Im Kino
Grenzverkehr
Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
17.10.2007. Ulrich Seidl wendet in "Import/Export" seine gnadenlose Drastik ins Menschliche. Und "Der Sternwanderer" ist ein Fantasy-Film, in dem Robert De Niro als Piratenkapitän in Frauenkleidern Cancan tanzt.
Aber macht ihn das allein schon zum Humanisten? Oder nicht doch zu einer speziellen Form des Elendstouristen? Seidl bewegt sich - und mit Absicht natürlich - auf moralisch vermintem Gelände, gerade daraus beziehen seine Filme ihre Provokationskraft. Ist Seidl, wird oft gefragt, auf der Seite der Erniedrigten und Beleidigten, die er zeigt? Macht er sich die Hände nicht schmutzig dadurch, dass er vorführt, was wir von anderen oft gar nicht sehen wollen? Oder dürfen? Sollte er nicht den Blick seiner Kamera abwenden - und lässt er in den Distanzierungen, die er in seiner Lieblingseinstellung vornimmt, dem Frontaltableau aus einer gewissen Entfernung, seine Figuren nicht im Stich? Gibt es nicht vielleicht sogar so etwas wie einen Elendsstolz in seinen Filmen, die Selbstzufriedenheit desjenigen, der zu zeigen wagt, was sonst keiner zeigt, desjenigen, der als einziger an Tabus rührt, in der Darstellung etwa des Sexuellen (die entschieden zu weit gehende Liebe des Menschen, zum Beispiel, zum Hund - in "Tierische Liebe")? Und in der Tat geht Ulrich Seidl gerne und manchmal auch allzu gerne zu weit.

Die andere Bewegungsrichtung: Pauli (Paul Hofmann) ist arbeitslos in Wien, schuldet den falschen Leuten Geld und seinem Stiefvater auch. Er bekommt einen Job bei einem Sicherheitsdienst und verliert ihn wieder, fast ohne eigene Schuld. Mit seinem Stiefvater macht er sich auf in die Ukraine, wohin sie in einem Transporter Automaten exportieren. Der Stiefvater hat nicht viel mehr als seinen Schwanz im Kopf und Gelegenheiten zum Pimpern. Eine lange, quälende Szene auf dem Hotel mit einer jungen Prostituierten zeigt entblößte Körper und entblößte Seelen und schleust mit dem halb angewiderten Pauli doch ein Korrektiv ins typische Seidl-Bild. (Wobei es bei Seidl mit dem Blick nie getan ist: Er ist immer auch Arrangeur des Gezeigten, Anstifter zur Freilassung innerer Schweinehunde der Schauspieler/Menschen, die vor seiner Kamera figurieren.)
Olga und Pauli begegnen einander nicht. "Import/Export" fügt ihre grenzüberschreitenden Lebensläufe zum Diptychon eines west-östlichen Gesellschaftszustands, der die Menschen an den Gesellschaftsrändern verkommen lässt. Seidl hält nach wie vor stilisierten Naturalismus und eine Drastik des Zeigens für die Darstellungsmittel der Wahl. Es scheint aber, als gebe es diesmal eine andere Gewichtung. Er verharrt nicht bei der bloßen Denunziation der Verhältnisse (die von einer Denunziation der von den Verhältnissen gebeugten Menschen gelegentlich nicht zu unterscheiden war), sondern stellt mit Olga eine Figur ins Zentrum, der die Sympathien des Zuschauers fast schon zufliegen. Es müsste einer schon sehr hartgesotten sein, diese Manifestation eines bei Seidl bisher oft arg latenten Humanismus' nicht zu begrüßen. Gerade die Verbindung von Gnadenlosigkeit und Empathie macht "Import/Export" zu einem grandiosen Film.
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Eine Grenze gibt es auch hier, eine Mauer genauer gesagt, mit einer Lücke, vor der ein kampfsporterprobter älterer Herr als Zerberus sitzt. Hinter der Mauer ist das Hexen- und Zauberreich Stormland und hinüber zieht es, in der Vorgeschichte des Films, einen jungen Mann. Er trifft dort auf Bonsai-Elefanten und schwängert eine per verzauberter Kette an eine Hexe gekettete junge Frau. Dann kehrt er zurück und hält, nicht sehr viel später, das Ergebnis dieser fast nicht wahren Nacht jenseits der Mauer in Händen: Tristan (Charlie Cox), den Helden des Films.
Von den sich in diesem Film immerzu überschlagenden Ereignissen seien festgehalten: Ein Stern, der zu Boden geht, Frauengestalt annimmt (Clare Danes) und zum Liebesobjekt Tristans wird, den eigentlich eine andere Liebesgeschichte in die Fantasy-Welt verschlägt. Es stirbt ein Herrscher (Peter O'Toole), der keinen seiner sieben Söhne zum Nachfolger wünscht. Sie bringen einander denn auch der Reihe nach um, allerdings nur, um als Unterwelt-Chor einen belustigten und immer wieder auch sehr komischen Blick auf die Vorgänge zu werfen. Und es macht sich eine von drei aus "Macbeth" entliehenen Hexen auf, den niedergegangenen Stern an sich zu reißen, des ewigen Lebens wegen, das zu geben er verspricht. Diese Hexe, Lamia, wird von Michelle Pfeiffer gespielt, die einem den Atem raubt, nicht zuletzt, weil es in dieser Rolle vor allem um Jugend und Alter geht und um Schönheit, die schneller vergeht, als einem lieb sein kann.
Und dann ist da Captain Shakespeare, ein Piratenkapitän, auf dessen Luftschiff recht plötzlich und unerwartet das romantische Heldenpaar gerät. Shakespeare hat einen Ruf wie Donnerhall und unter Deck tanzt er in Frauenkleidern Cancan. Es spielt ihn Robert de Niro und wie schon Johnny Depp als Jack Sparrow stiehlt er allen die Show. Oder täte es, ginge die nicht in atemberaubendem Tempo immer weiter, mit einer zusehends hexischeren Michelle Pfeiffer, einer Liebesgeschichte, die gar nicht dazu kommt, Atem für Sentimentalitäten zu schöpfen, und einem Reichtum an Verwandlungszaubereien, der einem Augen und Ohren übergehen lässt.
Kurzum: "Der Sternenwanderer", nach einem Roman des als Comic-Autor ("Sandman") zu Ruhm gekommenen Neil Gaiman, ist sehr viel näher an Monty Python und Terry Gilliam als an monumentaler "Herr der Ringe"-Humorlosigkeit. Er ist unwichtig wie nur was. Und ein einziges Vergnügen für große und kleine Kinder.
Import/Export. Regie: Ulrich Seidl. Mit Ekateryna Rak, Paul Hofmann, Michael Thomas, Maria Hofstätter, Georg Friedrich, Natalija Baranova, Susanne Lothar und anderen. Österreich 2007.
Der Sternenwanderer. Regie: Matthew Vaughn. Mit Charlie Cox, Claire Danes, Robert De Niro, Sienna Miller, Michelle Pfeiffer und anderen. Großbritannien / USA 2007.