zwischen den rivalisierenden Banden im Ghetto begonnen hat. Man könnte abgeklärt nicken: Ja, so ist es im Südafrika von heute, hier zählt ein Menschenleben nicht viel, in dieser rauen umkämpften Wirklichkeit des Ghettos, in dem die schwarze Jugend nicht wie die Eltern an Aids sterben, sondern an mit Rattengift versetzten Drogen, in Bandenkriegen oder im Gefängnis, wo sie von anderen Häftlingen vergewaltigt und massakriert werden. Tatsächlich gibt es Szenen, da packt einen der blanke Terror, man kann nicht bestreiten, dass sich der gelernte Drehbuchautor Smith auf messerscharfe Gegenschnitte und zackig wechselnde Perspektiven versteht. Smith ist dafür sehr gefeiert worden, "gnadenlos" wird einer solchen Darstellung dann gern als Etikett angeheftet, aber sie könnte auch im klinischen Sinne als manischer Realismus durchgehen. Und so machistisch wie seine Dramaturgie wird dann auch seine verbale Kraftmeierei ("Er war sich nicht sicher, ob es Rotz war, der dem Mann da aus der Nase tropfte, oder Gehirn"). Dagegen hatte Jack Bauer wirklich ruhige Tage.

Dabei lässt Smith keine Gelegenheit zum Klischee ungenutzt, bald reicht ihm die blanke Kolportage: Der kongolesische Kannibale darf seine Auftritt haben, die ukrainische Hure, die unfähigen, aber politisch korrekten Polizeifunktionäre, der gefickte Tik-Junkie, den seine Mutter als Kind auf den Müll geworfen hat, oder der saufende Arzt, der Leichen für den beliebten potenzstärkenden Zulu-Zauber zerhackt. Ganz schlimm auch die schwangere Frau, die im Streit von ihrem Mann die Treppe heruntergestoßen wird und ihr Kind verliert. Und dass all die Junkies, blutrünstigen Gangster und korrupten Bullen schwarz oder farbig sind, mag ja noch im Sinne der beschworenen Gnadenlosigkeit angehen, aber dass kein einziger weißer Südafriker in diesem Buch vorkommt, aber dass die Sympathieträger ausgerechnet eine weiße Amerikanerin und ein aus dem Irak zurückgekehrter Söldner sind, zeugt vielleicht weniger von fröhlicher politischer Unkorrektheit als von anvisierten Märkten. Vor allem bleibt Smith nie lange bei einer Person oder einer Idee. Er interessiert sich gar nicht für die Frau, die ihren miesen Mann loswerden, aber sein schönes Geld behalten will und plötzlich in das Fadenkreuz der Drogenmafia gerät. Oder dafür, wie durch diesen unerwarteten Todesfall das gesamte Machtgefüge in den Ganglands in Aufruhr gerät. Stattdessen bringt er Kapitel für Kapitel und in stetiger Beschleunigung weitere finstere Gestalten ins Spiel, die vor Mordlust brennen und eine gewaltige Blutspur durch Kapstadt ziehen werden. Wie ein Dealer seinem Junkie verteilt Smith seinen Stoff in immer kürzeren Abständen, dafür aber in immer dünneren Dosen.

Roger Smith: Blutiges Erwachen. Roman. Aus dem Englischen von Jürgen Bürger und Peter Torberg. Tropen verlag. Stuttgart 2010, 356 Seiten, 19,90 Euro