Mord und Ratschlag

Mord für Mord

Die Krimikolumne. Von Ekkehard Knörer
07.03.2006. Ein zwergenhafter Schütze verfolgt Ross Thomas' Held, der Witz und Geistesgegenwart nicht verlieren will, bloß weil sein Leben bedroht ist.
Die Liebe zur unterhaltungliterarischen Backlist lohnt sich für die Verlage kaum und erweist sich angesichts des Desinteresses des auf Novitäten versessenen großen Publikums allzu oft als verlorene Liebesmüh. So lässt sich die geradezu monumentale, neu übersetzte Gesamtausgabe der Werke von Patricia Highsmith bei Diogenes nur finanzieren, weil der Verlag sie durch das gemütsphilosophische Geschwätz eines Paolo Coelho quersubventionieren kann - wenigstens machen sich dessen Romane auf diesem Weg um die Literatur verdient. Eine Neuausgabe der Travis McGee-Romane des amerikanischen Klassikers John D. MacDonald dagegen hat Rotbuch vor ein paar Jahren abbrechen müssen, der Unionsverlag versucht es im Moment mit vorsichtigen Neuauflagen einiger Inspektor-Gote- und Modesty-Blaise-Romane. Glücklich ist, muss man sagen, wer bei Diogenes Unterschlupf gefunden hat, Eric Ambler also, Dashiell Hammett, Raymond Chandler, Ross Macdonald und ein paar andere.

Die Autoren, deren deutsche Übersetzungen es in dieses Paradies nicht geschafft haben, schmoren oft in der Hölle, die ihnen sorglose Verlage bereitet haben. Bei kaum einem Autor ist das Verhältnis von Qualität des Werks und seiner Betreuung in Deutschland freilich so eklatant wie bei Ross Thomas. Das war schon zu seinen Lebzeiten so, mit oft miserablen Übersetzungen und verstümmelten Ausgaben, die nun leider den allergrößten Teil von Thomas' antiquarischem Nachleben ausmachen. Einzig der letzte Roman, "Ah, Treachery!", 1994 im Original erschienen, ein Jahr vor dem Tod des Autors, als "Die im Dunkeln" dann auf deutsch, ließ hoffen, dass alles besser wird, wenn nicht sogar gut. Der unterhaltungsliterarisch ambitionierte Haffmans-Verlag engagierte mit dem Autor und Übersetzer Gisbert Haefs den denkbar besten Mann für diesen Job - aber leider war es das dann auch. Den Haffmans-Verlag gibt es nicht mehr und die restlichen vierundzwanzig Romane des Autors besorgt man sich am besten nach wie vor im Original. Obwohl auch eine amerikanische Neuausgabe des Werks gerade böse ins Stocken geraten zu sein scheint.

Nun ist immerhin "Die im Dunkeln" wieder da. Der lange Jahre vor allem auf Theoretisches zum Theater konzentrierte kleine Alexander-Verlag aus Berlin ist in letzter Zeit mehrfach durch allerbesten kriminalliterarischen Geschmack aufgefallen, mit Neuauflagen der Hoke-Moseley-Romane von Charles Willeford, gar mit einer im Entstehen begriffenen Gesamtausgabe des Werks von Jörg Fauser. Aus der Perspektive all derer, die trotz allem darauf hoffen, es könnte eines Tages doch noch was werden mit einer umfassenden deutschen Ross-Thomas-Ausgabe in neuer Übersetzung, ist die Wiederauflage des letzten Werks keine durchweg erfreuliche Sache. Einer Werkausgabe nämlich käme das verstreute Erscheinen eines einzelnen Romans beim Kleinverlag sehr in die Quere. Andererseits bietet sich vielleicht doch mal wieder für ein paar Leute die Gelegenheit, einen der brillantesten Autoren der Kriminalliteratur kennenzulernen.

Es verhält sich mit Thomas wie mit vielen der größten Genre-Schriftsteller. Weder besticht er durch Innovation in der Form noch erfindet er sich mit jedem Roman neu. Ganz im Gegenteil: Im großen und ganzen sind alle Werke von Ross Thomas mehr oder weniger Variationen eines Grundmusters. Der männliche Held - oder die männlichen Helden - finden sich, eher ohne ihr Zutun als mit ihrem Willen, verwickelt in Plots, die sehr schnell keiner mehr durchschaut. Am Ende lösen sich die vielfachen Intrigen, aber oft genug weniger durch geniale Deduktion als durch blutige Reduktion der Beteiligten: Mord für Mord. Der Typus des stets smarten Helden bleibt sich gleich und ähnelt in manchen Zügen gewiss dem Autor selbst, der vor seinem späten Romancier-Debüt als Journalist, Politberater und Werbefachmann tätig und stets von Geheimdienstgerüchten ummunkelt war. Es sind Männer im Hintergrund, Berater, Vermittler, mit einer Vergangenheit in der Nähe von oder mitten in staatlichen Institutionen der mehr oder minder schmutzigen Art wie Geheimdienst, Militär und/oder Politik. Meist werden sie gerufen für einen Job, den sie professionell, mit Geist, Humor und Verstand, erledigen, nicht ohne dass ihnen die eine oder andere Lady dabei über den Weg liefe.

Edd Partain ist ein archetypischer Thomas-Held. Er hat sich als Mitglied der US Army vor Jahren in El Salvador dazu hinreißen lassen, einen Mann zu verprügeln, der es verdient hatte, aber leider sein Vorgesetzter war. Seither führt er ein zurückgezogenes Leben als Verkäufer in einem Waffenladen in der amerikanischen Provinz. Dabei bleibt es nicht, vielmehr gerät Edd - Spitzname "Twodees", der zwei Ds im Vornamen wegen - sehr bald mitten hinein in eine sehr blutige Form von Vergangenheitsbewältigung. Eine selbstbewusste Dame namens Millicent Alford engagiert ihn als Sicherheitsbeauftragten. Ihr Job ist es, Geld zu besorgen für ambitionierte Politiker. Einer ihrer Schützlinge, er stammt aus Little Rock, Arkansas, hat es gerade zum Präsidenten gebracht. Partain gerät währenddessen hinein in ein in seine eigene Vergangenheit reichendes Netz der Intrigen. Um ihn herum sterben die Leute wie die Fliegen und auch auf ihn schießt ein zwergenhafter Mann in mörderischer Absicht.

Bezeichnend für Ross Thomas' Welt ist, dass der Held in höchster Gefahr für Leib und Leben die Ruhe bewahrt wie den Witz. Denn darum geht es in erster Linie: Zum Geschehen noch in großer Not eine sehr bestimmte Haltung einzunehmen, bei der Aufklärung stets mit Abklärung einhergeht, die Erschütterungen erlaubt, aber nicht die Überwältigung auch durch die blutigsten Ereignisse. Es ist dies auch die Haltung des Erzählers, dessen Stärke die präzise, ja steckbriefartige Personenbeschreibung ist, nicht aber die psychologische Tiefenerkundung. Es geht vielmehr genau darum, die Welt und die Menschen an ihren Oberflächen zu erkennen, deren Beschreibung sich Ross Thomas denn auch in minutiös-markanter Genauigkeit widmet. Es ließe sich dem Werk, nur zum Beispiel, eine kleine Enzyklopädie amerikanischer Kleiderstile von den späten Sechzigern bis in die frühen Neunziger entnehmen.

Was dem Blick, der souverän und präzise das Dargebotene mustert, vor Augen kommt, macht in Temperatur und Ton der Beschreibung Unterschiede nur im Detail. Sex und Liebe, Tod und Verbrechen, korrupte Typen und aufrechte: alles nur Bestandteil der Comedie Humaine, die das Werk von Ross Thomas ausgesprochen unaufgeregt vor Augen führt. Mit Gleichgültigkeit hat das wenig zu tun, denn es geht bei der hier vorgeführten, eindeutig der Linken eher als der Rechten, dem schwarzen Humor eher als dem Zynismus zuneigenden Form sehr amerikanischer desinvoltura vor allem darum, sich die ärgsten Illusionen abzuschminken, das Herz zu schulen und der Mitwelt nicht zu sehr auf die Nerven zu fallen. Gewiss sind das Handreichungen zur Lebensweisheit, die sich auf ein bestimmtes Bildungs- und Einkommens-Milieu beschränken, eines, das sich diesen desillusionierten Blick auch leisten kann. Ein post-existenzialistisches Milieu, in dem die größte Sünde darin besteht, die Mitmenschen zu langweilen oder gar, nur weil etwa das eigene Leben bedroht ist, Geistesgegenwart, Verstand und Witz dranzugeben. Es sind dies, so viel steht fest, Sünden, deren sich der Autor Ross Thomas nicht ein einziges Mal schuldig gemacht hat. Traurig nur, dass die Wiederauflage von "Die im Dunkeln" im Moment die einzige Gelegenheit ist, sich davon auch in deutscher Übersetzung ein rechtes Bild zu machen.

Ross Thomas: "Die im Dunkeln". Roman. Aus dem Amerikanischen und mit einem Nachwort von Gisbert Haefs. Alexander Verlag, Berlin 2005. 302 Seiten, kartoniert, 12,90 Euro