Mord und Ratschlag

Habgierig, aber nicht dumm

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
05.05.2014. Malcolm Mackay erzählt in "Der unvermeidliche Tod des Lewis Winter" von der Organisation des Verbrechens und den betrieblichen Abläufen in der Glasgower Unterwelt. Ross Thomas manipuliert in seinem Klassiker "Fette Ernte" die Washingtoner Politik ebenso gekonnt wie die Rohstoffbörse von Chicago.
Auch Profikillern kann das Alter zusetzen. Frank McLeod ist die allseits respektierte Nummer eins seiner Branche und fest verankert im Herrschaftsbereich von Peter Jamieson, dem Boss der Glasgower Unterwelt. Bedauerlicherweise muss Frank für ein paar Wochen aussetzen - er braucht ein neues Hüftgelenk. Für ihn einspringen soll Calum MacLean, mit seinen 21 Jahren ein noch junger Auftragsmörder, mit bemerkenswertem Talent, aber ohne Ehrgeiz. Er soll den abgehalfterten Kleindealer Lewis Winter aus dem Weg räumen, der offenbar einen neuen Aufstieg in Angriff nimmt. Dass Calum MacLean seinen Auftrag ohne große Schwierigkeiten erledigen wird, steht außer Zweifel, der Mann arbeitet gewissenhaft und bereitet sich absolut gründlich vor. Unvorhergesehen dazwischen funkt allein Lewis Winters Freundin Zara, ein vergnügungssüchtiges Luder, das im entscheidenden Moment jedoch eine Kaltblütigkeit legt, die jeden der hier agierenden Profis vor Neid erblassen lassen muss.

Malcolm Mackays Debüt "Der unvermeidliche Tod" ist der erste Teil einer ganzen Trilogie zur Glasgower Unterwelt und in Großbritannien eingeschlagen wie ein Kaliber 38. Der dreißigjährige Schotte stammt aus dem recht beschaulichen Städtchen Stornoway auf den Äußeren Hebriden und lebt auch heute noch dort. Entsprechend eigenwillig ist seine Gangstergeschichte, die zwar den knappen, lakonischen Stil pflegt, aber für einen hardboiled-Roman einen überraschenden redseligen und allwissenden Erzähler aufweist. Vor allem aber interessiert sich der Roman kaum für die Aufklärung des Verbrechens: Die Polizei tritt erst recht spät in Aktion und lässt sich dann auch gleich weg vom Mord hin zu unbedeutenderen Vergehen locken. Der Roman interessiert sich für die Rationalität hinter dem titelgebenden Mord, für die Organisation der unternehmerischen Abläufe.

"Man lernt nicht von denen, die erwischt wurden und jedem ihre Geschichte aufdrängen. Nicht von denen, die wissen, wie man's macht, sondern von denen, die wissen, wie man's richtig macht", heißt es an einer Stelle, an einer anderen: "Es ist leicht, jemanden umzubringen. Jemanden richtig umzubringen, ist schwer. Wer es richtig macht, weiß das. Wer es schlecht macht, lernt es. Auf die harte Tour." Überhaupt ist viel von echter Professionalität die Rede, von den Blödheit der Amateure und der Ahnungslosigkeit der Anfänger. Das ist auf die Dauer recht anstrengend und erinnert ein bisschen an die Aufgeregtheit von Berufsanfängern, die gerade das handwerkliche Einmaleins ihres Jobs gelernt haben. Tatsächlich scheinen sich in der Unterwelt für einen Killer ganz ähnliche Fragen aufzutun wie bei der Arbeit in regulären Betrieben: Frei arbeiten oder in Festanstellung? Wie sichert man sich Loyalität? Wie steht es mit Altersteilzeit?

Aber so ganz falsch liegt Mackay mit seinem Blick auf die Ökonomie und das Management des Verbrechens ja nicht. Tatsächlich hat er einen ziemlich guten Blick für das Taktieren der einzelnen Akteure, die immer zwischen unmittelbaren Nutzen, Langzeitfolgen und Außenwirkung abwägen. Und er kann ganz schöne Figuren schaffen: Den rücksichtslosen, aber betont ungezwungenen Gangsterboss, die gerissene Witwe und der Killer, der an seiner Freiheit hängt. Das hat Witz, ist spannend und liest sich weg wie nichts.

Malcolm Macckay: Der unvermeidliche Tod des Lewis Winter. Roman. Aus dem Englischen von Thomas Gunkel. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014, 365 Seiten, kartoniert, 9,99 Euro.


***

Ross Thomas eröffnet sein Spiel wie ein Schachgroßmeister. In "Fette Ernte", seinem Roman von 1975, führt er uns mit dem dreiundneunzigjährigen Crawdad Gilmore in den Cosmos Club, einen jener Orte Washingtons, wo sich zum gediegenen Lunch alles trifft, was Rang, Namen oder Geld hat. Mit allen Wassern gewaschen und ohne Illusion beobachtet der alte Kämpe den Politbetrieb: "Er wusste, dass nicht allzu viele brillante Männer den Weg nach Washington fanden. Die meisten der wahrhaft brillanten Männer, hatte er entschieden, schrieben irgendwo in der Weltgeschichte Gedichte oder machten Geld in New York." Die Männer in Washington waren meist nur schlau. In Acht nehmen muss man sich dagegen vor den Männern der Ölbranche: "Habgierig, ja, und sie lügen alle wie gedruckt, aber dumm sind sie nicht." Vor allem aber musste man in Washington zeitig aufstehen, denn die Skrupellosigkeit ging einher mit einem straffen Zeitmanagement: "Er wusste, dass man in dieser Stadt ganz früh am Morgen mit dem Konspirieren begann, damit man am es zum Mittagessen erledigt hatte."

In diesem Cosmos Club belauscht der Alte nun zufällig, aber durchaus hellhörig zwei Ränkeschmiede, die selbst einem Hartgesottenen wie ihm Respekt abnötigen. Am nächsten Morgen wackelt er erleichtert beim Aufwachen mit seinen Zehen, doch prompt wird er, als er die Zeitung aus dem Briefkasten holt, erschossen. Und zwar, wie sich bald herausstellt, von einem Gaunerpärchen, das anschließend in einem wahren Gewaltrausch weitere Ladenbesetzer für zweistellige Dollarbeträge töten werden. Zufall? Noch wichtiger ist die Frage, was dem alten Mann am Vortag zu Ohren gekommen ist. Gilmores früherer Vertrauter Ancel Easter tut sich mit Jake Pope zusammen, um das herauszufinden.

Jeder der beiden hat einen beachtlichen Aufstieg hinter sich gebracht haben: Der Anwalt Ancel Easter stammt aus dem Slums von Philadelphia, er gilt als der klügste Mann Washingtons, denn seine Herkunft adelt ihn nicht unbedingt, hat ihn aber reich an Erfahrung gemacht. Jake Pope startete in dieser Hinsicht ebenfalls vielversprechend in Westvirginia, was er "einen Slum mit Bergen" nennt. Seine Mutter war Alkohol-Schmugglerin, auf der Flucht vor der Polizei ist sie ums Leben gekommen, doch ein sehr anständiger Sheriff gibt dem Jungen einen Trost mit auf den Weg: "Sie war der beste verdammte Whiskey-Fahrer, hinter dem wir je her waren." Er hat in Washington lange als privater Ermittler gearbeitet, bis er eine vermögende Frau geheiratet hat, die kurz nach der Hochzeit starb. Seitdem tingelt er, ganz wie die Detektive des Golden Age, als weltverbessernder Amateur über den Globus und umgibt sich mit klugen Männern und verführerischen Frauen.

"Fette Ernte" erscheint zum ersten Mal vollständig auf Deutsch. Da die Vorgängerversion auf die Hälfte eingedampft war, kann der Roman, der ja eigentlich ein Klassiker ist, als Neuerscheinung gelten. (Deswegen ist er auch auf der KrimiZeit-Bestenliste gelandet, wo er fast schon schmerzlich aus dem aktuellen Angebot herausragt.) Denn auch wenn sich die Geschichte nicht ganz nahtlos zusammenfügt und das unheilige Team Easter und Pope nicht zu Thomas' besten Protagonisten gehört, erzählt auch dieser Roman ungeheuer gewieft von den Machenschaften und Manipulationen in Washington, die - Richard Nixon sei Dank - dem modernen Politthriller in den Siebzigern zu ganz neuem Glanz verholfen haben. Ausreichend Stoff hat Ross Thomas als Journalist, Redenschreiber und Wahlkampfmanager angesammelt.

Diesmal geht es um Warentermingeschäfte, um das große Glücksspiel an den Rohstoffmärkte, wo die Spekulation mit Weizen, Holz und Schweinebäuchen ungleich höhere Gewinne bei deutlich geringeren Einsätzen einbringen als an den regulären Börsen. Thomas vergisst auch nicht zu erwähnen, wie übel ausgerechnet die Sowjets mit gewieften Weizenspekulationen den gesamten amerikanischen Handel hereingelegt haben. Und daran, wie mit Geheimdienstinformationen operiert wurde. Diese Kombination aus Erfahrung und Witz, ohne jeden Zynismus ist unschlagbar. Ross Thomas macht klüger und glücklich: Von niemandem lässt man sich bittere Wahrheiten lieber einschenken.

Ross Thomas: Fette Ernte. Roman Aus dem Amerikanischen von Jochen Stremmel. Alexander Verlag, Berlin 2014, 331 Seiten kartoniert, 14,99 Euro.