Außer Atem: Das Berlinale Blog
Vorhutkonkurrenz: Ausblick auf die Berlinale 2011
Von Ekkehard Knörer
09.02.2011.
Cannes ist der König, in der zweiten Reihe, zu der Venedig und jedenfalls nominell die Berlinale gehören, sind die Gewichte in ständiger Verschiebung begriffen. Man ist aber längst nicht mehr unbedrängt und allein. Auch der Festivalzirkus ist schon eine ganze Weile dabei, sich zu globalisieren. Nicht nur in San Sebastian und Locarno, in Wien und Lissabon, sondern auch in Jeonju und Pusan in Korea, im südindischen Kerala, in Dubai und anderswo werden inzwischen spannende, ambitionierte Festivals, teils mit viel, teils mit sehr wenig Geld kuratiert - und Filme, je nachdem, mit manchmal enormen Startgeldern angelockt. Um Entdeckungen, neue Akzente und Trends ist man heute in ständiger Vorhutkonkurrenz. Die großen Fossile Europas drohen darüber in die Defensive zu geraten oder sind jedenfalls herausgefordert, Strategien zur Relevanzwahrung zu entwickeln.

Ein großer Trumpf von Berlin ist fraglos das Publikum. Das strömt hier in jede Sorte von Filmen, nicht zuletzt und insbesondere jene, die es im regulären Kinoeinsatz dann schnöde links liegen lässt und verschmäht. Und Ehre, wem Ehre gebührt. Dieter Kosslick ist das glatte Gegenteil eines Intellektuellen und/oder Cinephilen, aber das hat nicht nur seine bekannten Schattenseiten: Er ist eben auch ein klassischer Zampano, der nicht stillhalten kann und, zwar insgesamt richtungslos, aber immerhin das Festival in einzigartiger Weise diversifiziert - oder jedenfalls seiner Diversifizierung nicht opponiert - hat. Manches davon, wie das Kulinarische Kino, ist natürlich kunstverstandwidriger Quatsch, das erwähnte Berlinale Special in seiner Wahllosigkeit vor allem eins: peinlich.
Die Erweiterung Richtung Kunst und Diskurs, die das Forum Expanded betreibt, das Mitmischen in der Festivalfilmproduktion mit dem World Cinema Fund, die Nachwuchsförderung und Bindung der nachrückenden Generationen im Talent Campus: All das kann man in der Art, wie es betrieben wird, grundsätzlich oder Fall für Fall kritisieren. Als Reaktion auf die nicht zu leugnende Diversifizierung des Feldes, das früher mal die recht überschaubare Welt des Kinos war, ist es aber prinzipiell richtig. Und mehr als das, nämlich sogar vornedran im Vergleich etwa zu Marco Müllers Strategie einer Kino-internen Re-Cinephilisierung durch präzise kuratierte bunte Abmischung des Hauptprogramms. Was Müller da tut, ist im gleichen Maß, in dem es das Herz des Kinoliebhabers alter Schule erfreut, eben doch eher ein nostalgieanfälliges Rückzugsgefecht als die Bewegung ins Offene eines extrem irritabel gewordenen Felds. Was der Berlinale in der Perspektive allerdings wiederum fehlt: die Aufgeschlossenheit für das, was sich an Innovationen und Stream- und Präsentationsmöglichkeiten im Internet bietet. Der Auftritt der Berlinale im Netz ist altbacken wie eh und je.
Die angebliche Unübersichtlichkeit des Festivals ist umgekehrt per se kein sonderlich überzeugendes Argument gegen die eingeschlagene Entwicklung: Die Aufsplitterung in Sektionen und Reihen ist prinzipiell der Gesamtsituation eines rasch sich wandelnden Felds adäquat. Und schaut man sich etwa bei den Sektionen Talent Campus und Forum Expanded und Generation einmal um (was die Masse der wie blöde auf den Wettbewerb fixierten Kritik selten tut), kann man schnell erkennen, dass sie als je spezialisiertes eigenlogisches Diskurs- oder Praxisfeld recht gut funktionieren. Man wünschte sich einen Kopf an der Festival-Spitze, der auch nur halbwegs begriffe, was er da tut, eine Meta-Bühne vielleicht, auf der sich die Notwendigkeit des munteren Treibens im Argument artikulierte - oder eben auch anfechten ließe. Dennoch gilt, paradox gesagt: Die Berlinale hat kein Konzept, aber ganz falsch ist es nicht.


Viel gelobt wird Kosslick branchenintern dafür, dass er dem deutschen Film mit großer Präsenz wieder internationale Sichtbarkeit verschafft hat. Wenn man sich da mal nicht täuscht. Erstens bleiben die wirklich wichtigen internationalen Berichterstatter bei der Berlinale inzwischen tendenziell weg. Und zweitens erwarten die, die doch da sind, die einheimischen Beiträge nach venezianischem Vorbild weniger mit Vorfreude denn mit Schrecken - und nach den Erfahrungen mit "Feuerherz" oder "Elementarteilchen" oder "Shahada" leider mit Grund. Im Gegenzug hat es Berlin schlicht versäumt, die "Berliner Schule", die als deutsches Filmphänomen international tatsächlich mit Interesse verfolgt wird, zur eigenen Sache zu machen. Die Wettbewerbs-Nichtberücksichtigung von Thomas Arslans "Im Schatten" und Angela Schanelecs "Orly" im vergangenen Jahr spricht da Bände. So aber läuft Satisfaktionsfähiges aus Deutschland auf Augenhöhe mit - und für den Außenblick erst einmal ununterscheidbar von - ganz und gar minderer Ware, deren Aufnahme sich irgendwelchen Filmförder-Connections und sonst gar nichts verdankt.


Nicht wettbewerbsfähig ist, weil rein fernsehfinanziert, eines der spannendsten deutschen Filmprojekte der vergangenen Jahre: das von den renommierten Regisseuren Dominik Graf (hier), Christoph Hochhäusler (hier) und Christian Petzold (hier) gemeinsam entworfene und dann in einem jeweils eigenständigen Film ausgearbeitete Werk "Dreileben". In einzelnen Momenten überschneiden sich Figuren und Geschichten, nicht um einen Puzzlefilm freilich ist es den Regisseuren zu tun, sondern um eine Phantombegegnung nicht zuletzt ihrer sehr eigenständigen Erzähl- und Darstellungsweisen am gemeinsamen Ort. Nicht eine gemeinsame Geschichte wird erzählt, sondern von einem Kernmoment aus - ein Mörder entkommt und wird dann gejagt -, entfaltet jeder der drei Filme seine eigenen Motive und Reize. "Dreileben" wird jetzt gemeinsam und am Stück von Panorama und Forum gezeigt.
Im Brennpunkt des filmpolitischen Interesses steht aus sehr unerfreulichem Grund der Iran: Auf die absurden Urteile mit langjährigen Haftstrafen und beinahe als lebenslänglich zu begreifendem Berufsverbot gegen Jafar Panahi und Mohammend Rasoulof reagiert die Berlinale mit Solidaritätsaktionen. Panahi ist in die Jury berufen (das macht man Cannes nach, warum auch nicht) und sein Stuhl bleibt während des Festivals symbolisch frei. Gezeigt wird in einer Sondervorstellung sein damals auf der Berlinale gezeigter jüngster Film "Offside". Den weniger berühmten, aber als Regisseur sehr wohl interessanten Rasoulof lässt man leider ziemlich links liegen. Dem Aufruf des iranischen Filmemachers Rafi Pitts, am Freitag zwei Stunden lang alles ruhen zu lassen zur Mahnung an die Urteile gegen die beiden Künstler, folgt die Berlinale nicht, allerdings in Absprache mit Pitts, der aus Paris zu einer Diskussionsveranstaltung kommt.



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