Magazinrundschau - Archiv

The New York Review of Books

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Magazinrundschau vom 20.02.2018 - New York Review of Books

In der aktuellen Ausgabe der Review beschreibt Enrique Krauze Venezuelas (Lebensmittel-)Krise und beschuldigt Präsident Maduro, der aus Angst vor den Imperialisten handele und die Zucht von Kaninchen anrege: "Ein Drittel der Bevölkerung hängt von importierten Essenspaketen mit Pasta, Reis, Milchpulver und Tunfisch ab. Maduro hat die Verteilung vom Verhalten der Menschen an den Wahlurnen abhängig gemacht. Wer nicht die richtigen Kandidaten wählt, verliert seine Essensmarken. Anstatt die Bolivianische Revolution von Chavez und ihre dickköpfige Statik zu beenden, verlegt sich Maduro darauf, externe Schulden zu bezahlen, den Import von Waren und Dienstleistungen zu beschränken und die Inflation anzutreiben, indem er Geld druckt. Die Menschen müssen wählen zwischen Essen und Medizin. Maduro und seine Anhänger halten die Krise für das Resultat eines Wirtschaftskrieges des US-Imperiums gegen Venezuela. Aber die USA waren stets der Hauptabnehmer des Öls. Verantwortlich sind die Regime Chavez und Madura, die 15 Jahre lang die Einkünfte aus dem profitablen Ölgeschäft vergeudet haben. Maduro ist nicht der glücklose Erbe des Chavismo, sondern sein natürliches Fazit, der Kater nach dem Fest … Eine mögliche Exit-Strategie müsste die sofortige Genehmigung von Lebensmittel- und Medizinimporten beinhalten, den Schuldenabbau und die Stundung der übrigen Verpflichtungen sowie die Öffnung gegenüber Importen. Diese Schritte müssten von radikalen politischen Veränderungen begleitet werden. Maduro müsste freie und faire Wahlen garantieren, politische Inhaftierte freilassen und die Nationalversammlung als einzige legitime Parlamentskörperschaft anerkennen."

Magazinrundschau vom 06.02.2018 - New York Review of Books

In der aktuellen Ausgabe des Magazins lädt der Sänger Ian Bostridge zu einer Reise durch die Geschichte englischer Kirchenmusik. Der Autor gedenkt seiner Zeit als jugendlicher Psalmensänger und sinniert über die Bedeutung von Händels Oratorium "Der Messias": "Zu den ersten Solisten des Stücks gehörte die Schauspielerin Susanna Cibber … eine skandalöse Figur im London des frühen 18. Jahrhunderts. 'Frau, für diesen Gesang seien dir alle Sünden vergeben', soll der damalige Kanzler von St. Patrick in Dublin gesagt haben. Händel war zweifellos von tiefen religiösen Instinkten geleitet, als er das Oratorium schuf. Von der Komposition des Halleluja-Chors sprach er in visionären Worten: 'Als hätte ich den Himmel und den Wahrhaftigen selbst geschaut.' … Und doch zeichnet das Werk im Kern eine unlösbare Dissonanz aus, ein mysteriöser ideologischer Graben, den es auch in Chorstücken von William Byrd und Britten gibt. 'Der Messias' gilt als Oratorium, unterscheidet sich aber von Händels anderen Oratorien, indem es die Geschichte von Christus selbst erzählt, nicht die irgendeines Helden des Alten Testaments. Der Text stammt hauptsächlich aus den Prophetischen Schriften des Alten Testaments über das Erscheinen des Messias. Aber trotz aller Dramatik der Musik dient die Zusammenstellung der Texte einem sehr speziellen ideologischen Zweck, indem sie das 'Mysterium der Gottesfurcht' und die Realität der Fleischwerdung betont. Es handelt sich, zumindest teilweise, um ein anti-deistisches Traktat."

Hier eine Aufnahme des "Messias" mit Christopher Hogwood und der Academy of Ancient Music, 1982 in Westminster Abbey:



Weitere Artikel: Yasmine El Rashidi berichtet aus Ägypten, wo die Leute - selbst ehemalige Aktivisten - unter Sisi in eine Art Apathie gefallen sind: "Wir hätten auch wie die Syrer enden können", wird die allgemeine Enttäuschung über den gescheiterten arabischen Frühling ins Positive gewendet. Michael Tomasky liest zwei Bücher - von Michael Wolff und David Frum - über Donald Trump. Craig Brown vertieft sich in die "Vanity Fair Diaries 1983-1992" von Tina Brown.

Magazinrundschau vom 30.01.2018 - New York Review of Books

In Großbritannien tobt eine Kontroverse über die Frage, ob der britische Kolonialismus all den bedauernswerten Eingeborenen nicht doch viel Gutes gebracht habe. Ausgelöst wurde sie durch einen Text des Politologen Bruce Gilley unter dem Titel "The Case for Colonialism" in der Third World Quarterly (hier als pdf-Dokument) und durch einen Artikel des britischen Theologen Nigel Biggar in der Londoner Times. Kenan Malik nimmt deren Argumente im Blog der NYRB auseinander und kommt auf die Sklaverei und die vielen grausamen Kriege auch des britischen Kolonialismus zu sprechen. Dennoch plädiert er dafür, diese Debatte auch an den Unis zuzulassen, statt - wie viele offene Briefe es verlangten - die Debatte und deren Protagonisten an den Unis auszuschließen: "Der Rat, 'eher zu widerlegen als zu verbieten' ist um so wichtiger, weil der Kolonialismus nicht nur das akademische Leben, sondern eine viel weitere politische Kultur betrifft. Nach einer Meinungsumfrage denken 43 Prozent der Briten, dass das British Empire eine 'gute Sache' war und 44 Prozent, dass man auf den britische Kolonialismus stolz sein könne (verglichen zu 19 Prozent, die das Empire für schlecht halten und 21 Prozent, die den Kolonialismus 'bedauern'). Andere Umfragen haben eine noch größere Zustimmung zum britischen Kolonialismus ergeben. Diese Unterstützung zeigt zumindest teilweise das Fehlen einer großen und ernsthaften Debatte zum Thema. Vor diesem Hintergrund sollten die Argumente Gilleys und Biggars am besten als Anlass zu einer Debatte gesehen werden."

Magazinrundschau vom 23.01.2018 - New York Review of Books

In der New York Review of Books denkt Masha Gessen über Entscheidungen nach: Die Entscheidung als 13-Jährige für das Jüdischsein, die sich gar nicht wie eine anfühlte. Die Entscheidung, von Russland in die USA auszuwandern, die die Eltern für die damals 14-Jährige mit trafen. Und das Gefühl als 15-Jährige, auf einer Tanzparty für Homosexuelle zu erkennen, dass sie eine Wahl hat: Das ist, wer ich sein könnte. "Die Synkope der Emigration bedeutete für mich den Unterschied zwischen der Entdeckung, wer ich war - eine Erfahrung, die ich in den Wäldern bei Moskau [unter jüdischen Sängern] machte - und der Entdeckung, wer ich sein könnte - eine Erfahrung, die ich bei dem Tanz machte. Es war ein Moment der Wahlmöglichkeit und dank der 'Unterbrechung meines Schicksals' [durch die Emigration] war mir das bewusst. Hier trennt sich meine persönliche Geschichte von der amerikanischen Schwulen- und Lesbenbewegung. Letztere gründete darauf, keine Wahl zu haben. Eine Wahl kann man verteidigen müssen - auf jeden Fall muss man bereit sein, sein Recht auf eine Wahl zu verteidigen - während die Behauptung, man sei eben so geboren an die Sympathie der Menschen appelliert oder zumindest an einen Sinn für Anstand. Sie dient auch dazu, die eigenen Zweifel zu besänftigen und zukünftige Optionen auszuschließen. Wir sind meistens zufriedener, wenn wir weniger Wahlmöglichkeiten haben".
Stichwörter: Gessen, Masha, Emigration, Anstand

Magazinrundschau vom 16.01.2018 - New York Review of Books

Es lohnt sich immer, Daniel Ellsberg zu lesen. Der Mann hat in seiner Zeit bei der Rand Corporation ungeheuer viel mitbekommen und ist einfach verdammt intelligent. Was Ellsberg in seinem Buch "The Doomsday Machine" über Geheimhaltungsstufen, verrückte Generäle und die atomaren Strategien von Pentagon und Weißem Haus berichtet, hat Thomas Powers schier umgehauen. Besonders gruselig findet er die Kubakrise, bei der das Exekutivkomitee des Nationalen Sicherheitsrats auf Konfrontation setzte, obwohl ein Krieg nicht in Chruschtschows Sinn liegen konnte: "Das Exekutivkomitee hatte eine Politik betrieben, die seiner eigenen Einschätzung nach mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu zehn zu einem Atomkrieg führen konnte, mit Hunderten von Millionen von Toten. Das ist der entscheidende Punkt an 'Doomsday Machine' und das, was wir von Ellsberg lernen müssen: Anständige Menschen, mutig, intelligent und mit einem aufrichtigen Horror vor dem Krieg, waren bereit, sich bei einer Chance von eins zu zehn auf ein Spiel einzulassen, das Hunderte von Millionen Menschen das Leben kosten könnte. Wofür? 'Ich werde offen sein', sagte der Verteidigungsminister Robert McNamara bei einem frühen Treffen während der Krise zu Präsident Kennedy. 'Ich glaube nicht, dass wir ein militärisches Problem haben ... Wir haben ein innenpolitisches'. McNamara meinte damit, dass sowjetische Raketen in Kuba schlimm aussehen könnten, aber nicht wirklich das militärische Gleichgewicht veränderten. Vielmehr könnten sie so schlimm aussehen - wie er nicht zu sagen brauchte - dass Kennedy die nächsten Wahlen verlieren könnte. Dieser Punkt wurde in all den Jahrzehnten seit 1962 für Ellsberg immer bedeutender. Welche Hoffnung kann es langfristig geben, wenn Präsidenten oder andere Politiker willens sind, so viele Menschen zu töten, um die nächste Wahl zu gewinnen?"

Magazinrundschau vom 02.01.2018 - New York Review of Books

Der palästinensische Autor und Anwalt Raja Shehadeh erzählt ausführlich, wie das Land in Palästina zunächst von der britischen Kolonialverwaltung und dann vom israelischen Staat palästinensischen Bauern weggenommen und dann dem Staat beziehungsweise Siedlungen in der West Bank zugeschlagen wurde. Diese Entwicklung hat sich laut Shehadeh, der in der West Bank lebt, in den letzten Jahren nochmals verschärft: "Straßen sind gebaut worden, die Palästinenser nicht benutzen dürfen. Wenn ich heute in der Hügeln der Westbank umherstreife, gelte ich in den meisten Fällen als einer, der das Land unerlaubt betreten hat. Die Einzäunung des Landes führt zu einem System der Diskriminierung in Bezug auf die natürlichen Ressourcen Land und Wasser, das der Apartheid nahe kommt. Wo früher eine Interaktion zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen möglich war, leben diese nun komplett getrennte Existenzen in dem kleinen Raum, der für sie ungleich aufgeteilt ist."

Magazinrundschau vom 09.01.2018 - New York Review of Books

Die Vertreibung der Rohingyas aus Myanmar reiht sich für Mukul Kesavan in ein politisches Denken, das in Südostasien immer weiter um sich greift und mörderische Gestalt annimmt: Die Hoheit der ethnischen Mehrheit, die bereits in Pakistan, Bangladesch und Sri Lanka gilt und auch Indien allmählich erfasst: "Dieses Denken der Mehrheit behauptet verschiedene Ränge der Staatsbürgerschaft. Die Angehörigen der Mehrheitsreligion oder Mehrheitskultur werden als die wahren Bürger einer Nation angesehen. Der Rest sind Bürger mit freundlicher Genehmigung der Mehrheit, sie sollen sich anständig und respektvoll verhalten. Doch in modernen Demokratien kann eine Duldung kein Ersatz für eine volle Staatsbürgerschaft sein. Sie hält die Menschen in einem Limbo, mit einem chronisch instabilen Status. Eine politische Gemeinschaft, die ihren Minderheiten die volle Staatsbürgerschaft vorenthält, wird diese früher oder später entrechten oder ausweisen, mit eben dem Argument, dass sie, obwohl Bewohner, keine Bürger seien und anderswohin gehörten - nach Indien, Pakistan, Tamil Nadu oder, wie im Fall der Rohingya, nach Bangladesch. Myanmar hat drei Kategorien von Staatsbürgerschaft: Staatsbürger, naturalisierte und assoziierte Bürger. Die Rohingyas sind klassifiziert als Ausländer."

Magazinrundschau vom 18.12.2017 - New York Review of Books

Harvey Weinstein hat in einigen Fällen auch Gewalt ausgeübt, aber meist hat er Frauen eingeschüchtert und manipuliert, hält Laura Kipnis fest. Und viele Frauen haben das mit sich machen lassen, weil Weinstein Macht hatte: nicht über die Person, sondern über ihre Karrieren. Kipnis will den Aufstand gegen die Torwächter des Showbiz nicht geringschätzen, aber sie bleibt auf Distanz zu dieser Celebrity-Revolte, die ausgerechnet von konservativen Frauen bei Fox News eingeläutet wurde: der Moderatorin Megyn Kelly und der früheren Miss America Gretchen Carlson, die erfolgreich gegen Roger Ailes geklagt hatten: "Das Patricharchat hat kein stehendes Heer (auch wenn einige Feministinnen meinten, Vergewaltiger seien dessen Kampftrupp), doch es hat kulturelle Institutionen wie den Sender Fox, der dessen Werte und Normen verbreitet. Egal ob der hochgesinnte linke Intellektuelle, der seine weiblichen Untergebenen anhält, engere Kleider zu tragen, tatsächlich Fox sieht - oder der nerdige Boss eines Public Radio, der einer Frau ungefragt die Zunge in den Mund steckte oder der dickliche Kommentator, der seine Erektionen herumzeigt -, Fox kulturelles Wirken besteht darin, ein bestimmtes Bild von weiblicher Empfänglichkeit zu verbreiten, das diese Männer teilen. 'Sexuelle Belästigung gedeiht in einer Atmosphäre, die Frauenrechte nicht würdigt', schreibt Carlson. Stimmt. Aber bei der körperlichen Selbstbestimmung geht es nicht nur ums Grapschen, es geht auch um den Zugang zu Verhütungsmitteln und das Recht auf Abtreibung, und hier sind die Frauen von Fox, so entschlossen sie sich auch gebärden, als Verbündete echter Mist."

Robert Kuttner rühmt Gareth Dales "A Life on the Left", eine Biografie, des ungarischen Wirtschaftswissenschaftlers Karl Polanyi, der in der "Großen Transformation" die immensen Umwälzungen des Kapitalismus im 19. Jahrhundert nachgezeichnet hatte: "Karl Polanyi glaubte, dass die einzigige Möglichkeit, die destruktive Wirkung des organisierten Kapitals und seine Ultra-Marktideologie politisch zu zügeln, in einer hochmobilisierten, klugen und gebildeten Arbeiterbewegung bestand. Er berief sich dabei nicht auf die ökonomischen Theorien von Marx, sondern auf  das erfolgreichste Experiment des städtischen Sozialismus in Europas Zwischenkriegszeit: das rote Wien, in dem er als Wirtschaftsjournalist in den zwanziger gearbeitet hatte. Und eine Zeit lang hatte der gesamte Westen eine egalitäre Form des Kapitalismus errichtet, die sich auf die Stärke des demokratischen Staates und der Arbeiterbewegungen stützte. Aber seit der Ära von Margaret Thatcher und Ronald Reagan sind diese Gegenmächte zerschlagen, mit vorhersehbaren Ergebnissen."

Weiteres: Ferdinand Mount gruselt es vor Rüdiger Safranskis Goethe-Biografie, die dem Dichtergenie als Superman huldigt, um nicht zu sagen Übermensch. Jackson Lears liest Mike Wallaces Geschichte New York Citys von 1898 bis 1919. Richard Holmes Julian Bell besucht eine David-Hockney-Ausstellung in der Tate Britain. Und J.M. Coetzee erzählt von "Lügen".

Magazinrundschau vom 28.11.2017 - New York Review of Books

Als dunkle Unterströmung zieht sich der Ku-Klux-Klan durch die amerikanische Geschichte: Sehr aufschlussreich und klug findet es Adam Hochschild, wie Linda Gordon in ihrem Buch "The Second Coming of the KKK" die Expansion des Klans in den zwanziger Jahren beschreibt, als er es auf vier Millionen Mitglieder brachte. Denn mit seiner Kombination aus Rassismus, Populismus und Geschäftemacherei bediente er sich der gleichen Instinkte wie heute Donald Trump, und nichts brachte ihm mehr Zulauf ein als die Verachtung der liberalen Medien. Und weiter erzählt Hochschild: "Der Gründer des reinkarnierten Klans von 1915 war ein Arzt aus Atlanta namens William Joseph Simmons, der fünf Jahre später an zwei ausgewiesene PR-Profis geriet: Elizabeth Tyler und Edward Young Clarke. Um mehr Mitglieder zu gewinnen, überzeugten sie ihn, Juden, Katholiken, Einwanderer und städtische Eliten mit auf die Schwarze Liste zu setzen. In den nächsten Jahren führten Tyler und Clarke de facto den KKK, als zwei Bannons für den Trump'schen Simmons. Die beiden hatten einen Vertrag, der ihnen achtzig Prozent der Beiträge und anderer Einnahmen von neuen Mitgliedern zusprach. Vermutlich haben sie in den ersten fünfzehn Monaten ihres Jobs 850.000 Dollar eingenommen - was heute elf Millionen Dollar entspräche. Das ganze Unternehmen war auf Kommissionsbasis organisiert: Alle Anwerber, die Kleagles, bis zu den höheren Rängen (King Kleagles, Grand Goblins und andere) behielten einen Prozentsatz der Beitrittsgebühr (von zehn Dollar, heute 122) und der monatlichen Mitgliedsbeiträge. Die Bewegung war enorm lukrativ. Linda Gordon spricht den Erfolg vor allem Elizabeth Tyler zu: 'Die Organisation wäre auch ohne diese getriebene, forsche, korrupte und unternehmerische Frau gewachsen, aber nicht so.' Über die anderen Frauen im Klan, etwa die 'Ladies of the Invisible Empire', notiert Gordon trocken: 'Leser sollten den Glauben ablegen, dass Frauen in der Politik freundlicher, sanfter und weniger rassistisch als Männer sind."

Magazinrundschau vom 21.11.2017 - New York Review of Books

Timothy Garton Ash erklärt dem internationalen Publikum den Erfolg der Rechtspopulisten in Deutschland und stellt die Führungsriege der AfD vor: die "schrille und unangenehme" Beatrix von Storch, die in der Schweiz residierende Bankerin Alice Weidel, und den Altkonservativen Alexander Gauland, der in seinen Tweed-Jackets "so englisch aussieht, dass er einfach deutsch sein muss". Anders als in den USA und Großbritannien geht es hier nicht um ökonomische Ungleichheit, meint Garton Ash, sondern um eine Ungleichheit der Aufmerksamkeit. "Es ist die Kultur, nicht die Ökonomie, Flachkopf!" Und dann kommt er auch auf Rolf Peter Sieferles Buch "Finis Germania" zusprechen: "Dass der Spiegel Sieferles Buch einfach von seiner Bestseller-Liste verschwinden ließ, ist das extreme Beispiel eines im zeitgenössischen Deutschland verbreiteten Vorgehens. Wer einen bestimmten Punkt überschreitet, der als rechts oder antisemitisch angesehen werden könnte, wird aus der respektablen Gesellschaft ausgeschlossen und mit einem leuchtend roten - oder eher braunen - Buchstaben gebrandmarkt. Nazi-Insignien, Holocaust-Leugnung und Volksverhetzung sind gesetzlich verboten (was Facebook gerade erfahren muss), aber es gibt auch eine breitere gesellschaftliche, kulturelle und politische Durchsetzung von Tabus. Viele würden sagen, dass dies entscheidend zu einer Politik der Mitte und zivilisierten Debatte in Deutschland beigetragen hat. Ich weiß, dass viele junge Deutsche diesen Ansatz aus vollem Herzen unterstützen. Fände es der Rest der Welt etwa besser, wenn Deutschland nicht jedes Anzeichen einer Wiederkehr des Schlimmsten, was die moderne Menschheit hervorgebracht hat, mit einem Tabu belegte? Doch dieser Ansatz fordert seinen Preis, und der Wahlerfolg der AfD zeigt, dass der Preis steigt. Sieferles 'Finis Germania' ist das späte, unbedeutende Werk eines traurigen, verwirrten und doch unbestreitbar großen Geistes. Nur zu sagen: 'Rechts, antisemitisch, revisionistisch - fort mit Dir, Satan, und raus aus der Bestseller-Liste!', ist eine beklagenswert unzulängliche Reaktion. Sieferle mit einem Tabu zu belegen, bestätigte tatsächlich seine Behauptung, dass es dieses Tabu gibt, also etwas, das außerhalb des rationalen Diskurses gestellt wird."

Besprochen werden außerdem Masha Gessens Russland-Buch "The Future Is History" (dem Robert Cottrell allerdings einen etwas lockeren Gebrauch des Totalitarismus-Begriffs vorwirft) und Karl Ove Knausgards Kataloge und Essays für Munch-Ausstellungen in Oslo, San Francisco und New York .