Mord und Ratschlag

Vorwärts, Prenzlin

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
05.12.2017. Oliver Bottini führt mit seinem grandiosen Roman "Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens" dorthin, wo unbeachtet von der Welt die große Schlacht der Agrarkonzerne tobt: Nach Mecklenburg und in die rumänische Provinz. Andreas Pflüger jagt in "Niemals" seine blinde Elitepolizistin Jenny Aaron durch die halbe Welt, mit deutscher Spitzentechnologie und der Kampfkraft eines Samurais.
Niemand sucht sich so aufregende Schauplätze für seine Kriminalromane wie Oliver Bottini. Sein Thriller "Ein paar Tage Licht" führte in das zerrissene Algerien. Sein neuer Roman spielt in Mecklenburg und in Rumänien, im Banat, an der Grenze zu Serbien. Tiefer geht es nicht in den Osten. Die Menschen hier sind von der Geschichte so ausgelaugt wie die Böden von Mais und Raps und Biosprit. In diesen verlassenen Gegenden zeigt das 21. Jahrhundert ein besonders hässliches Gesicht: Die Agrarkonzerne der Welt liefern sich hier die große Schlacht ums Land.

Deutsche, italienische, dänische und saudische Konsortien haben sich schon vierzig Prozent des rumänischen Bodens unter den Nagel gerissen. Vor zehn Jahren kauften sie den Bauern einen Hektar Ackerland für vierhundert Euro ab, heute verticken sie ihn für sage und schreibe fünfzigtausend Euro. Die boden- und arbeitslosen Rumänen dürfen sich dafür als Erntehelfer in Deutschland verdingen: Hochmodern sind dort die gigantischen Feldmaschinen mit ihrem GPS-Wetterradar, nicht so die Arbeitsbedingungen mit Vierzehn-Stunden-Schichten und Ausbeuterlohn. Bewundernswert ist, wie subtil Bottini das große Landgrabbing mit Geschichte und Motiven dieser Regionen verwebt: Die Auswanderung, die deutschen Siedler im Banat, die Junker, die erschütternde Ungerechtigkeit bei der Umwandlung der LPGs.

Im Mittelpunkt der Geschichte stehen zwei Männer aus dem mecklenburgischen Prenzlin, alte Freunde. Der eine, Maik Winter, hat bei einem einem Massenunfall auf der Autobahn Frau und Kinder verloren, der andere, Jörg Marthen, kam nicht an gegen den machtbewussten Chef der alten LPG "Vorwärts, Prenzlin". Im Banat haben sie in den neunziger Jahren neu angefangen, jetzt leben sie dort als Großunternehmer mit viertausend Hektar Ackerland, ihr Land haben sie Neu-Prenzlin genannt, aus Triumph, Sentimentalität und Hoffnung. So wie das Siedler eben tun. Als Marthens Tochter ermordet, wird, gerät sofort deren rumänischer Freund unter Verdacht, ein junger, überschwänglicher Landarbeiter. Doch bald wird klar, dass er es nicht gewesen sein konnte. Im alten Mafia-Stil sollte hier jemandem eine Botschaft überbracht werden.

Mit den Ermittlungen beauftragt ist Kommissar Ioan Cozma vom Serviciul Criminalistica in Temeswar, und obwohl Bottini schon immer ein Faible für gebrochene Figuren hatten, übertrifft er sich mit diesem Melancholiker selbst. Der Mann ist Ende fünfzig, sieht auf eine lange Polizistenlaufbahn zurück und seiner Pensionierung entgegen. Sein Leben treibt nur noch "mit müdem Fatalismus" dahin wie die Bega, deren Begradigung die einst sumpfige Banater Heide zu ertragreichem Ackerland gemacht hatte: "Das Leben hatte auch ihn begradigt, das Unkontrollierte, Zornige der frühen Jahre war nun einbetoniert, die gefährliche Sümpfe ausgetrocknet." Unter Ceausescu hat er sich schuldig gemacht, "Knochen und Seelen gebrochen", das Institut für die Aufarbeitung der kommunistischen Verbrechen sitzt ihm im Nacken. Mit welcher Zärtlichkeit Bottini diesen Mann zeichnet, ist überwältigend, auch weil er die junge Staatsanwältin und den neuen Polizeichef nicht als smarte Ehrgeizlinge denunziert. Sie sind smart und ehrgeizig, aber auch gut in ihrem Job, demokratisch und prinzipientreu. So geht Großmut.

Auch die vielen anderen Personen, die Bottini in seinem elegischen Roman auftreten lässt, sind gezeichnet von Trauer und unerfüllter Sehnsucht, dessen etwas altväterlicher Titel am Ende doch Sinn macht: Cozmas Kollege Ciprian Rusu, genannt Cippo, der sich vom Leben nur noch einen Mops und eine Kreuzfahrt übers Mittelmeer wünscht. Die Hubschrauberpilotin Ana Desmerean, die als Kind von ihren oppositionellen Eltern nach Deutschland geschmuggelt wurde und nun deren Grab sucht. Marthens Schwester, die als NGO-Aktivistin den Kampf gegen die Agrarkonzerne von Ostdeutschland aus in die Welt trägt, um ihn nicht verloren geben zu müssen. Und überhaupt all die Bauern und Polizisten in Alt- und Neu-Prenzlin, die sich immer wieder ein neues Leben aufbauen und denen immer wieder der Boden unter den Füßen weggerissen wird. Wie Bottini die Welten miteinander verbindet, das Intime und Politische, die Ökonomie, die Landschaft und das Seelendrama, das ist große Kunst.

Oliver Bottini: In den stillen Winkeln des Leben. Roman. Dumont Verlag, Köln 2017, 407 Seiten, 22 Euro ()

****

Andreas Pflügers Serie um die Elitepolizistin Jenny Aaron ist das Gegenteil von Oliver Bottinis bedachtem Schreiben. Bei Pflüger ist alles groß. Ganz groß. Pflüger ist der härteste Hund unter den deutschen Krimi-Autoren, und Jenny Aaron die beste und gefährlichste Killerin, die das BKA nie hatte. Aaron arbeitet für die supergeheime Spitzentruppe, die nur die Abteilung genannt wird. Die Abteilung übernimmt alle Aufträge übernimmt, die für alle anderen zu heikel sind: Camorra-Bosse liquidieren, Terroristen eliminieren.

Seit einem fehlgeschlagenen Einsatz in Barcelona ist Aaron blind. Das macht sie noch großartiger, die Dunkelheit der Welt um sie noch finsterer, ihre Verzweiflung noch tiefer und das Drama ihres Lebens noch existenzieller. Ihr Blindenstock hat eine höhere Mannstoppwirkung als jede Glock. Von Aarons mentaler Power kann die Kollegin Carrie Mathison bei der CIA nur träumen. Wie ein Präzisionssonar ortet Aaron ihre Umgebung mit Klicklauten aus. Mit Power-Klicks.

In "Niemals" jagt sie in Marokko den gefährlichsten Mann der Welt, den großen Finanziers des Terrors, genannt der Broker. Auf sein Konto gehen die großen Anschläge von Manchester mit siebentausend Toten, von Daressalam, Sydney und Athen, auch der Gifgasangriff auf den Flughafen von Frankfurt. Dabei besitzt er einen Lucas Cranach und trägt nur die edelsten Budapester: "Seine Stimme hat die lässige Melodie von Grausamkeit, selbst die leiseste Silbe verbreitet Furcht". Auf seine Spur gesetzt wurde Aaron ausgerechnet von dem Mann, den sie über alles hasste, dem Mann, der ihr das Herz herausgerissen hat. Überraschend hat er ihr sein Vermögen hinterlassen, nicht zwei Millionen oder zwanzig, sondern zwei Milliarden. Hinter diesem Geld ist nun auch der Broker her, und beide müssen es sich aus Marrakesch holen. Aaron kämpft wie ein Samurai, sie schraubt sich durch die Luft wie eine Olympiaturnerin und über die Djemma el Fna sprintet sie wie ein Windhund. An ihrer Seite hat Aaron den Scharfschützen Pavlik, ihre Freundschaft ist episch, ihrer beider Kampfkraft titanisch.

Man bekommt schnell Herzrasen von Andreas Pflügers steroidhaltiger Prosa. Von Szene zu Szene jagen die Superbullen durch die Hotspots der Welt, von Rom über Barcelona nach Marrakesch: "Ein Ritt auf einem Nuklearsprengkopf." Die Sätze stehen da wie in Marmor gehauen, effektvoll von Einsprengseln zartester Sentimentalität kontrastiert. Ungebrochen ist hier die Verlässlichkeit deutscher Sicherheitstechnik, ungebrochen die Faszination für die Polizeibehörden. Ein Superlativ übertrumpft den anderen: Sie residieren nur in den teuersten Hotels der Welt, der Rotwein ist spektakulär, die Schönheit atemberaubend und der Augenspezialist hat sein Diplom vom MIT. Aber klar: Wer erst einmal im 7er BMW sitzt, wird nur noch von einem Porsche überholt. Eine echte Männerromanze.

Andreas Pflüger: Niemals. Roman. Suhrkamp 2017. 472 Seiten, 20 Euro