Bücherbrief

Bücherbrief August 05

Der Newsletter zu den interessantesten Büchern des Monats.
01.08.2005. Für alle, die wissen möchten, wie ein perfekter Samstag, urdeutscher Terror oder der Seemann von Welt aussieht: Hier sind die besten Bücher der vergangenen vier Wochen.
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So viel wie beim neuen "Harry Potter" wird dabei nicht herausspringen, aber selbst den können sie ausnahmsweise bei uns bestellen, und zwar sowohl in der Ausgabe für Erwachsene als auch für Jugendliche.

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Weitere Anregungen finden Sie hier in den Büchern der Saison, hier in Arno Widmanns "Nachttisch" oder hier im vergangenen Bücherbrief.

Wir wünschen eine anregende Lektüre!



Ein perfekter Samstag

Ian McEwans neuer Roman "Saturday" ist für die FAZ eines der wichtigsten Bücher des Jahres Hauptfigur ist ja auch ein "liberaler Ironiker", Henry Perowne, der an einem Samstag in London nicht nur ein Gehirn operiert, sich durch eine Anti-Kriegs-Demonstration kämpft und einen Überfall übersteht, sondern danach auch noch in aller Ruhe Squash spielen geht. Ulrich Greiner bestaunt in der Zeit die "geradezu aristotelische Einheit von Ort, Zeit und Handlung" ebenso wie die universelle Virtuosität McEwans, die ihn zum Meister jedes beliebigen Sujets werden lässt. Greiner ist der Roman allerdings ein wenig zu perfekt. Die SZ zeigt sich beeindruckt, dass sich der Held in seinem bürgerlichen Glück weder von der Weltlage noch von der terroristischen Bedrohung sonderlich stören lässt. McEwan hat schon ein Näschen für aktuellen Stoff.


Wenn Mauern fallen und Diktatoren stürzen

Es gibt sie also doch, die literarische Reportage aus Deutschland! Enthusiastisch annonciert die Welt den Band "Die Signatur des Krieges" des Spiegel-Journalisten Claus Christian Malzahn : Nahezu einen "Entwicklungsroman in Episoden" habe Malzahn hier geschrieben, die Eckdaten lauten 9.11. und 11.9: Vom idyllischen West-Berlin der Vorwendezeit geht es in die harte Wirklichkeit neudeutscher Normalität, nach Bosnien, Afghanistan und im Irak. "Kluge Beobachtungen" hat die Welt hier gefunden, lakonische Beschreibungen und präzise Porträtzeichnungen. Henryk M. Broder gesteht in der Jüdischen Allgemeinen: "Die Geschichten sind so unverschämt gut geschrieben, dass einen beim Lesen der kollegiale Neid packt." Hier einezum Nachprüfen.


Urdeutscher Terror

Wolfgang Kraushaar hat mit seinen Enthüllungen über "Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus" eine Riesendebatte ausgelöst. Die Zeit lobt die Verbindung von präziser historischer Forschung und klugen politischen Analysen. Was die Feuilleton-Gemüter erregt, ist nicht so sehr die Täterschaft Albert Fichters, sondern der von Kraushaar angedeutete Antisemitismus der Achtundsechziger. Die FR hofft auf einen Startschuss zur überfälligen Selbstaufklärung der Linken, die Berliner Zeitung weist auf die Rolle des Staates als Agent provocateur hin. Und Götz Aly konstatiert in der Welt. "Die deutschen Achtundsechziger waren ihren Eltern auf elende Weise ähnlich."


Angela Merkels prekäre Beziehung

Gut gefällt der Zeit, wie Gerd Langguth in seiner Biografie von "Angela Merkel" die prekäre Beziehung der CDU-Vorsitzenden zu ihrer Partei herausarbeitet. Hier führe der Autor in die Tiefen der CDU und gelange sogar zu einigen Reflexionen über die Zukunft Europas. Langguths These, Angela Merkels politische Haltung rühre von ihrem übermächtigen Vater her, überzeugt dagegen weniger. Hier wäre es besser gewesen, meint der Rezensent, ein paar Fragen offen zu lassen anstatt sich in Spekulationen zu ergehen.


Das Imperium kommt zurück

"Herfried Münkler hat aus einem Meer von Literatur einen Brühwürfel der Information gewonnen, aus dem noch viele Leitartikler ihre Suppen kochen können", schwärmt die SZ über "Imperien" Bestechend knapp habe der Historiker Weltreiche analysiert, von den römischen Kaisern bis zum britischen Empire, und die Logik freigelegt, nach der sie funktionierten (oder nicht). Die Pax Americana gefällt der SZ nun plötzlich auch viel besser. Brillant gemacht, muss auch die NZZ anerkennen, die sich allerdings durchaus eine Welt ohne Imperien vorstellen könnte.


König Jimmy Reeperbahn

P. Howard muss die Menschen geliebt haben", vermutet die SZ, die diese Romangroteske rund um den Gangster Jimmy Reeperbahn, der erst Schiffskoch und dann König wird, bisher als einzige bemerkt hat. Dafür überschlägt sie sich dann auch mit Empfehlungen für "Ein Seemann von Welt", diese kongenial übersetzte Hommage an die "Sonderlichkeit" des Menschseins Die Ungarn ärgern sich derweil, dass sie ihren dichtenden Nationalhelden, der eigentlich Jenö Rejtö hieß, nicht besser vermarktet haben - er hätte nämlich das Zeug, eine ähnlich erfolgreiche Marke zu werden, wie es der Schwejk bei den Tschechen schon ist.


Viktorianischer Sonderling

"General Gordons Ende" ist für die SZ trotz des finalen Titels ein Werk für die Ewigkeit. Lytton Strachey habe mit diesem schön kompakten Essay von 1918 eines der "großartigsten und amüsantesten" Porträts" abgeliefert, in dem die politischen Hintergründe ganz nebenbei mit einer "hinreißenden Intensität" geschildert werden. General Gordon, der 1884 in den Sudan geschickt wurde, um den Abzug der Briten zu organisieren, überlegt es sich anders, marschiert neuerlich ein und stirbt während der Belagerung der Mahdi-Armee 1885. Strachey beschreibt den glücklosen General eindrucksvoll als Sonderling und religiösen Schwärmer, der sich, mit einer tüchtigen Prise Todessehnsucht versehen, als Werkzeug Gottes verstanden hat.


Im Schatten der Platte

"Nichts für sanfte Gemüter" ist Andrzej Stasiuks autobiografischer Erzählzyklus "Über den Fluss" der so licht und farbenfroh beginnt, als hätte Stasiuk "in die Madeleine gebissen". Aber dann erlebt die FAZ eine böse Überraschung. Im Laufe der zwölf aufeinander bezogenen Geschichten wird eine "Hardcore-Adoleszenz" im Polen der Siebziger ausgebreitet, voller himmelsperrender Plattenbauten und seitenlanger Sexszenen, die auf den eingeschüchterten Rezensenten wie das "Liebesspiel gedopter Kampfhunde" wirken.


Krise

Hans Ulrich Treichel bleibt Hans Ulrich Treichel, auch in seinem neuen Roman "Menschenflug" da sind sich die Kritiker einig. Während die NZZ sich deshalb gepflegt langweilt, ist die taz nicht nur von der "durchhumorisierten Sprache", sondern vor allem über die Menge an "wahren Einsichten" begeistert, die Treichel in die Geschichte über einen Akademiker packt, der sich auf dem Höhepunkt seiner Midlife Crisis für ein Jahr in eine Dachkammer zurückzieht.


Unter Druck

Die prekäre Stellung der muslimischen Frauen wird nicht mehr nur in Ayaan Hirsi Alis Streitschrift "Ich klage an" diskutiert. Den Erfahrungsbericht "Erstickt an Euren Lügen" der unter einem Pseudonym schreibenden deutschen Türkin Inci Y. würde die NZZ am liebsten zur Pflichtlektüre machen Y. sieht ausnahmesweise nicht im Islam die Ursache für ihre Unterdrückung und bleibt bei aller Eindringlichkeit wohltuend sachlich. Jede Polemik versagt sich auch Irshad Manji, die in "Der Aufbruch" allerdings eine islamische Reformation für notwendig hält. Mit Gewinn hat die taz den Aufsatzband "Abschied vom Harem?" gelesen, in dem die ägyptischstämmige Soziologin und Islamwissenschaftlerin Houda Youssef Beiträge von muslimischen Autorinnen über ihre Selbst- und Fremdwahrnehmung versammelt.


Canetti total

Der hundertste Geburtstag von Elias Canetti am 25. Juli hat eine Flut an neuen Veröffentlichungen ausgelöst. Zu empfehlen ist Sven Hanuscheks Monumentalbiografie "Elias Canetti" die von allen besprochen, von den allermeisten geschätzt und von der FR als "Canetti unplugged" gepriesen wurde. Helmut Göbels rororo-Bildmonografie "Elias Canetti" ist natürlich weniger umfangreich, aber auf gewohnt "hohem Niveau", wie die NZZ bestätigt. Als neues Schriftstück von Canetti selbst sind die kurzen "Aufzeichungen für Marie-Louise" in einer "großartigen" Edition erschienen (es gibt übrigens auch eine gelungene Hörbuchfassung). Schon Robert Musil musste gegenüber Canetti neidvoll anerkennen: "Er liest besser als ich!" Weshalb die "Stimmen von Marrakesch" vom Autor selbst gelesen, ein Genuss sind, wie die FAZ versichert. Wohl weil die "Aura des Dringlichen" aus dem Lautsprecher wabert. Karoline Naabs Hör-Feature zu Leben und Werk glänzt dagegen mit seltenen Originalton-Trouvaillen von Karl Kraus oder Theodor W. Adorno.