Mord und Ratschlag

Ärger gefällig?

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
22.01.2017. In Tana Frenchs Roman "Gefrorener Schrei" ermittelt eine junge Dubliner Polizistin in einem Smog aus Gehässigkeit vor allem gegen ihre eigenen Kollegen. John Harvey schickt in "Unter Tage" seinen altgedienten Inspector Resnick noch in die besiegten Bergarbeiterregionen in den Midlands.
Kaum eine Bestseller-Autorin wird so geliebt und verehrt wie Tana French. Ihre Kollegen huldigen ihr nicht nur in Irland, ihre millionenfach verkauften Romane landen regelmäßig auch auf der Bestenliste, und mitunter kündigt sogar das heute journal ihr Erscheinen an. Dabei funktionieren ihre Romane nicht als Serie. In jedem Roman steht ein anderer Ermittler im Focus, einige von ihnen sind als Ermittler der Dubliner Mordkommission miteinander verknüpft. Im Mittelpunkt von Frenchs neuem Roman "Gefrorener Schrei" steht Detective Antoinette Conway, eine junge Dublinerin, die bereits in Frenchs Megaseller "Geheimer Ort" eine wichtige Rolle spielte. Dessen Geschichte um einen Mord in einem vornehmen Mädcheninternat wurde aus der Perspektive des freundlichen Detective Stephen Moran erzählt, und für ihn war Antoinette Conway niemand, mit dem man befreundet sein wollte. Ihre ganze ruppige Erscheinung fragt: "Ärger gefällig?" Wenn jemand zu ihr ins Büro muss, fragen die anderen, ob er auch alle Impfungen habe. Als sie sich die verzogenen Teenager des vornehmen Internats ziemlich rabiat zur Brust nahm, dachte Moran über sie: "Conway und ich stammen aus harten Gegenden, und wenn dir da einer blöd kommt, schlägst du fest und schnell zu und mitten ins Gesicht, ehe andere deine Schwäche sehen und gnadenlos ausnutzen. Falls sie dann zurückschrecken, hast du gewonnen. Draußen in der übrigen Welt schrecken die Leute auch vor so einem Schlag zurück, aber das heißt nicht, du hast gewonnen. Es heißt, sie haben dich als Stück Dreck eingestuft."

In "Gefrorener Schrei" nun erleben wir diese Einzelkämpferin aus der Ich-Perspektive und in permanenter Verteidigungsstellung gegen eine feindselige Umwelt. Antoinette Conway ermittelt im Mord an einer jungen Frau, die in ihrer Wohnung erschlagen aufgefunden wird. Alles war für ein romantisches Candle-Light Dinner vorbereitet, der Tisch gedeckt für zwei, die Kerzen heruntergebrannt, die Weingläser jedoch unberührt. Mitleidlos blickt Conway bei ihrem Eintreffen auf das Opfer: "Sie sieht aus wie eine tote Barbie." Später beschleicht sie die Ahnung, dass sie die Frau kennt, und dass sie sie abgewiesen hat, als sie Hilfe brauchte: "Ich, ausdruckslose Miene, Beine vor Ungeduld wippend, dachte: Jämmerlich."

Conway ermittelt wieder zusammen mit besagtem Stephen Moran, der gnädigerweise ihr Partner werden durfte und den wir aus ihrer Sicht nun als harmoniebedürftiges Weichei erleben. Eigentlich müssten die beiden in diesem Fall nur klären, wer zum Essen kommen sollte und/oder wer es verhindert hat. Routine. Doch vor allem die eigenen Kollegen legen ihnen Steine in den Weg oder falsche Fährten aus. Das Dezernat ist eine regelrechte Giftküche, über dem Großraumbüro liegt ein dicker Smog aus Gehässigkeit, keiner spricht mit ihr, jemand pinkelt ihr in den Schrank.

French ist keine Stilistin. Sie erzählt fast die gesamten 650 Seiten in Dialogen, die Verhöre sind mit großem Aufwand und über Dutzende von Seiten in Szene gesetzt, was dem dramatischen Effekt nicht immer zugute kommt. Sprachlich eignet sie sich selbst in wenigen erzählerischen Passagen ganz den Ton ihrer Figuren an, so dass jeder Roman einen eigenen Tonfall hat. Im Fall einer aggressiven Dubliner Angstbeißerin ist das nicht immer ein Vergnügen.

Wie so oft bei Tana French treten auch in "Gefrorener Schrei" nach und nach Parallelen zutage, die ihre Ermittler mit den Mordopfern verbinden, nicht nur frühere Begegnungen, sondern geteilte Erfahrungen. Denn noch wichtiger als zu fragen, wer der Täter war, ist in diesem Roman, wer das Opfer war. Und schließlich: Wer ist überhaupt die Ermittlerin? Wie kam sie zur Polizei? Was macht die da? In "Gefrorener Schrei" ist diese Psychologisierung Vor- und Nachteil zugleich: So gewitzt die Pointe auch ist, die mit der Aufklärung dieser Fragen verbunden ist, sie nimmt der Figur der Antoinette Conway auch von ihrem Format und ihrem Witz.

Tana French: Gefrorener Schrei. Roman. Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Scherz Verlag, Frankfurt 2016. 651 Seiten, 16,99 Euro.


****

John Harveys Inspector Charlie Resnick muss man sich als das genaue Gegenteil von Frenchs Ermittlerin vorstellen. Der in die Jahre gekommene Inspector aus Nottingham ist die Zuverlässigkeit in Person, geradlinig, ohne Illusionen, ohne Bitterkeit, sich selbst immer treu geblieben. Er ist ein Dinosaurier als Polizist und als literarische Figur: Seine Frau ist tot, seine Kollegin ermordet und auch seine Jazz-Helden sind längst alle gestorben. Selbst sein Kater Dizzie leidet schon unter Arthritis. Auf dem Plattenspieler läuft Spike Robinsons letztes Stück: "Now's the Time". Alles an diesem Inspector weiß, wie sinnlos es ist, das Unvermeidliche aufhalten zu wollen.

In "Unter Tage" klärt Charlie Resnick seinen letzten Fall, er bereitet den Weg für eine junge Kollegin, auch sie eine junge Schwarze wie Antoinette Conway: Catherine Njoroge, mit ihren 33 Jahren Inspector bei der East Midlands Serious Organised Crime Unit in Nottingham. Resnick hilft ihr bei den Ermittlungen zu einem neu-alten Fall. In Bledwell Vale, in den Midlands, ist die Leiche einer Frau aufgetaucht, die dreißig Jahre zuvor verschwunden war, 1984, in der Hochphase des englischen Bergarbeiterstreiks.

Natürlich haben ihre karrierebewussten Chefs ihr den Fall nur gegegeben, weil sie wissen, dass damit kein Blumentopf zu gewinnen ist, aber viel zu verlieren: Es gibt kaum Spuren, nach all der Zeit ist die Hälfte der Zeugen gestorben, ausgewandert oder vergesslich. Vor allem möchte sich niemand an einem politisch heiklen Fall die Finger verbrennen, und schon gar nicht an einem, in dem vielleicht die Arbeit der Polizei auf den Prüfstand muss. Denn nach der Frau wurde nicht lange und nicht sonderlich intensiv gesucht.

Resnick und Njoroge sind ein gutes Team, doch in ihren Ermittlungen kommen erwartungsgemäß von der Stelle. Die tote Frau hieß Jenny Hardwick, sie war Gewerkschaftsaktivistin, ihr Mann jedoch einer der verfemten Streikbrecher, ihre Schwester mit dem Dorfbobby verheiratet. Der Riss, der das Land spaltete, ging durch die Familien. Eines Tages, kurz vor Weihnachten, war Jenny verschwunden. Der Mann und die drei Kinder wissen seitdem nicht, ob sie sie dafür hassen oder betrauern sollen.

Die Geschehnisse von Bledwell Vale erzählt Harvey auf zwei Zeitebenen. In einem Erzählstrang erleben wir die Ereignisse aus Sicht von Jenny Hardwick - die Organisation des Streiks, die fliegenden Streikposten, die berühmten Flying Pickets, die von Zeche zu Zeche wechselten, die Pakete aus dem Ausland, das geschmuggelte Geld, die Schlacht von Orgreave. In dem anderen kehren wir im Heute mit Resnick und Njoroge an jene Orte zurück.

Die Zeche von Bledwell Vale wurde ein halbes Jahr nach Streikende als "ausgebeutet" deklariert und geschlossen, obwohl sie nicht einmal auf jener berüchtigten Schließungsliste stand, die den Streik ausgelöst hatte. Die Bergarbeiter sind alt geworden oder bereits gestorben, dreißig Jahre waren sie arbeitslos oder haben sie sich als Cubicle Slaves im Call Center verdingt. Und noch immer sitzt der Ingrimm tief und jeder weiß genau oder auch nicht, wer schuld ist an ihrem Schicksal: Maggie Thatcher, das verdammte Weib, die "in ihrem Scheißbett im Ritz" gestorben ist. Oder doch Arthur Scargill, der noch immer sein Scheißluxusleben in London führt?

John Harvey ist kein David Peace. Der fräste sich mit seinem Monumentalwerk "GB 84" voller Wut durch die Gesteinsschichten dieser Historie, erreichte dabei aber auch literarisch und intellektuell ganz andere Tiefen. Wenn Harvey auf den Streik zurückblickt, der England an den Rand eines Bürgerkriegs geführt hatte, dann tut er das ohne Zorn. Voller Empathie und großer Melancholie blickt er auf die Gegenden, die sich von den politischen und ökonomischen Verheerungen bis heute nicht erholt haben.

Nur am Rande: Da ein Gericht den Streik für illegal erklärt hatte, wurden die Konten der Gewerkschaften unter Kuratel gestellt. Um ihre streikenden Mitglieder zu unterstützen, mussten sie Schwarzgeld verteilen. Im Laufe des Romans wird es eine wichtige Rolle spielen. Das Geld kam aus Frankreich, von der CGT und natürlich mit großen Propagandaaufwand aus der Sowjetunion. Dass diese zugleich die Kohle nach Großbritannien lieferte, die den Streikenden das Genick brach, zeigt den Dreiklang, auf den sich Moskau noch heute so gut versteht: Propaganda, Destabilisieren und Geschäftemachen.

John Harvey: Unter Tage. Resnicks letzter Fall. Kriminalroman. Ars Vivendi, Cadolzburg 2016, 305 Seiten, 20 Euro. ()