Hans-Ulrich Treichel

Menschenflug

Roman
Cover: Menschenflug
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005
ISBN 9783518417126
Gebunden, 234 Seiten, 17,80 EUR

Klappentext

Nicht alle Wünsche müssen in Erfüllung gehen. Man kann auch als Akademischer Rat glücklich werden. Eine Zeitlang zumindest. Doch kurz vor seinem zweiundfünfzigsten Geburtstag beginnen Stephan ungewohnte Ängste und Träume umzutreiben, und außerdem ist da immer dieser Schmerz in der Herzgegend. Und war nicht sein Vater mit vierundfünfzig an einem Infarkt gestorben? Stephan entscheidet sich zu einer einjährigen Auszeit vom Familienleben und zieht in eine kleine Steglitzer Wohnung in der Nähe vom Lilienthalpark. Er hat Bilanzbedarf. Und nach Ägypten reisen möchte er endlich auch einmal.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 14.09.2005

Da hat Hans-Ulrich Treichel also den "Verlorenen" nochmal geschrieben, und, nun ja, "einige sehr gelungene Passagen" sind ja dabei herausgekommen, aber jetzt, hofft Thomas Laux, ist hoffentlich Schluss mit dem schriftstellerischen Kramen in der Vergangenheit, mit der Recherche, der Verzagtheit und solch zugegeben irgendwie wundervollen deutschen Lebensrückschauwörtern wie "Dachstubensehnsucht" und "Zwischenbilanzbedarf". Obwohl, solche Wörter soll er ruhig weiter schreiben, nur die Recherchegeschichte um den unbekannten älteren Bruder, den die Eltern damals bei der Flucht aus Wolhynien zurückließen, diese ganze Familienvergangenheitsgrübelei, von der hat der Rezensent jetzt genug. Unterm Strich: ein ganz brauchbarer, aber nicht vollends überzeugender Midlife-Crisis-Roman.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 08.09.2005

Als Höhepunkt des Buches identifiziert Walter van Rossum die Stelle, an der der Held Stephan in Ägypten von einer attraktiven älteren Archäologin "umgepflügt" wird. Obwohl sich Rossums Zusammenfassung des Inhalts von Hans-Ulrich Treichels Roman "Menschenflug" recht uninspiriert liest, ist der Rezensent dann überraschenderweise des Lobes so voll, dass er geradezu überschäumt. Eine "hinreißende Sinnstiftungskomödie" sei dieses Buch, ein "gekonnt-gewollt unauffälliger Roman", und wer keinen Sinn hat für die Klasse und den Witz dieses Werkes, so van Rossum apodiktisch, der sei für die Welt des Humors überhaupt verloren. Dieses laudatorische Crescendo steigert sich in eine hymnische Anrufung des "spöttisch-melancholischen Buches": Wer bei der Lektüre die vermutlich hypochondrischen Herzschmerzen des Helden Stephan - 52 Jahre alt, Mittelstandakademiker, von einer missratenen Kindheit und Jugend behelligt -, nicht nachzuempfinden vermag, der - da kennt van Rossum kein Pardon - "ist einmal zu viel amputiert".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 19.08.2005

Stephan Maus kann über Hans-Ulrich Treichels neuen Roman gar nicht genug spotten, so entäuscht ist er von der Fortsetzung des 1998 erschienenden Flüchtlingsdramas "Der Verlorene". Stephan, Akademischer Rat in der Midlifecrisis, hat Angst um seine Gesundheit, will in einer "Steglitzer Selbstfindungsklause", wie Maus naserümpfend liest, zu sich und seinem Leben finden und begibt sich auf die Suche nach seinem verlorenen Bruder, mal in Ägypten und mal in Uelzen. Der Rezensent fühlt sich und alle anderen Leser unterfordert und schiebt das auf Treichels "halbherzigen und lustlosen" Stil, der seiner Meinung nach in Albernheit umkippt. Maus setzt nach der Ägypten-Episode noch einen drauf: "Sechzig Seiten Tui-Prosa in einem Flüchtlingsdrama" stöhnt er und hegt die Vermutung, Treichel, Professor am Deutschen Literaturinstitut Leipzig, ruhe sich auf den Lorbeeren seines vorherigen Romans aus. Dafür hat der Rezensent nur Hohn übrig - sein Resümee: "satt und lächerlich überkonstruiert".
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 21.07.2005

Viele Motive aus früheren Werken Hans-Ulrich Treichels hat der Rezensent in "Menschenflug" wiedergefunden, aber anders als die früheren Werke hebt dieses nicht so recht vom Boden ab. Das ist das ernüchternde Fazit von Martin Krumbholz' Besprechung. Ebenso "matt und leidenschaftslos" wie eine im Ägyptenurlaub des Protagonisten angesiedelte außereheliche Beischlafepisode plätschert der ganze Roman dahin. Er kommt nicht in Fluss; der Autor bleibt, so der Rezensent, "unter seinen Möglichkeiten". Den Rezensenten erfüllt dieses Versagen mit spürbarem Bedauern; man hat den Eindruck, dass er dem Autor gerne hälfe - aber wie? Hauptfigur des Romans ist ein um die 50 Jahre alter Sohn von Wolhyniendeutschen, ein mit einer Psychoanalytikerin verheirateter Mittelstandsakademiker, der immer noch unter der "Freudlosigkeit" und "Knechtseligkeit" der Eltern zu leiden hat und darum weder mit dem Leben noch mit sich selbst so recht etwas anzufangen vermag - muskuläre Verspannungen und Herzbeschwerden sind die Symptome dieses Leidens, von einer Tendenz zur Schwermut ganz zu schweigen.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 16.07.2005

Ganz aus dem Häuschen ist Rezensent Christoph Schröder von Hans-Ulrich Treichels jüngstem Roman. Und das obwohl "Menschenflug" im Grunde nichts wirklich Neues bereithalte. Zum einen sei die Hauptfigur - ein Akademiker, der sich gefährlich dem Alter nähert, in dem sein Vater gestorben ist, somit verschärften "Zwischenbilanzbedarf" verspürt und seine Familie für ein Jahr verlässt, um in eine Dachkammer zu ziehen - eine ganz und gar typische Treichel-Figur. Zum anderen sei der Roman thematisch verwebt mit früheren Werken. Trotzdem kann Schröder dem Roman viel Gutes abgewinnen und lobt das von Treichel gezeichnete Porträt einer Generation, die an der "unverschuldeten Schicksallosigkeit" des deutschen Wirtschaftswunders leidet. Mit diesem Roman und dank einer wortschöpferischen und "durchhumorisierten Sprache", so das glückliche Fazit des Rezensenten, erweist sich Treichel als Autor, der wie kaum ein anderer unter seinen Zeitgenossen vermag, seinem Leser "so viele wahre Einsichten" zu schenken.
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