Im Kino
Arbeit am Mythos
Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
25.10.2007. Der von Brad Pitt produzierte Spätest-Western "Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford" ist wild entschlossen, weiß nur nicht recht, wozu. Und Stefan Westerwelles Filmhochschul-Abschlussfilm "Solange Du hier bist" ist ein Geschenk, ein Versprechen und einer der schönsten deutschen Filme der letzten Jahre.
Auf gut zweieinhalb Stunden verteilt der Film ein Weniges an äußerer Handlung. Er beginnt mit einem spektakulär inszenierten Zugüberfall in der Nacht und verzichtet im folgenden fast völlig auf weitere Action. Er beschränkt sich im wesentlichen darauf, seine Figuren beim Herumstehen zu zeigen, beim Herumsitzen und Herumreden. Ein Schusswechsel hier und da. Weite amerikanische Landschaften, darin Brad Pitt, bärtig, als Jesse James. Landschaften im Sommer, Landschaften im Winter. Bilder des Menschen in der Natur, lange Einstellungen, in denen sich wenig ereignet, Dialoge, die vieles im Unklaren lassen. Es schleicht sich nach dem großspurigen Beginn ein Gefühl von Dauer in diese Bilder, in diesen Film, ein Gefühl des Nicht-Vom-Fleck-Kommens, das von Langeweile erst einmal schwer zu unterscheiden ist.
Unzweifelhaft ist "Die Ermordung des Jesse James" vor allem eines: Arbeit am Mythos. Jesse James, der Anführer einer Bande, dem es über Jahrzehnte gelingt, sich den Strafverfolgungsbehörden zu entziehen, der zum Volkshelden wird. Er ist vierunddreißig, als der Film einsetzt, und längst eine Legende, über die Bücher geschrieben werden. Robert Ford, der alle Geschichten über James kennt, der verzweifelt nach Ähnlichkeiten sucht und sich schließlich der James-Bande andient, ist ein fanatischer Anhänger, der nach Anerkennung durch das Idol dürstet.

In dieser doppelten Perspektivierung, dem gleichzeitigen Auf- und Abbau der Legende, verschwimmt allerdings irgendwann die zentrale Figur. Der Film bewegt sich zentimeterweise voran, aber ohne klare Richtung. Er nimmt seinen grummelnden Helden in den Blick, die Konturen werden dabei aber immer unschärfer. Der Widerspruch, in dessen Schnittpunkt Jesse James liegt, führt nicht zu Erkenntnis, sondern erweist sich, je länger der Film darauf insistiert, umso mehr als seltsame Unentschiedenheit. Mit einiger, die Geduld des Betrachters strapazierenden Verbissenheit will "Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford" etwas beweisen. Nur weiß er am Ende selbst nicht mehr so genau, was.
***

"Solange Du hier bist" ist ein Film über die übers Finanzielle hinausgehende Beziehung der beiden, aber kein Beziehungsfilm. Die Geschichte eines zärtlichen schwulen Begehrens, aber kein Schwulenfilm. Es ist überhaupt ein Film, dem man keine Etiketten anheften sollte, ein Film, dem fast schon jeder Behauptungssatz unrecht tut, so subtil und vorsichtig ist er in jedem Bild, das er zeigt. Der Kamera von Bernadette Paassen gelingt es, große Intimität herzustellen im Verhältnis des Betrachters zu den Figuren, aber auch im Verhältnis der beiden zueinander - ohne aber auch nur ein einziges Mal aufdringlich zu sein. Der Blick ihrer Kamera ist ein ganz dem Detail gewidmeter Blick, der liebevoll zeigt, was die Hände tun, und auch das, was sie lassen, ein Blick, der geräuschlos fällt und nicht einfach geworfen wird. Es ist ein Blick, der, wie der ganze Film in der verblüffendsten Mischung von großer Zurückhaltung ist, aber keine Scheu kennt, etwa im Nebeneinanderstellen des vom Altern gezeichneten und des begehrenswerten jungen Körpers.

Das ist nicht, wie es in neun von zehn Filmen wäre, ein Beweis für die Einsamkeit dieses Mannes. Es ist einfach so, wie es ist, es ist nicht zuletzt eine Form des Glücks, die einem doch bleibt. Überhaupt durchströmt Glück, nicht Unglück, diesen Film. Glück ist, "solange du hier bist", das Glück des "Hier", der schieren Anwesenheit eines Körpers und eines Menschen. Georg, der um die Vergänglichkeit dieses Glücks weiß, erzählt sich selbst davon auf ein Tonband, dem er später, wenn Sebastian verschwunden sein wird, lauschen kann. Zuvor aber gönnt ihm der Film in einer irrealen Sequenz den schönsten Tod, der sich denken lässt und setzt ihn mit atemberaubender Stil- und Tonsicherheit anrührend in Szene.
"Solange Du hier bist" ist der Abschlussfilm eines 26jährigen Filmhochschülers. Zu sagen, dies sei ein gelungenes Gesellenstück, wäre eine maßlose Untertreibung. Er ist ein Geschenk und ein Versprechen und einer der schönsten deutschen Filme der letzten Jahre.
Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford. USA 2006 - Originaltitel: The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford - Regie: Andrew Dominik - Darsteller: Brad Pitt, Casey Affleck, Sam Shepard, Mary-Louise Parker, Zooey Deschanel, Sam Rockwell
Solange Du hier bist. Deutschland 2006 - Regie: Stefan Westerwelle - Darsteller: Michael Gempart, Leander Lichti