Mord und Ratschlag

Blutrünstige Engel

Die Krimikolumne. Von Thekla Dannenberg
17.07.2017. Typische Doppelbelastung: In Monika Geiers "Alles so hell da vorn" muss sich die Ludwighafener Kommissarin Bettina Boll nicht nur um den Mord an ihrem Kollegen kümmern, sondern auch um die Kinderhuren, die durch die Pfälzer Täler jagen. In "Das Ding drehn" erzählt Hans Schefczyk das Ende der Revolutionären Zellen als Räuberballade.
Selten hat es mit einem Polizisten so ein trauriges Ende genommen wie mit Kriminalkommissar Michel Ackermann. Einst ein großer, schöner Mann, klug und gefährlich, hat er am Ende seines Lebens Stolz und Anstand verloren. In einem heruntergekommenen Vorort von Frankfurt wird er tot aufgefunden, erschossen mit seiner eigenen Dienstwaffe von einer jungen Prostituierten. In der Sexy Bar, einem Kinderpuff.

Es ist ein schäbiger Tod, besonders für einen altgedienten Polizisten, und Monika Geier zeichnet ihn zu Beginn ihres Romans "Alles so hell da vorn" in seiner ganzen Trostlosigkeit. Aber wo andere AutorInnen dem kaputten Mann nur Ekel und Verachtung hinterherwerfen würden, da schenkt ihm Geier auch ihr Mitgefühl. Immerhin war Ackermann ein Kollege und - trotz seiner üblen Angewohnheiten - Freund ihrer großen Ermittlerin Bettina Boll.

Boll ist als alleinerziehende Mutter zweier adoptierter Kinder Kriminalkommissarin in Ludwigshafen. In Teilzeit, aber voller Elan. Nach Ackermanns Tod wird sie der großen Sonderkommission zugeteilt, die den peinlichen Fall möglichst schnell klären muss. Denn die junge Hure, die sich mal Manga nennt, mal Lisa Engel, ist auf der Flucht und eindeutig willens, noch mehr Unheil anzurichten. Außerdem hat der Tod des Kommissars das Personal der Sexy Bar aufgescheucht. Durch die pfälzische Provinz streifen nun rachsüchtige Zuhälter und verpeilte Kinderhuren, die nicht wissen, ob sie auf der Flucht oder in Freiheit sind. Die in einem Moment so jung und hilflos sind, dass sie ihren Bordell-Chef "Papi" nennen, und im nächsten Moment so "abgeklärt, fies und satt wie ein Tarantino-Film". Der Fall weitet sich aus bis Mannheim und in den Odenwald, immer höhere Kreise werden involviert, und es tun sich immer neue Fragen auf: Wer lässt eigentlich einen Bullen in Uniform in einen Kinderpuff? Ist der blutrünstige Engel vielleicht die seit Jahren vermisste Meggie?

Seit fast zwanzig Jahren lässt Monika Geier ihre Kommissarin ermitteln. Die Abstände sind dabei so unregelmäßig und unerwartbar, dass Bettina Bolls Rückkehr jedes Mal eine große Freude ist, vor allem da sie kaum altert und keinen Deut vernünftiger wird. Sie ist immer noch das Blumenkind unter den Polizistinnen, als Mutter in keiner Weise vorbildlich, aber als Freundin und Kollegin unschlagbar, absolut loyal und mit enormer Nachsicht gegenüber den Schwächen ihrer Mitmenschen. Und auch Monika Geier hat als Autorin nichts von ihrem Übermut verloren. Mitunter überschlägt sich ihr Erzählen, und nicht alle Erzählfäden, die sie in die Luft wirft, fängt sie am Ende wieder ein. Manche bleiben einfach fröhlich im Wind flattern wie tibetische Gebetsfahnen. Ein schöner Kontrast zu den schweren Schwaden von Hinkel und Lewwerknepp, die aus der Goldenen Grumbeere durch Pfälzer Täler ziehen.

Und wie gewohnt greift Geier zu allen Registern: Milder Spott, maliziöser Witz und grimmiger Humor wechseln sich ab, mitunter stellt sie ihre Figuren auch ein Bein, lästert über trampelige Landpomeranzen und karikiert das ehrgeizige Jungbürgertum des Rhein-Main-Kreises. Nur die in die Jahre kommenden Kriminalhauptkommissare belegt sie mit allergrößter Zärtlichkeit. Das ist das Erstaunliche an diesem Roman: Die Abgründe des Mannes sind tief und finster, seine Zähne schlecht und seine Klamotten furchtbar, aber dann ist er auch wieder so gutmütig und großherzig, dass er kaum einen Unterschied macht zwischen einer schießwütiger Nutte oder einem verlorenen kleinen Mädchen. In heiterer Gelassenheit lässt sie einen Mannheimer Polizisten die Schulter zucken: "Ein bisschen Irrsinn gehört dazu."

Monika Geier: Alles so hell da vorn. Roman. Ariadne im Argument Verlag, Hamburg 2017, 352 Seiten, 13 Euro

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"Lass uns das Ding drehn. Lass uns über Los gehn", sang Rio Reiser 1986 auf seinem ersten Solo-Album: "Das ist kein Jahr für kleine Fische. Das ist kein Jahr wie jedes Jahr. Das wird ein Jahr für echte Profis." Das Lied war ein schockierend heiterer Aufruf zur Begehung schwerer Straftaten, aber eigentlich auch ein selbstironischer Kommentar zu dem kommerziellen Album, das Rio Reisers nach Auflösung der Ton Steine Scherben vorlegte, nachdem sich die Band mit der reinen anarchistischen Lehre hochverschuldet hatte. "Es ist nicht schlecht" sang Reiser über das Geld, "zwar nur Papier, aber es ist echt."

Mit seinem Roman "Das Ding drehn" folgt Hans Schefczyk dem Aufruf Rio Reisers in jeder Hinsicht, wenn er in ähnlich heiterer Frivolität vom Ende der Revolutionären Zellen Anfang der neunziger Jahre erzählt: Auch bei der terroristischen Linken ist der politische Konkurs komplett, nun gilt es, den finanziellen Bankrott abzuwenden, ohne in den moralischen zu stürzen.

Die Revolutionären Zellen heißen bei Schefczyk Anarchistische Zellen, und etliche ihrer Mitglieder leben über ganz Europa verteilt mit neuer Identität im Untergrund. An einem Abend im April 1991 wird Wolfgang Morlock von spanischen Spezialkräften aufgescheucht, die sein Haus in Barcelona observieren. Nach dreizehn Jahren taucht Morlock, inzwischen 53 Jahre alt, erneut ab und nimmt Verbindung zu seinen Genossen in Frankreich und Deutschland auf, die eigentlich gerade die Selbstauflösung der Zellen vorbereiten. Über die Pyrenäen schlägt sich Morlock nach Toulouse durch - natürlich über den gleichen Pass wie einst Walter Benjamin auf der Flucht vor den Nazis-, um mit zwei Kampfgefährten einen letzten großen Coup auszuhecken: Sie wollen einem internationalen Konzern fünf Millionen Mark abpressen, um aus Europa verschwinden können. Außerdem ist J&P ein echter Schweinekonzern: Die Arbeiterinnen in Bangladesch beutet er aus,  mit den Nazis hat er kollaboriert, und dann kauft er auch noch Kunst von diesem Leipziger Maler Tinnar Z! Die Sterne stehen für die gealterten Anarchisten allerdings nicht "glänzend günstig".

Denn ohne etwas von all diesen Verwerfungen mitbekommen zu haben, hat der Verfassungsschutz in Köln einen V-Mann auf die Cutterin Ronja angesetzt, die den versprengten Genossen im Untergrund zu Hilfe kommen will. Lutz Trede nennen sie ihren Mann, dem sie die Vita eines Kriminellen verpassen, der zwar ein bisschen beschränkt, aber zuverlässig sein soll. "Warum ich gesessen habe? Weil ich nicht gestanden habe." Ha ha. Als guter V-Mann kann er natürlich mit Frauen, weshalb auch seine Supervisorin erst viel zu spät bemerkt, dass er aus dem Ruder läuft.

Hans Schefczyk packt eine irre Geschichte auf den Tisch, die unbedingt erzählt werden musste (der Berliner Transit Verlag hat für solche Geschichten ein schönes Händchen). Schefczyk erzählt szenisch, mit schnellen Schnitten und viel Gespür für das Milieu und den Jargon. Schon mit den ersten Sätzen fühlt man sich zurückkatapultiert in die frühen Neunziger. Genau so klangen jene Jahre. Mehrmals gehen einem auch die Augen auf: Ach, so haben die das gemacht! Schefczyk weiß, worüber er schreibt. Dem Roman merkt man auf jeder Seite die Vita des Autors an: das linke Leben in Köln, das Drehbuchschreiben in Südfrankreich. Auch wenn Schefczyk keine Illusionen über den Irrsinn des Treibens nährt, sind ihm tragische, bittere Töne so fremd wie Rio Reiser. "Das Ding drehn" erzählt die Geschichte seiner Anarchistischen Zellen als Räuberballade: clever, witzig, poppig.

Hans Schefczyk: Das Ding drehn. Roman. Transit Verlag. Berlin 2017, 191 Seiten, 20 Euro ()