Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
27.12.2005. In Prospect begrüßt Robert Skidelsky Veteranen der Volksarmee im Salon der alten Familienvilla in der Mandschurei. Der Merkur beobachtet zufrieden, wie Aktionäre heute Topmanager aus dem Amt jagen. In der New York Review of Books durchlebt Ian Buruma den Kampf Louis gegen Schmeling. In Magyar Hirlap erzählt Peter Nadas, wie es ist, eine Frau zu sein. Literaturen erforscht das Verhältnis von Schriftstellerpaaren. In Le Point erzählt Alain Robbe-Grillet wie ihn Gott in der Badewanne besuchte. Der Economist weiß, warum Japaner so vernarrt sind in Roboter. In der Gazeta Wyborcza entdeckt Maciej Zaremba ein neues Gespenst in Europa.

Prospect (UK), 01.01.2006

Robert Skidelsky, Ökonom und Keynes-Biograf, ist nach China gereist und hat Harbin besucht, eine Stadt in der Mandschurei. Seine Familie hat dort früher gewohnt, erzählt Sidelsky. Sie war "eine der führenden jüdisch-russischen Familien im Fernen Osten", der 1916 Immobilien, Industrieanlagen und Minen in Ostsibirien und Abholzrechte für 3.000 Quadratkilometer Wald in Russland und der Mandschurei gehörten. In der Mandschurei erwarb die Familie außerdem eine Konzession für den Abbau von Kohle in der größten Mine des Landes. "Die Firma lieferte Kohle an die chinesische Eisenbahn und exportierte Holz nach London und New York. In verschiedenen Büchern, die sich mit Russlands Ostexpansion befassen, wird die Familie als 'Oligarchen' des Nahen Ostens bezeichnet. Wie mir mein Gastgeber Lanxin Xiang erzählt, hat in der Mandschurei jeder schon von der berühmten Xie Jie Si Familie gehört - Skidelsky auf Mandarin." Auf seiner Reise besucht Sidelsky auch das Haus seiner Familie, heute ein Erholungsheim für Veteranen der Volksarmee. "Ich traf einige dieser Alten, die auf weißen Sofas in einem prächtigen Raum saßen. Als ich vom Direktor als der 'frühere Besitzer' vorgestellt werde, begrüßen sie mich warm. Ein 'Veteran' dankt mir sehr höflich dafür, dass ich sie mein Haus benutzen lasse. Ich verkneife es mir zu sagen, dass sie es nicht mit meiner Erlaubnis tun."

Noam Chomsky, kürzlich zum berühmtesten Intellektuellen der Welt gekürt, erklärt Oliver Kamm kurzerhand zum Wadenbeißer, nachdem dieser ihm in der letzten Ausgabe "ein in besonderem Maße unehrliches Handhaben von Quellenmaterial" vorgeworfen hatte. "Man darf sich fragen, ob Kamm mit dem für ihn üblichen 'amoralischen Gleichmut' reagieren würde, hätte al Quaida eine vergleichbare Tat (die Rede ist von den US-Bombenangriffe auf den Sudan) in einem Land verübt, wo die Menschen etwas wert sind."

Weitere Artikel: Alun Anderson spricht mit John Krebs, dem ehemaligen Chef der britischen Food Standards Agency, über Transparenz, Emotionen und was es bedeutet, die Interessen der Verbraucher zu vertreten. Tom Porteus besucht die Heilquelle im iranischen Jamkaran, die zur Pilgerstätte für all jene wurde, die an die baldige Rückkehr des - weltumspannende Gerechtigkeit bringenden - Imam zamam glauben, und fragt sich, ob die iranische Liberalisierung mit der Wahl Mahmud Ahmadinedschads zum Präsidenten ihr Todesurteil ereilt hat. Jean Seaton schreibt über die wundervolle Farbe Schwarz und die Schwierigkeit, Trauer zu zeigen, seit es zur Alltagsfarbe geworden ist. Michael Coveney versucht zu verstehen, warum es der 1960 voller Zuversicht gegründeten Royal Shakespeare Company jetzt so schlecht geht.
Archiv: Prospect

Merkur (Deutschland), 31.12.2005

In seiner Ökonomie-Kolumne spürt Rainer Hank wie immer recht erhellend den Schockwellen nach, die der Chef des britischen Hedgefonds TCI, Christopher Hohn, auslöste, als er die Granden der Deutschen Börse, Werner Seifert und Rolf Breuer vor die Tür setzte: "Schlagartig wurden die Vorstände und Aufsichtsräte deutscher Aktiengesellschaften gewahr, was ihnen passieren kann, wenn Aktionäre aufbegehren. Dass die Eigentümer eines Unternehmens ihre Rechte aktiv geltend machen, ist für Deutschland neu. Gewiss, sie drohten ihre Anteilsscheine zu verkaufen, wenn sie mit dem Kurs ihrer Aktie nicht zufrieden waren. Dass sie widersprechen, die Chefs davonjagen, selbst aber bleiben, ist ungewohnt. 'Aktionäre sind dumm und frech. Dumm, weil sie Aktien kaufen, frech, weil sie auch noch Dividende haben wollen' - der legendäre Ausspruch des Bankiers Carl Fürstenberg gab bis vor kurzem hierzulande das Selbstverständnis des Topmanagements wieder."

Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler versucht den Einfluss der intellektuellen und künstlerischen "Sinnproduzenten" zu erfassen, denen die auf identifizierbare Positionen angewiesene Eliteforschung gängigerweise wenig Aufmerksamkeit schenke.

Nur im Print: Siegfried Kohlhammer hat die neuesten Veröffentlichungen über Mao und den chinesischen Kommunismus gelesen, und stellt klar, dass nicht die antikommunistische Propaganda die Intelligenz beleidigte, sondern die Realität des Kommunismus. Der Historiker Heinrich August Winkler warnt die Weltmacht Europa davor, sich durch eine verfrühte Erweiterung zu überdehnen: "Realismus statt Voluntarismus". Jörg Lau empfiehlt Udo Di Fabios "Kultur der Freiheit" zur Lektüre: "Dieser temperamentvolle Großessay eines streitlustigen Konservativen stellt durch seine weit ausgreifende Gesellschaftsdiagnose, seine Theorielust und seine politische Leidenschaft vieles in den Schatten, was heute an Vergleichbarem von beiden Seiten des politischen Spektrums auf dem Markt ist." Außerdem gibt es einen Vorabdruck aus Ralf Dahrendorfs neuem Buch "Versuchungen der Unfreiheit", in dem er sich unter anderem den Intellektuellen und 1968 widmet: "1968 ist im Rückspiegel ein Modernitätsschub, zu dem Frauenemanzipation und Wissensgesellschaft, Bürgerinitiaven und Umweltbewusstsein, Toleranz gegenüber anderen und Interesse an Entfernten gehören. Es war allerdings auch der Einbruch des Relativismus, und als dessen Janusgesicht des Fundamentalismus in die aufgeklärte Welt der offenen Gesellschaft."
Archiv: Merkur

Magyar Hirlap (Ungarn), 24.12.2005

In der Weihnachtsbeilage erzählt der Schriftsteller Peter Nadas im Interview über die Jahre, in denen er an seinem neuen Roman "Parallele Geschichten" arbeitete: "Am spannendsten war es natürlich, Frau zu sein. Es gab Wochen, in denen ich mich plötzlich ziemlich komisch fühlte, als ob sich mein Körper gerade verändern würde. Ein Schriftsteller muss ja ein guter Schauspieler sein. Frauen und Männer haben die gleichen Organe im physiologischen Sinne, nur einige Gene haben uns in der frühen Phase des embryonalen Lebens verschiedene Richtungen gezeigt. Ob wir eine Frau oder ein Mann sind, wir tragen den Keim beider Geschlechter in uns." Gegen Ende des Gesprächs erklärt er überraschend, dass "Parallele Geschichten" vielleicht sein letzter Roman ist, denn "ich kann nichts Besseres schreiben. Es gibt sicherlich bessere und noch bessere erreichbare Qualitäten, aber ich bin weder Beamter, noch Angestellter, ich kann jederzeit mit dem Schreiben aufhören. Die Mechanik des Romanschreibens, ja das ganze Rollenspiel des Romanciers interessieren mich nicht mehr."
Archiv: Magyar Hirlap
Stichwörter: Nadas, Peter

Outlook India (Indien), 09.01.2006

Indien wurde in diesem Jahr von vielen Katastrophen heimgesucht, vom Tsunami an der Ostküste, über die Überschwemmungen in Bombay, das Erdbeben in Kaschmir bis zu den Bombenanschlägen in Neu Delhi. Darum, so Rohit Brijnath im Lead Essay, ist das letzte Heft des Jahres den "Helden" gewidmet, die sich als Helfer in den Katastrophen hervortaten: "Wir sehen eine Bombe, wir fliehen. Diese Reaktion ist nicht feige, so funktioniert unser Selbsterhaltungstrieb. Aber Kuldip Singh, der Busfahrer in Govindpuri, flieht nicht, sondern hält inne, und das macht ihn ungewöhnlich. Wie Ralph Waldo Emerson sagte: 'Ein Held ist nicht mutiger als ein gewöhnlicher Mensch, er ist nur fünf Minuten länger mutig.'"
Archiv: Outlook India

New York Review of Books (USA), 12.01.2006

Hellauf begeistert berichtet Ian Buruma von David Margolicks Buch "Beyond Glory" ("Max Schmeling und Joe Louis"), das von den Boxkämpfen zwischen Joe Louis und Max Schmeling erzählt, und zwar so lebendig, dass selbst Buruma noch die süße Rache schmeckte, die Harlem 1937 empfunden haben muss, als der "Braune Bomber" den "Übermenschen" besiegte: "Joe Louis hatte seinem Trainer gesagt, er würde nicht mehr als eine Runde brauchen, um sich an Schmeling zu rächen. Er hielt sein Wort. Der Kampf dauerte kaum mehr als zwei Minuten. In Hemingways Worten: 'Der Neger holte aus, schlug, holte aus und schlug auf ihn ein, als wäre er ein großer Sandsack.' Er traf ihn überall, sein Gesicht, seinen Kiefer, seinen Kopf, seinen Körper. Später sagte Louis: 'Ich dachte immer nur, na, wie fühlt sich das an, Mister Herrenrasse?' Und als Schmeling auf seine Knie sank, nicht in der Lage wieder aufzustehen, und der Ringrichter Louis zum Sieger erklärte, rief der Reporter Arno Helmiss nur 'Unmöglich' und Tallulah Bankhead sprang auf, drehte sich zu den Schmeling-Fans und schrie: 'Ich hab's euch doch gesagt, ihr Hurensöhne!'"

Stephen Kinzer berichtet von einer Reise nach Diyarbakir im kurdischen Teil der Türkei. Völlig verwandelt fand er die Region, die jahrzehntelang unter harscher Militärherrschaft stand: "Nirgendwo waren Soldaten oder gepanzerte Fahrzeuge zu sehen. Die Polizisten hielten sich im Hintergrund. Noch wichtiger: die Leute sagten, was sie wollten."

Weiteres: "2005 war das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen", hält Bill McKibben fest, der in der Klima-Erwärmung "die größte Herausforderung sieht, der die Erde je gegenüberstand, vergleichbar nur mit der nuklearen Bedrohung in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts". John Gray diskutiert zwei neue Bücher von Robert Kaplan ("Imperial Grunts") und Michael Mandelbaum ("The Case for Goliath"), die sich beide mit der "neuen Realität des amerikanischen Imperiums" auseinandersetzen. Besprochen werden die Ausstellung "Russia!" im Guggenheim Museum New York und der Band "The World on Sunday" mit Zeichnungen aus Joseph Pulitzers Zeitungen.

Literaturen (Deutschland), 01.01.2006

Schriftstellerpaare sind das Schwerpunktthema dieser Ausgabe. Online lesen dürfen wir Sigrid Löfflers Beschreibung der neuen Romane von New Yorks Wunderkind-Paar Nicole Krauss und Jonathan Safran Foer. "Die Geschichte der Liebe" von Krauss und "Extrem laut und unglaublich nah" von Foer "sind einander in Milieu, Schauplatz, Machart, Erzählperspektive, Personal und Tonfall so ähnlich, dass man ein und dieselbe Autorenhand dahinter vermuten möchte". Beide Bücher haben kindliche Helden und beide "benützen die Shoah als Materialsteinbruch, als frei verfügbaren Romanstoff, in den sie ihre rührseligen, bizarren, melodramatischen, kitschigen Gefühlsgeschichten ungeniert einbetten können, wie es eben gerade dem amerikanischen Zeitgeist entspricht ... solange es einen aufnahmefähigen Markt für naiv-ausgesponnene Holocaust-Märchen gibt, so lange werden Krauss & Foer als Doppel-Darlings der Literaturszene gehätschelt werden", meint Frau Löffler ganz abgeklärt.

Außerdem zum Thema: Dieter Thomä markiert jüngste Positionen zu Liebe und Zweisamkeit in der Philosophie. Daniela Strigl porträtiert das Dichterpaar Friederike Mayröcker und Ernst Jandl. Frauke Meyer-Gosau folgt den Paar-Lebensweisen der Geschwister Erika und Klaus Mann von ihren exzentrischen Wunderkindertagen bis ins spätere Unglück. Und Hermann Kurzke erklärt, was es mit der Liebesreligion der deutschen Romantik auf sich hat.

Sibylle Berg bekennt in ihrer Kolumne, dass sie nie einen Liebesroman gefunden hat, der ihr entspricht. "Wo man auch hinliest - ob Roth oder Zola, ob Tschechow oder Shakespeare - eine meiner Gemütslage adäquate Beschreibung einer Beziehung habe ich nirgends entdecken können. Immer schweigen sie, oder was noch schlimmer ist: Sie schreien, reißen sich Trikotagen vom Leib, intrigieren, betrügen, taumeln und lösen sich auf. Verdammt - wer will denn so was? Doch nur Leute ohne Hobby." Jutta Person unternimmt eine kleine Reise durch die Geschichte des Irreseins. Und Rene Aguigah stellt Frank Westermans "El Negro" vor, ein Sachbuch über die Geschichte eines Afrikaners, den Westerman erstmals im Museum für Naturgeschichte in Banyoles sah: ausgestopft.
Archiv: Literaturen

Al Ahram Weekly (Ägypten), 22.12.2005

Rania Khallaf berichtet von der "Sharjah International Book Fair" in den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo verschiedene Veranstaltungen die Lage der Literatur und des Verlagswesens in den arabischen Ländern reflektierten. Eines dieser Seminare widmete sich dem Mangel an Übersetzungen in den arabischen Ländern: "Said Al-Barghouti, ein Übersetzer, sprach von einer nicht zu leugnenden Krise. 'Israel', so sagte er, 'übersetzt in einem Jahr mehr Bücher als alle arabischen Länder zusammen.' Als Ursachen für die Krise nannte er die mangelnden Ressourcen der Verlagshäuser und das Fehlen einer Förderung von Übersetzungen."

Eine interessante Besprechung widmet Heba M Sharobeem dem auf englisch publizierten Buch Buch "Opening the Gates - An Anthology of Arab Feminist Writing" (Indiana University Press, mehr hier).

Archiv: Al Ahram Weekly

Point (Frankreich), 22.12.2005

In einem sehr unterhaltsamen Interview spricht der Doyen des Nouveau Roman Alain Robbe-Grillet (mehr hier und hier) über seine Bücher, seine Arbeit, sein eigensinniges Verhältnis zur Academie francaise und seinen Status als einer, der "bekannt für seine Bekanntheit" ist. Auf die Frage, wie er sich selbst typisieren würde, gibt der inzwischen 83-Jährige folgende Selbstauskunft: "Ich bin ein Atheist, den Gott gelegentlich besucht. Ein nichtexistenter Gott natürlich, eher eine Art Quark oder ein Stück Antimaterie ... Und wenn er mich besucht - das tut er meistens, wenn ich ein Bad nehme - gibt er mir Ratschläge und spricht über mein Genie. Ihm verdanke ich die Lösung meiner technischen Probleme - eine schwierige Wahl, eine bestimmte Seite -, und diese Zusammenarbeit entzückt mich. Meine Mutter, das muss ich zugeben, hat mich ebenfalls für ein Genie gehalten. Aber habe ich Ihre Frage jetzt wirklich beantwortet?"

In seinem "Notizblock" fragt sich Bernard-Henri Levy, ob und wie man die "Faschislamisten" in Teheran noch aufhalten könne. Angesichts der immer wahrscheinlicher werdenden atomaren Bedrohung durch den Iran dürfe man, anders als "bei anderen Totalitaristen wie Hitler, Stalin, den roten Khmer, die uns angekündigt haben, was sie vorhaben", nicht versäumen, "alles zu versuchen, um diese Leute zu stoppen". Und "da Amerika in seinen absurden Irakkrieg verheddert ist, ist es an uns, den Europäern, Fragen zu stellen - dafür bleibt uns sehr wenig Zeit."
Archiv: Point

Economist (UK), 23.12.2005

Warum sind die Japaner nur so vernarrt in Roboter? Weil sie die perfekte Antwort auf ihre Kommunikationsstörungen sind, mutmaßt der Economist. "Viele Japaner haben es schwer, sich in Anwesenheit anderer wohl zu fühlen. Das trifft besonders auf Fremde zu. Denn Einwanderer können nicht - wie Roboter - einfach programmiert werden. Man weiß nie, wann sie womöglich etwas Spontanes tun werden, eine unangenehme Frage stellen oder im Gespräch die falsche Höflichkeitsform gebrauchen werden. Doch von Fremden einmal abgesehen: Japaner zu sein, und immer Acht geben zu müssen, was man im Beisein von anderen sagt oder tut, ist wahrlich kein Picknick."

Weitere Artikel: Jesus als Chief Executive Officer? Der Economist staunt über christliche Gemeinden wie die "Willow Creek Community" in Illinois, die sich die Kniffe der Geschäftswelt zunutze machen und zu "kundenorientierten" Firmen werden. J. P. Martins "Uncle"-Geschichten sind genial exzentrisch, doch leider - zum großen Entsetzen der eingefleischten Fans - seit Ewigkeiten vergriffen und auch sonst kaum noch zu ergattern, berichtet der Economist. Ein Fall für das Print-on-demand-Modell?

Außerdem zu lesen: Was Jeremy Seal über den heiligen Nikolaus und seinen Weg zur Ikone in Erfahrung gebracht hat ("Nicholas: The Epic Journey from Saint to Santa Claus"), warum der französische Antiamerikanismus nicht so tief sitzt, wie es scheint, welche die meistgehassten amerikanischen Firmen sind, dass das Gründen eines Mikrostaates nach dem Vorbild Monacos gar nicht so einfach ist, und wie vermögensbildende Maßnahmen zur Zeit von Jane Austen aussahen.

Evolution im Doppelpack: Utopia ist für den Menschen unerreichbar, aber Dystopia ist auch nicht von Dauer - fragen Sie Darwin!, so der Economist im Aufmacher. Und im Dossier geht es um unsere eigene Erfolgsstory als Spezies.
Archiv: Economist

Figaro (Frankreich), 22.12.2005

Die Debatte um eine staatlich verordnete Geschichtsauffassung hält an. Die Creme de la creme der französischen Geschichtswissenschaft hat nun eine Petition mit dem Titel "Freiheit für die Geschichte!" verfasst. Darin, so berichtet der Figaro, verlangen die Historiker nicht nur die Aufhebung eines Gesetzesartikels, mit dem die "positiven Seiten" der französischen Kolonialgeschichte als Lehrstoff in den Schulen verordnet wurde, sondern auch die Außerkraftsetzung von Gesetzen, die die Leugnung des Holocaust oder des Völkermords an den Armeniern unter Strafe stellen. Pierre Nora erkennt im Interview die besten Absichten dieser Gesetze an, erklärt jedoch, dass in der Zwischenzeit durch eine Vervielfachung solcher "Erinnerungs-Gesetze" deren "perverse Auswirkungen" sichtbar würden. "Erinnerung ist nicht Geschichte. Vor zwanzig Jahren ging es noch darum die Rechte und die Legitimität gewisser sozialer, religiöser, sexueller Minderheiten anzuerkennen. Es war eine bescheidene Erinnerung. Heute jedoch haben bestimmte Verteidiger der Erinnerung einen Hang zur Aggressivität. Sie setzen ein tyrannisches, mitunter terroristisches Erinnern durch, besonders gegenüber der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Seriöse Historiker werden bestimmten Lobbies zum Fraß vorgeworfen, die jetzt mit den Gesetzen drohen, um Wahrheiten zu verbergen. Man muss die Tempelwächter bestimmter Vergangenheitsbewältigungen hindern, die historische Forschung als Geisel zu nehmen.."
Archiv: Figaro

Gazeta Wyborcza (Polen), 24.12.2005

"Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst des polnischen Klempners" beginnt der polnisch-schwedische Publizist und Historiker Maciej Zaremba seinen Artikel über Arbeitsmigrationen im heutigen Europa - von den Schweden, die in Norwegen arbeiten, über die Letten und Polen, die in Schweden ihre Arbeitskraft anbieten, bis zu den Ukrainern, die von Polen ungeliebte Jobs übernehmen. "150 Jahre nach dem 'Kommunistischen Manifest' ist der Arbeiter wieder ein Schreckgespenst. Diesmal schwenkt er nicht die Fahne und will keine Systeme umstürzen - er will nur arbeiten. Und das ist das Erschreckende daran." Von den schwedischen Gewerkschaftlern, die gegen lettische Konkurrenz protestieren, bis zum britischen Europaminister ("Oh, we love the Polish plumber!") - alle haben sich mit dem Problem auseinanderzusetzen. "750 Zloty für einen Kiewer Professor und 40 mal mehr für einen schwedischen Warenverlader in Norwegen - der Unterschied hat nichts mit dem Wert der Arbeit zu tun, sondern mit Geschichte, Grenzen und künstlichen Währungskursen". Der Artikel war im November Teil einer Serie im schwedischen Dagens Nyheter.

Die polnische Gesellschaft verabschiedet sich langsam vom Mythos der Homogenität und muss sich mühsam mit der Existenz von Minderheiten anfreunden, so der Tenor eines Interviews mit der Menschenrechtlerin und Publizistin Halina Bortnowska. "Einerseits gibt es in der Gesellschaft die Tendenz, die Vielfalt zu begrüßen, sich Europa und zur Welt zu öffnen. Andererseits sehen viele die Nähe der Welt als Bedrohung und möchten die Grenzen der eigenen Gemeinschaft dicht machen." Mit der neuen, konservativen Regierung scheinen die Letzteren Oberhand zu gewinnen, was sich als erstes in einem Demonstrationsverbot für Schwulen ausdrückte.
Archiv: Gazeta Wyborcza
Stichwörter: Norwegen, Tenor, Arbeitsmigration

HVG (Ungarn), 24.12.2005

Vier Monate vor den Wahlen ist die politische Polarisierung so groß, dass sogar die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie darunter leiden, meint der Politologe und Bürgerrechtler Peter Tölgyessy: "Die Leiter der Notenbank gefährden mit ihren Erklärungen absichtlich den Kurs der nationalen Währung, nur um eine Regierungskrise auszulösen. Die Opposition versucht die Privatisierung scheitern zu lassen, nur damit die Regierung möglichst wenig zu verteilen hat. Im Gegenzug entfernt die Regierung viele oppositionelle Experten von wichtigen Positionen: Aufträge und Preise sind für sie nur dafür da, um das eigene Klientel zu belohnen. ? Eine Art ständische Demokratie scheint sich in Ungarn zu verfestigen. An die Stelle der Staatsmacht im ursprünglichen Sinne des Wortes tritt jenes Lager, das gerade die Wahlen gewonnen hat. Danach werden vier Jahre lang die Regeln der Rechtsstaatlichkeit ignoriert, der Staat nach dem eigenen Vorbild umgestaltet, um die Chancen der Wahlniederlage zu minimieren."

Die Wochenzeitung analysiert die Praxis einiger westeuropäischer Länder und der USA, Einwanderer, die die Staatsbürgerschaft beantragen, in Sprache, Geschichte und Kultur des Einwanderungslandes zu prüfen. "In Großbritannien wird immer wieder debattiert, ob sich der gesellschaftliche Zusammenhalt lockert, wenn man von den Einwanderern nicht fordert, das Minimum gemeinsamer Werte und kultureller Normen zu akzeptieren. Die Berater der zuständigen Kommission kamen jedoch zum Ergebnis, dass das Britische nicht präzise definiert werden kann." Es steht laut Verfasser fest, was die "britischste Frage" im Staatsbürgerschaftstest sei: "Was tut der gute Staatsbürger, wenn er das Bier von jemand anderem zufällig umkippt? Die richtige Antwort: ich zahle ihm ein neues Bier."
Archiv: HVG

New York Times (USA), 25.12.2005

Der Schriftsteller John Updike hat ein Faible für Kunst. Seine gesammelten Essays über amerikanische Kunst "Still Looking" kann Geoff Dyer mit wenigen Beanstandungen empfehlen. Denn die geografische Beschränkung gereiche dem geistigen Omnivoren Updike im Vergleich zu der ausufernden Essaysammlung "Just Looking" sichtlich zum Vorteil. "Im Endeffekt ist der Band ein hochselektiver Überblick über die amerikanische Kunstgeschichte. Updike weiß eine Menge über Kunst - Updike weiß über vieles eine Menge - was aber am deutlichsten klar wird, ist sein Drang, Neues zu lernen. Seine Berichte von Ausstellungen zu lesen ist so, als würde man in ihnen herumschlendern - nicht mit einem eifrigen Führer, sondern eher mit einem ebenso umgänglichen wie scharfsichtigen und gelehrten Gefährten."

Die letzten Bücher des Comic-Autors Harvey Pekar waren eher mau, meint Dave Itzkoff. Umso begeisterter ist er von Pekars neuem - und bestem Buch - "The Quitter". Der Held ist "ein agressiver, potenziell explosiver Jugendlicher, der sich für seine Eltern, jüdische Immigranten aus Polen, schämt. Sie können sich nicht in das das amerikanische Leben integrieren, und auch der Junge ist unfähig, in den ethnisch gemischten Straßen von Cleveland Freunde zu finden. Als er entdeckt, dass er ein Talent für den Straßenkampf hat, findet Harvey ein geradezu sadistisches Vergnügen daran, seine Fähigkeiten bei der leisesten Provokation zu beweisen" Der entscheidende Unterschied zu anderen Superhelden-Geschichten ist, "dass die Ereignisse den Helden nicht stärker machen, sondern ihn schwächen, weil sie ihm zeigen, wie unzulänglich seine Kräfte eigentlich sind."

Robin Toner stellt zwei neue Bücher über Hillary Clinton vor: "Condi vs. Hillary", in dem Dick und Eileen Morris die Republikaner beschwören, Condoleezza Rice als nächsten Präsidentschaftskandidaten aufzustellen, weil nur sie Hillary stoppen könne, und "The Case for Hillary Clinton" von Susan Estrich, die die Demokraten beschwört, Hillarys Kandidatur nicht zugunsten eines angeblich "sicheren weißen Mannes" auf Eis zu legen. "Estrich nach Dick Morris zu lesen, verursacht eine Art ideologisches Schleudertrauma", erklärt der Rezensent.

Die letzte Ausgabe des New York Times Magazine besteht jedes Jahr traditionellerweise aus Nachrufen. Etwa auf die Origami-Legende Akira Yoshizawa. "Er hatte die (für Origami) revolutionäre Idee, zwei verschiedenfarbige Blätter 'washi' , das handgemachte japanische Papier, zu verleimen und das Papier anzufeuchten, um gegossene, ausdruckstarke Formen herzustellen, wie das Gesicht eines Gorillas, weil das Papier nach dem Trocknen seine Form behält."
Archiv: New York Times