Magazinrundschau

Vierundzwanzig Millionen Augenpaare

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
17.05.2016. Aeon tröstet: So schlimm, wie unser Problem mit uns selbst, kann unser Problem mit der Künstlichen Intelligenz gar nicht werden. La Vie des Idées wirft einen Blick auf die Flüchtlingsprobleme der alten Spanier. Warum stört sich die Welt so wenig am Hindunationalismus des indischen Premierministers, fragt die New Republic. Anne Applebaum in Eurozine und Jedediah Purdy in Dissent machen sich ganz unterschiedliche Reime auf das Phänomen Trump.

Aeon (UK), 09.05.2016

Wenn es um Künstliche Intelligenz geht, werfen selbst Technik-Visionäre wie Stephen Hawking, Bill Gates und Elon Musk Schreckensszenarien über denkende, die die Menschheit versklavende Computer an die Wand, stöhnt Luciano Floridi, Professor für Philosophie und Informationsethik in Oxford. Ultraintelligenz, also Künstliche Intelligenz, die die menschliche Intelligenz übersteigt, kann zwar nicht logisch ausgeschlossen werden, sei jedoch höchst unplausibel: "Digitale Technologien können mehr und mehr Dinge besser als wir, da sie auf immer mehr Daten zurückgreifen und ihre Leistung verbessern, indem sie ihren eigenen Output als Input für die nächsten Operationen analysieren. AlphaGo, das von Google DeepMind entwickelte Computerprogramm, besiegte im Brettspiel Go den weltbesten Spieler, indem es auf eine Datenbank mit 30 Millionen Zügen zurückgreifen und seine Leistung in tausenden Partien gegen sich selbst steigern konnte. Es ist wie ein Zwei-Messer-System, das sich selbst schleifen kann. Was ist der Unterschied? Derselbe wie zwischen Dir und einer Spülmaschine, wenn es um den Abwasch geht. Was folgt daraus? Dass jede apokalyptische Vision bezüglich AI getrost verworfen werden kann. Wir, nicht Technologie, sind und werden in absehbarer Zeit das Problem sein."

Dazu passend geht Adrienne Mayor der Frage nach, was Entwickler von Künstlicher Intelligenz aus der griechischen Mythologie lernen können.
Archiv: Aeon

Magyar Narancs (Ungarn), 17.05.2016

Im ungarischen Verlag Jelenkor erscheint eine Werkausgabe des Lyrikers Otto Tolnai, der als Angehöriger der ungarischen Minderheit in der Stadt Palitsch, Vojvodina (Serbien), an der serbisch-ungarischen Grenze lebt. Péter Urfi hat mit ihm gesprochen: "Palitsch ist die Geburtsstadt meiner Frau. Wir zogen dahin, als aus Kroatien und Bosnien die Menschen vertrieben wurden. Der kleinere See dort heißt Blutsee (...). Angesichts des damaligen Mordens entwickelte ich eine Theorie, dass das Blut von überall in Kapillaren dahin fließt. Ich maß jeden Tag den Blutstand... Ich fühlte mich wie ein Held von Stendhal, der auf der Suche nach dem idyllischen Ort durch die Gegend irrt, um sich zurückzuziehen. Und plötzlich steht er doch auf dem Schlachtfeld von Waterloo. Und jetzt passiert es wieder. (...) Eines Tages fielen mir seltsame Gestalten und rege Bewegungen auf, Flüchtlinge. (...). Gerade war ich mit meiner Minderheitenwelt beschäftigt - und fiel dann in die totale Globalität. Hier steht jetzt meine Werkstatt, sagte ich mir, ich bin im Auge und Herz dieser Entwicklung, die ich registrieren will. Nicht als investigativer Journalist oder als politischer Kolumnist, sondern nur als Dichter."
Archiv: Magyar Narancs

New Republic (USA), 01.06.2016

Warum wird Narendra Modi im Westen - und vor allem in den Vereinigten Staaten - so positiv gesehen, fragt sich Siddhartha Deb in einem großen Porträt des indischen Premierministers, dessen hindu-nationalistischer Kurs sich prächtig verträgt mit linken Identitätsdiskursen, kapitalistischer Wirtschaftspolitik und neuesten westlichen Propagandamethoden (Spindoktoren aus UK, Datenanalysten und Werbeprofis aus den USA etc.). Dieser Mischung scheint sich niemand entziehen zu können. Aber auch äußere Umstände spielen eine Rolle, so Deb: Die Ermordung tausender Muslime 2002 in Gujarat, das damals von Modi regiert wurde, "geschah weniger als ein Jahr nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Dies bedeutete, dass die alten Animositen der Hindu-Rechten gegen Muslime, den Islam und Pakistan auf fruchtbaren Boden in den USA fielen, die in Afghanistan und dann im Irak demselben Feind gegenüber standen. Indien war ein Verbündeter in der Wirtschaft und im Krieg gegen den Islamismus, ein Kontrast sowohl zu der überreligiösen antiwestlichen Militanz in Pakistan und den gottlosen Manipulatoren des kapitalistischen Marktes in China. Für viele in der indischen Diaspora und für die Elite in Indien bedeuteten die endlosen Titelgeschichten, Kommentare, Bücher und Filme, die das neue Indien priesen - während der Islam, Muslime und Pakistan regelmäßig als gescheiterte Systeme kritisiert wurden - eine Art Doppelbonus für ihr Selbstbild, es bestätigte sie als Lieblingsinder des weißen Mannes."
Archiv: New Republic

Eurozine (Österreich), 17.05.2016

Sehr lesenswert ist Lukasz Pawlowskis Gespräch mit Anne Applebaum ursprünglich in Kultura Liberalna, auf englisch in Eurozine. Sie stellt das Phänomen Trump in einen internationalen Kontext des überall gedeihenden Populismus und des Wunsches nach Renationaliserung von Politik, der sich etwa in der Brexit-Kampagne ausdrückt. Trump sieht sie auf einer Linie mit anderen Populisten "wie Marine Le Pen und die anderen, die nicht länger an die Nato  glauben, die die traditionellen Alliierten links liegen lassen und die ihr Land aus der Welt zurückziehen wollen. Trump ist nicht der erste Isolationist in der amerikanischen Politik, aber er ist der erste seit sehr langer Zeit, der einen solchen Aufwind erlebt. Isolationismus war in der amerikanischen Politik seit dem Zweiten Weltkrieg immer marginal - aber nun ist er auf einmal ins Zentrum gerückt."
Archiv: Eurozine

Dissent (USA), 04.05.2016

Auch hierzulande wurde Andrew Sulllivans großer naserümpfender Essay über Donald Trump als Frucht einer "Hyperdemokratie", in der die Eliten die Kontrolle verloren haben, mit frommer Miene weiterverlinkt (unser Resümee). In Dissent antwortet Jedediah Purdy sehr polemisch und benennt den reaktionären Kern von Sullivans Argumentation: Die angeblich aus der Demokratie erwachsende Gefahr der Tyrannei, um die sich Sullivan mit Rückgriff auf Platon Sorgen macht, "ist demnach eine Auswirkung von Demokratie auf Politik. In dieser Tradition ähnelt demokratische Kultur einem milden Bild der Warnungen Platons als selbstsüchtig, gierig, eher emotional als vernünftig, getrieben von Hass und einem Ressentiment gegen Eliten... Von diesem Standpunkt hätte Demokratie ein beständiges Problem, das nur durch ein sensibles und selbstreflektiertes Management durch die Eliten zu beherrschen wäre." Purdy kritisiert weiter, dass Sullivan den demokratischen Impuls, der von der Kampagne Bernie Sanders' komme, geringschätze und den Einfluss der Wirtschaft auf die Politik verkenne.
Archiv: Dissent

New York Review of Books (USA), 26.05.2016

Halb angewidert, halb wie das Geständnis eines Süchtigen liest sich Mark Danners Essay über Donald Trump in der New York Review of Books. Eines kann er ihm nämlich nicht absprechen: "Seine Wahlkampfauftritte sind auf verlegen machende Weise unterhaltsam, sie sind eine Art schuldiges Vergnügen." Und Medien, besonders die großen Fernseh-Networks, machen wegen der Werbeeinahmen fleißig mit: "In dem teilweise korrupten politischen System Amerikas dienen die Kandidaten als Kofferträger, die das Bargeld von den großen Unternehmen zu den Networks bringen. Aber Trump hat noch einen anderen Einnahmefluss möglich gemacht. Er ist von allein ein Quotenhit. Wenn Fernsehen die Lieferung von Publikum an Werbetreibende ist, dann hat Trump mehr Publikum geliefert als jeder andere Kandidat es jemals könnte. Vierundzwanzig Millionen Augenpaare bedeuten richtig Geld. Trump bringt solche Zahlen, niemand sonst."

New Yorker (USA), 23.05.2016

In der neuen Ausgabe des Magazins erzählt Jonathan Franzen von einer Reise in die Antarktis. Eine Erfahrung wie ein halbes Jahr auf dem Zauberberg - bei jeder Mahlzeit dieselben Gesichter, nur dass Frau Stöhr durch einen Donald-Trump-Fan ersetzt wurde: "Wo es windgeschützt war, war das Wasser glasklar, und unter einem undruchdringlichen grauen Himmel, erschien es vollkommen schwarz, ursprünglich schwarz, so wie das Weltall. Zwischen all dem Monochromen, dem Schwarz und Weiß und Grau, dann das schrille Gletscherblau. Welche Schattierung es auch immer hatte, den leicht bläulichen Ton der kleinen Eisberge, das intensive Blau der schwimmenden Eisburgen mit Türmen und Bögen oder das styroporene Puderblau der kalbenden Gletscher - meine Augen waren nicht davon zu überzeugen, dass es eine Farbe der Natur war, was sie da sahen. Wieder und wieder lachte ich fast vor Unglauben. Kant hatte das Erhabene mit dem Schrecken in Verbindung gebracht, aber wie ich hier herausfand, aus sicherem Abstand von Bord eines bequemen Schiffes, handelte es sich eher um eine Mischung aus Schönheit und Absurdität."

Außerdem: Sam Knight denkt nach über das Phänomen Jeremy Corbyn und was der Mann in der britischen Politik bewirken könnte. Und Lauren Groff schickt eine Erzählung: "The Midnight Zone".
Archiv: New Yorker

La vie des idees (Frankreich), 17.05.2016

Ein Flüchtlingsproblem gab es in Europa auch schon ab dem 16. Jahrundert nach der religiösen Bereinigung Spaniens, schreibt Isabelle Poutrin mit Seitenblicken auf die aktuelle Debatte in La Vie des Idées. Wie Bevölkerungspolitik per Ausweisung geführt wurde, zeigt sie am Beispiel der Morisken, also zwangskonvertierten ehemaligen Muslimen, die im Jahr 1609 von Philipp III. ausgewiesen wurden: "Überall in Europa waren Ausweisungen minoritärer Gruppen ein Mittel, den sozialen und politischen Körper zu einen. Philipp III. wurde in diesem Fall wohl von dem Wunsch getrieben, sein Bild wiederherzustellen, nachdem er mit den holländischen Protestanten Frieden geschlossen hatte. Indem er die Morisken verjagte, wollte er vor der Nachwelt als Ebenbürtiger der katholischen Könige dastehen, die 1492 die Juden verjagt hatten."

New York Times (USA), 17.05.2016

Das aktuelle Magazin der NY Times geht den Errungenschaften der jüngeren Krebsforschung nach. Der Arzt und Schriftsteller Siddhartha Mukherjee erklärt, wie sich die Onkologie langsam von standardisierten Verfahren verabschiedet: "Onkologen müssen ihr ganzes Wissen, ihren Scharfsinn und ihre Vorstellungskraft aufbringen, um individualisierte Therapien zu entwickeln. Jeder Krebspatient wird zum exklusiven Fall. Giftige Zellkiller werden von delikaten Molekülen abgelöst, die Zellvorgänge aktivieren oder deaktivieren, das Zellwachstum beeinflussen, die immunologische Reaktion be- oder entschleunigen oder die Sauerstoff- und Nährstoffzufuhr steuern können. Das Medikament wird mehr und mehr zum Präzisionsinstrument, das bestimmte Schalter in der Krebszelle umlegt. Die Gesetzmäßigkeiten der Krebstherapie werden neu erfunden. Für den behandelnden Arzt kann das recht unangenehm sein. Er agiert im freien Fall. Die Anforderung ist größer, die Erfolge überraschender, jedes Scheitern persönlicher. Früher konnte ich dem Patienten die Schuld geben, wenn er auf eine Therapie nicht ansprach. Heute bin ich es, der scheitert, wenn es mir nicht gelingt, das richtige Medikament auszuwählen. All das birgt jedoch auch ein Versprechen für den Patienten. Wir behandeln den Krebs nicht mehr mit kruden Standards, die ihn als uniformen Gegner betrachten. Stattdessen versuchen wir, die Persönlichkeit und das Temperament der individuellen Krankheit zu erkennen."

Außerdem: Melanie Thernstrom erzählt von den Qualen und den Überraschungen im Umgang mit Krebs bei einem Kind. Sam Apple berichtet von der alten Idee, Tumore auszuhungern, und ihrer Wiederbelebung. Und Gareth Cook widmet sich Krebspatienten, die auf bestimmte Medikamente ansprechen, obwohl diese bei den meisten anderen völlig wirkungslos sind.
Archiv: New York Times

Guardian (UK), 17.05.2016

Vor eineinhalb Jahren lancierte Facebook sein Projekt Internet.org, das Indien ein Rumpfinternet beschert hätte: Indische Telekom-Betreiber sollten Nutzern freien Zugang zu Facebook und zwanzig weiteren, von Facebook ausgewählten Seiten anbieten. Wer mehr will, soll zahlen. Zum Glück ließen sich die Inder nicht für dumm verkaufen, berichtet Rahul Bhatia. Indiens Öffentlichkeit und viele Unternehmen liefen Sturm gegen diesen Angriff auf die Netzneutralität. Facebook setzte Politiker unter Druck, lancierte gewaltige Werbekampagnen, benannte das ganze in Free Basics um - und manipluierte die Algorithmen: "Jeder Inder, der sich bei Facebook einloggte, wurde mit einer speziellen Botschaft begrüßt: Free Basic ist ein erster Schritt, um eine Milliarde Inder mit den Möglichkeiten des Internets zu verbinden. Ohne Deine Unterstützung könnte es in wenigen Wochen unterbunden werden. Unter der Botschaft forderte ein Button die Nutzer, ihn anzuklicken und eine Botschaft an die Regulierer zu schicken. Als wäre das noch nicht übergriffig genug, beschwerten sich viele Nutzer, dass, selbst wenn sie das abgelehnt hätten, all ihre Freunde eine Nachricht bekommen hätten, sie hätten eben doch geschrieben. Die Empörung über die plumpe Taktik war gewaltig. 'FB listet den Account meines Onkels bei den Unterstützern von Free Basics', postete ein Nutzer, 'Mein Onkel ist seit zwei Jahren tot.'"

Außerdem: Felicitas Lawrence recherchiert, in welch kriminellen Strukturen Arbeitsmigranten in Britannien ausgebeutet werden.
Archiv: Guardian

Guernica (USA), 16.05.2016

Dass Spieler von Videogames Tränen der Rührung und Ergriffenheit vergießen, hört man selten. Doch genau darauf zielen die unabhängig von der Industrie entstandenen, von gängigen Formaten, Tropen und Mechanismen profund abweichenden Spiele des aus China stammenden Entwicklers Jenova Chen ab. Er selbst ordnet seine Spiele daher der Poesie und dem Kino zu und sieht in ihnen ein Mittel, Menschen unabhängig von Sprache, auf deren Einsatz in Schrift und Ton er bewusst verzichtet, miteinander zu verbinden, wie er im Gespräch mit Matthew Baker verrät. Bleibt die Frage, wie durchsetzungsfähig dieses Modell in einer rigoros durchkommerzialisierten Umgebung wie der Spieleindustrie ist. An Anfragen von Studenten, ob seine Firma Leute sucht, hat er jedenfalls keinen Mangel: Denn "viele der boomenden Entwicklerfirmen setzen aufs mobile und soziale Netz. Wenn Studenten dort angestellt werden, dann nicht, um Emotionen, sondern suchterregende Schemata auszulösen. Viele, die dort arbeiten, sind deshalb enorm unglücklich. Die ökonomischen Rahmenbedingungen gestatten es ihnen jedoch nicht, eigene Studios zu gründen. In gewisser Hinsicht fühle ich mich für diese Leute verantwortlich... Mich beschleicht der Eindruck, dass wir im künstlerischen Segment einen kommerziellen Erfolg brauchen. Wenn die Leute, und vor allem Investoren, einen solchen Erfolg beobachten, steigt die Bereitschaft, Geld in künstlerische Projekte zu stecken. ... Pixar ist für mich dafür wahrscheinlich das beste Beispiel."
Archiv: Guernica

Buzzfeed (USA), 13.05.2016

Der Islamische Staat baut seine Internetkompetenzen und -aktivitäten aus, beobachtet Sheera Frenkel. Neben Hacks und dem gezielten Versenden von Malware zur Sabotage missliebiger Wortmeldungen zählt dazu insbesondere auch ein gesteigertes Interesse an Verschlüsselungstechnologien. Wobei entsprechende Artikel in einschlägigen Magazinen bislang bloß eher oberflächliche Kenntnisse und ein naives Vertrauen auf ihre Wirksamkeit verraten, wie im Text zitierte Experten versichern. Bleibt die Frage, ob Verschlüsselung etwa auch bei den Anschlägen in Paris und Brüssel eine Rolle spielten. Aber Experten meinen, "dass es kaum Hinweise auf den Einsatz solch avancierter Technologien zur Verschleierung des kommunikativen Austauschs gibt (ganz im Gegenteil, behaupten sie: Die Angreifer lebten in derselben Wohnung und griffen auf die bewährte Methode mit mehreren Wegwerf-Handys zurück) ... Das Problem bestehe darin, so die Experten, dass selbst verschlüsselte Nachrichten überall Spuren hinterlassen würden. Eine verschlüsselte Mail taucht weiterhin in Mailaccounts auf, bloß ihr Inhalt ist unzugänglich. Solange man über keinen Schlüssel verfügt (oder über Dechiffrier-Technologien mancher Geheimdienste, auch die der USA), zeigen sie lediglich wirre Zeichenketten. Hätten sich die Attentäter von Paris mit verschlüsselten Mails mit ihren Kontakten in Irak und Syrien ausgetauscht, müssten zumindest diese durcheinandergewürfelten Nachrichten vorliegen."
Archiv: Buzzfeed

Wired (USA), 12.05.2016

Für Wired erzählt Kevin Poulsen die wahrhaft filmreife Geschichte, wie der ukrainische Hacker und Datendieb Popov sich in den um 2000 anbahnenden Cyberwars dem FBI stellte, dadurch im Zuge der Operation Ant City in dessen Dienste geriet, um die Behörde Jahre später schließlich selbst zu hacken und dabei auch die Karriere seines einstigen Vertauensmanns Hilbert zu zerstören. "In den Jahren, die auf Ant City folgten, weitete sich der osteuropäische Untergrund explosionsartig vom bloßen Köcheln zu einer Supernova aus. ... Hilberts Arbeit mit Popov war der erste Versuch, dieser Welt tatsächlich beizukommen, auch wenn die Aktion in vielerlei Hinsicht bloß auf eine veraltete Strategie der Strafverfolgungsbehörden zurückgriff. Sobald diese Behörden eine umfassende, kriminelle Maschinerie konfrontieren, versucht sie unausweichlich, diese aus dem Innern heraus zu sabotieren. Um dies zu bewerkstelligen, muss die Behörde ein funktionierender Bestandteil eben jenes kriminellen Apparats werden, den sie zu zerstören versucht. Diese Taktik stellt immer einen heiklen Balanceakt dar - und Ant City war nicht das letzte Mal, dass man sich ins eigene Fleisch schnitt."
Archiv: Wired

London Review of Books (UK), 19.05.2016

Ferdinand Mount, früherer Berater von Margaret Thatcher, knöpft sich die britischen EU-Gegner vor, und zwar mit der ganzen Schneidigkeit eines britischen Konservativen: "Ihr Ansatz scheint eine Version von Napoleons Schlachtplan zu sein: On se dégage et puis on voit", lästert er und fragt, ob sie statt eines Brexit nicht vielleicht doch einen Breturn im Sinn haben: "Vorigen Sommer, einige Monate bevor er sich der Brexit-Kampagne anschloss, warf Boris Johnson die Zwei-Referenden-Idee in den Raum: Wir stimmen unter den gegenwärtigen Bedingungen gegen die Mitgliedschaft, aber dann treten wir nicht, sondern handeln etwas Besseres aus, und in einem zweiten Referendum akzeptieren wir dann die besseren Bedingungen. Selbst als er sich im Februar für den Ausstieg aussprach, schien Johnson immer noch an dieser Linie zu hängen: 'Die EU-Geschichte zeigt', sagte er, 'dass sie nur auf das Volk hören, wenn es Nein sagt'.'"

Sheng Yun, 1980 geboren und als Einzelkind aufgewachsen, bilanziert Chinas Ein-Kind-Politik und erkennt in ihr trotz aller Härte auch einen gewissen, zum Teil jedoch unbeabsichtigten Nutzen, vor allem in Bezug auf die Emanzipation von Frauen.