Sven Hanuschek

Elias Canetti

Biografie
Cover: Elias Canetti
Carl Hanser Verlag, München 2005
ISBN 9783446205840
Gebunden, 800 Seiten, 22,90 EUR

Klappentext

Die erste Biographie des Nobelpreisträgers Elias Canetti. Sven Hanuschek konnte als einer der Ersten den Nachlass Canettis einsehen und Freunde und Weggefährten befragen. Und so erzählt er das Leben eines Menschen voller Leidenschaft und Energie, der trotz aller Begabung, Beziehungen zu knüpfen, immer ein Einzelgänger blieb. Er erzählt von einem Dichter, dessen Werk quer steht zu den großen Strömungen der Literatur des 20. Jahrhunderts, und er erzählt von einem exemplarischen Schicksal jüdischer Emigration, das vom kleinen bulgarischen Rustschuk nach Wien, Berlin, London und Zürich führte.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 28.07.2005

Als "Labsal" empfindet Dieter Borchmeyer Sven Hanuscheks "vorzügliche" Biografie über Elias Canetti, und er möchte sie am liebsten jedem "als Pflichtlektüre verordnen", der sich mit dem Gedanken trägt, sich an einer Lebensbeschreibung zu versuchen. Einnehmend findet Borchmeyer die Zweifel, die der Verfasser gegenüber seinem eigenen Genre hegt, besonders in Bezug auf den schwer zu fassenden Canetti, der über die erste Hälfte seines Lebens selbst eine Autobiografie veröffentlicht hat. Beeindruckend findet er deshalb, wie glatt der Übergang in die zweite Lebenshälfte vonstatten geht, bei der Hanuschek sich nicht mehr auf Canetti als "Widerlager" stützen kann. In den Kapiteln über Freunde und Bekannte gelängen Hanuschek "einprägsame Porträts", das besondere Lob des Rezensenten gebührt ihm aber für die "voyeurtumsfreie Diskretion", die er über das ganze Buch hinweg bei Freunden wie Affären gleichermaßen einhalte. Hanuscheks Entscheidung, das Werk Canettis in den Mittelpunkt zu stellen, trifft ebenfalls auf Zustimmung. Borchmeyer hält Hanuschek für einen erfahrenen Philologen, der sich mit Fachlatein aber angenehm zurückhält. Nicht zuletzt aufgrund der "eleganten, federnden" Sprache, in der das Buch abgefasst ist, kommt der Rezensent zu dem Schluss, dass selbst der schwierige Canetti "hoch zufrieden" mit diesem Porträt seiner selbst gewesen wäre.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 22.07.2005

Kein Zweifel, Oliver Pfohlmann gehört zu den großen Bewunderern von Elias Canetti, auch wenn er ihn gelegentlich mit Attributen wie Geheim-Genie, Gott-Monstrum oder Menschenfresser belegt. Mal amüsiert, mal bewegt erzählt Pfohlmann, wie Canetti sich weigerte, seiner Bücher zu publizieren, weil er sich seine künstlerische Reinheit nicht beflecken wollte, wie er Frauen verschliss, wie er manipulierte und integrierte und bezauberte. Sven Hanuscheks Biografie verdankt Pfohlmann vor allem die Nachweis, dass Canetti gegenüber sich selbst genauso böse war wie gegenüber anderen. Hanuschek konnte als Erster Canettis freigegeben Nachlass einsehen, "hundert Schachteln voller Materialien, Entwürfe und Verworfenem" (nicht jedoch die Tagebücher, die sind bis zum Jahr 2024 gesperrt). Etwas kontraproduktiv erscheint Pfohlmann, dass Hanuschek seine Biografie so eng an Canettis Autobiografie führt. Denn Hanuscheks Korrekturen an Canettis Selbstdarstellung erscheinen ihm zwar durchaus notwendig, aber sie verleihen der Biografie auch einen recht dokumentarischen Charakter. Canetti-Kenner werden dieses Buch also mit Gewinn lesen, schließt Pfohlmann, Einsteigern könnte dies etwas sperrig erscheinen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 05.07.2005

Rezensent Burkhard Müller hat eine leidenschaftliche Kritik zu einer angeblich leidenschaftslosen Biografie geschrieben. Der Autor habe die zentralen Wesenszüge von Canetti gar nicht verstanden: "maßloser Anspruch, wie der Jehovas", maßlose Liebe und maßloser Hass. Und so käme nur ein "Charakterbild unangemessener Blässe" heraus, das wiederum den Rezensenten zu einer doppelten Tirade gegen den Autor und sein Sujet Elias Canetti animiert. Dieser habe mit seiner vierbändige Autobiografie schon jeden Zentimeter seines Lebens zu göttlicher Größe erhoben und das sei die "Hauptschwierigkeit" für jeden Biografen, erkennt Müller an, aber genau hier müsse man kritisch ansetzen. Wie von einer "heißen Kartoffel" lasse jedoch der Biograf die Finger davon und entschuldige sich damit, dass man einen "Menschen nicht wie einen schlechten Roman rezensieren könne". So komme es auch, so Müller, dass die selbst inszenierte künstlerische Größe Canettis nicht einmal ansatzweise hinterfragt würde. Und vor allem gingen die bösartigsten Pointen in ihrer ganzen herrlichen Größe verloren, und von diesen liefert Burkhard Müller hier einige nach.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 16.04.2005

Als Leitmotiv von Canettis Leben arbeitet sein Biograf Sven Hanuschek das Ungenügen am eigenen Werk heraus. Alle, die nach dem Wurf "Die Blendung" einen weiteren großen Roman von ihm erwarteten - und er selbst zählte auch dazu -, hat Canetti enttäuscht. Im hohen Alter hat der Autor gar den frühen Roman als Irrtum verworfen. Der Biograf folgt ihm darin nicht, betont dennoch, dass es sich bei den im Verlauf von Jahrzehnten entstandenen "Aufzeichnungen" um das eigentliche "Zentralmassiv" und "Hauptwerk" handle. Im Nachlass, in den Hanuschek Einblick hatte, wartet im übrigen etwa ein Zehnfaches des bisher Veröffentlichten. Canetti selbst freilich hat genaue Sperrfristen festgesetzt, um über seinen Tod hinaus mit Neuerscheinungen auf dem Markt präsent zu sein. Der Rezensent Franz Haas ist nicht gewillt, dem Biografen in der Gewichtung der Werke zu folgen - so wenig wie übrigens der Einschätzung von Canetti selbst, der darauf insistierte, seine theoretische Studie "Masse und Macht" sei sein bedeutendstes Buch. Diese Differenzen ändern aber nichts daran, dass Haas die Biografie für sehr "souverän" hält. 

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 13.04.2005

Harry Nutt empfiehlt Hanuscheks dickleibige Biografie als "eine Art Gegengift zu Canettis listigen und verklärenden Selbstauskünften". Es löscht letztere nicht aus, Gott bewahre - nicht umsonst erhielt Canetti für seine autobiografischen Werke den Nobelpreis. Die Biografie leistet mehr: Sie hält den "Lebensroman" Canettis "vor ein aufklärerisches Licht", "ohne der ambitionierten Werkarchitektur ihren Eigensinn zu rauben". Oder auch: "Canetti unplugged". Hanuschek, weiß der Rezensent, hatte Zugang zum Nachlass, der noch unter Verschluss liegt. Und er macht davon guten Gebrauch, indem er sorgfältig Mythen zerlegt, Vorurteile der öffentlichen Rezeption des spät zu Ruhm gelangten Schriftstellers durch eine dichte Lebensbeschreibung ersetzt, die Frauengeschichten aufdrieselt und den "sephardisch-balkanesischen Macho" gar beim Geschirrspülen zeigt. Doch ein Stein, ein gewichtiger, blieb für Nutt auch nach der Lektüre liegen: Canetti ist und bleibt ein "Geheimtipp", dessen Gedankengebäude in keine intellektuelle Großarchitektur so richtig hereinpassen und eher von den Außenseitern besucht werden. Fazit zur Biografie: Hanuschek absolviert eine bravouröse Pflicht - "eine kenntnisreiche Einführung in Canettis Denken und Werk" - und setzt eine krönende Kür obenauf: Dem Leser begegnen neue Gedanken und Erkenntnisse.