Heute in den Feuilletons

Bilder, Körper und Frauen

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
19.11.2010. Die Vollversammlung der UNO hat zwar ungerechfertigte Exekutionen verurteilt - aber die Todesstrafe wegen sexueller Orientierung wird nicht mehr kritisiert, meldet Queer.de. Die Tatsache, dass Handke Karadzic besuchte, sei doch seit 2008 bekannt, hatte die SZ zu der "Enthüllung" in Malte Herwigs Biografie gesagt. Mag sein, antwortet Herwig in seinem Blog, aber warum hat die SZ seinerzeit nicht darüber berichtet?  FR und NZZ beklagen den Verfall der italienischen Kultur unter Berlusconi. Die taz findet am Ende doch noch einen Sinn in Popkritik

NZZ, 19.11.2010

Der jüngst zu beklagende Einsturz von Monumenten in Pompeiji ist kein Einzelfall, fürchtet Samuel Vitali, sondern nur das Symptom für ein kriminell vernachlässigtes Kulturerbe: "In Rom brachen im Mai Stücke aus dem Verputz des Kolosseums aus; die spätantike Aurelianische Stadtmauer sowie die Ruinen des Kaiserpalastes auf dem Palatin sind vom Einsturz bedroht. Und natürlich sieht es abseits der Hauptstadt nicht besser aus: Dieser Tage warnte die archäologische Denkmalpflege der Toskana, dass die Zyklopenmauern von Roselle, die zu den wenigen vollständig erhaltenen etruskischen Stadtmauern gehören, vom Zerfall bedroht sind."

Christoph Egger betrachtet Jean-Luc Godards neuen Videoessay "Film socialisme" und winkt nebenbei bei allen Indizien für Godards Antisemitismus ab: " So mag ein Satz wie etwa derjenige, dass die Juden sich in den Konzentrationslagern der Nazis hätten umbringen lassen, um so den Staat Israel herbeizuführen, wie eine Monstrosität klingen. Was Godard tatsächlich damit meint (Provokation? 'Querdenken'?), muss offenbleiben."

Weitere Artikel: Patrick Zamarian begutachtet die Evelyn Grace Academy, eine Mittelschule, im Londoner Stadtteil Brixton, das erste Gebäude, das Zaha Hadid in Großbritannien bauen kommte. Besprochen werden zwei vom Goethe-Institut verantwortete Ausstellungen mit Fotografien aus Bombay, Warschau und Berlin in Bombay, zwei neue Hip Hop-Alben von Kanye West und Kid Cudi und Händels "Alcina" in Wien.

Welt, 19.11.2010

Den Architekturstreit, der in Berlin ist anlässlich der anstehenden Bebauung rund um den Fernsehturm entbrannt ist, beschreibt Christian Tröster. Es geht um die Frage: Wieviel Einfluss darf der Staat auf das Aussehen der Städte haben? In New York wurden die National Book Awards verliehen, meldet Hannes Stein. Hans Nieswandt untersucht die Eignung von DJs als Politiker (und umgekehrt). Martin Eich zeichnet ein freundliches Porträt von Ulrich Khuon, seit einem Jahr Intendant des Deutschen Theaters

Besprochen werden Peter Brooks Inszenierung der "Zauberflöte" in Paris

FR, 19.11.2010

Hans-Martin Lohmann, einst Chefredakteur der Zeitschrift Psyche, versucht sich an einer Art Psychoanalyse des Berlusconismus: "Bilder, Körper und Frauen - diese Trias ist der harte Kern von Berlusconis Antipolitik, die jede Politik herkömmlichen Stils alt aussehen lässt. Der Regierungschef selber inszeniert sich als Körper-Ikone, an der die ganze Nation partizipieren soll. Nach dem Motto 'Seht her, ich bin einer von euch, ich teile eure Sorgen und Nöte' lässt er die Medien ausführlich über die zahlreichen Eingriffe und Korrekturen an seinem Körper berichten."

Weitere Artikel: In der Kolumne "Times mager" gibt Hans-Jürgen Linke eine Konsumterror-Warnung aus. Harry Nutt begrüßt den feierlich präsentierten letzten Band der Heinrich-Böll-Ausgabe, um deren editorische Qualität freilich auch ein Streit entbrannte. Tobi Müller gratuliert dem Independentlabel City Slang zum zwanzigsten Geburtstag. Christian Schlüter hörte einer Frankfurter Rede des Wirtschaftshistorikers Werner Plumpe zu.

Besprochen werden ein Konzert des Pianisten Alexei Volodin und des St. Petersburger Orchesters in Frankfurt, das Abschiedskonzert von Simply Red in Frankfurt, und Adriana Hölszkys Oper "Bremer Freiheit" nach Fassbinder in der Berliner Kammeroper (der, wie Jürgen Otten berichtet, leider die mageren Subventionen gestrichen werden).

Aus den Blogs, 19.11.2010

(Via wissenrockt.de) Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat in einer Resolution zwar ungerechtfertigte Exekutionen verurteilt - aber die Todestrafe wegen sexueller Orientierung wird nicht mehr verurteilt, meldet das Schwulenmagazin queer.de: "In den Resolutionen gegen die Todestrafe aus den letzten zehn Jahren haben die Vereinten Nationen stets ausdrücklich auch 'sexuelle Orientierung' erwähnt. Auf Druck von arabischen und afrikanischen Staaten kommt diese Personengruppe nun nicht mehr vor: Marokko und Mali hatten am Dienstag beantragt, das Wort 'sexuelle Orientierung' aus dem Resolutionstext zu entfernen." queer.de veröffentlicht auf dieser Seite auch eine Liste der 79 Länder, die gegen Schwulenrechte stimmten. Dazu gehören auch Russland und China.

Aua! Damit hatte die Literaturkritik nicht gerechnet. Wenn der Kritiker kritisiert, hat der Kritisierte höflicherweise stillzuhalten. Aber Malte Herwig handhabt es nicht so und antwortet in seinem Autorenblog auf Kritiken seiner Handke-Biografie. Dass Handke Karadzic besucht hat, sei doch seit 2008 bekannt hatte Lothar Müller in der SZ geschrieben. Mag sein, meint Herwig, aber "dass weder die Süddeutsche Zeitung noch irgendein anderes Blatt vor dem Vorabdruck der Biografie das von Norbert Gstrein gestreute Gerücht auch nur wahrgenommen und über diese nicht ganz uninteressante Begegnung zwischen Serbenführer und Schriftsteller berichtet hat, scheint Müllers journalistisches Selbstbewusstsein nicht anzufechten." (Nun war die SZ aber auch nie durch Kritik an Handke aufgefallen!)

TAZ, 19.11.2010

Im letzten Teil der Debattenreihe über Musikkritik fordert Julian Weber mehr Leidenschaft und Respekt und prophezeit, dass PopkritikerInnen die Zukunft gehöre. "It's like a jungle sometimes, aus dem nach wie vor KritikerInnen die besten Auswege kennen, weil sie sich mit der Materie am eingehendsten beschäftigen. Sie können die Musik und ihre Komponisten kontextualisieren ... Würde die Filmkritik je darüber nachdenken, mit der Rezension von Filmen aufzuhören, weil es Leute gibt, die Handyaufnahmen von Blockbustern ins Internet stellen? Sie würde es sicher begrüßen, wenn ein Regisseur einen Kurzfilm zu einem Filmepos zerdehnen könnte."

Außerdem: Dirk Knipphals freut sich mit über den Abschluss der 27-bändigen Kölner Ausgabe der Werke von Heinrich Böll. Besprochen werden ein Berliner Konzert der britisch-tamilischen Sängerin Maya Arulpragasam und Hirokazu Kore-edas Spielfilm "Still Walking".

Und Tom.

SZ, 19.11.2010

Auf die urheberrechtlichen Probleme, die mit der absehbaren Verbreitung sogenannter 3D-Drucker auf uns zukommen, macht Dirk von Gehlen aufmerksam. Erst mal erklärt er aber die Sache dem Prinzip nach: "'Stellen Sie sich vor', schreibt der Jurist Michael Weinberg in einem gerade veröffentlichten Papier zum 3-D-Druck, 'Sie scannen einen Kaffeebecher, schicken die Datei an einen Drucker und erstellen so Tausende identische Tassen.' Aber auch elektrische Kleingeräte sieht Weinberg aus dem 3-D-Drucker kriechen: 'Beispielsweise eine Fernbedienung, die genau an Ihre Hand angepasst ist und alle Knöpfe genau dort hat, wo Sie sie sich wünschen.'"

Weitere Artikel: Catrin Lorch beklagt, dass die Museen über all ihrer Betriebsamkeit ihre eigentlichen Aufgabe, Kunst zu "bewahren", zusehends vergessen. Die wiedervereinigten Take That nimmt Jens-Christian Rabe unter die Lupe. Renate Klett berichtet vom internationalen Theaterfestival Mess in Sarajewo. Einen Berliner Vortrag des Historikers Jürgen Kocka über den Kapitalismus und seine Krisen fasst Stephan Speicher zusammen.

Besprochen werden Peter Brooks in seinem Pariser Theater Bouffes du Nord aufgeführte "Zauberflöten"-Version, eine Ausstellung mit Bob Dylans "Brazil Series"-Gemälden in Kopenhagen, Hirokazu Kore-edas Familienfilm "Still Walking" (mehr) und Bücher, darunter Nino Haratischwilis Roman "Juja" (mehr dazu in der Bücherschau ab 14 Uhr).

FAZ, 19.11.2010

Raphael Gross erklärt, warum die Diskussion um die Nazi-Verstrickung des Auswärtigen Amts auch die deutsche Nachkriegsgeschichte betrifft - er kritisiert dabei auch die Entlastungsversuche des Historikers Konrad Löw. Felicitas von Lovenberg gibt Herta Müllers "entsetzte" Reaktion auf die Enthüllungen zu Oskar Pastiors Spitzeltätigkeit wieder: "Es gibt Oskar Pastior zweimal. Ich lerne erst jetzt den zweiten kennen. Und das verbittert mich." Ins krisengeschüttelte Irland ist Gina Thomas gefahren und bekam dort kein freundliches Wort über die Regierung zu hören. Andreas Platthaus blickt voraus auf die am Sonntag stattfindende Eröffnung des Nürnberger Dokumentationszentrums "Memorium", das der Geschichte der Nürnberger Prozesse gewidmet ist. In der Glosse deutet Patrick Bahners Äußerungen von Kulturstaatsminister Bernd Neumann aus Anlass des Abschlusses einer 27bändigen Heinrich-Böll-Ausgabe. Mit dieser Ausgabe selbst - auch der Kritik daran - befasst sich in einem weiteren Artikel Wiebke Porombka. Auf der Medienseite spazieren diverse FAZ-Autoren durch die neue deutsche Google-Streetview-Welt.

Besprochen werden Olivier Pys Inszenierung von Paul Hindemiths Oper "Mathis der Maler" an der Bastille-Oper in Paris, eine Ausstellung mit dem Werk des Künstlers Arman im Centre PompidouHirokazu Kore-edas Film "Still Walking" (mehr) und Bücher, darunter ein von Ute Oelmann und Ulrich Raulff herausgegebener Band über "Frauen um Stefan George" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).