Vergangene Woche verglich der Autor und Aktivist
Jean Ziegler im
FR-Interview die Flüchtlingscamps auf der griechischen Insel Moira mit
Konzentrationslagern (unser
Resümee). Auch die New Yorker Kongress-Abgeordnete
Alexandria Ocasio-
Cortez bezeichnete kürzlich die
Flüchtlingszwischenlager an der Südgrenze der USA als "Konzentrationslager" - und löste eine heftige Debatte in den amerikanischen Medien aus. Mit Blick auf die
Geschichte der Massenlager, die Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge der Massenproduktion von Stacheldraht und Maschinengewehren auftraten und erstmals im kubanischen Unabhängigkeitskampf gegen Spanien eingesetzt wurden,
findet die Historikerin Andrea Pitzer den Begriff nicht nur legitim, sondern spricht auch von einem neuen "
Konzentrationslagersystem" in den USA. Sie befürchtet eine
Institutionalisierung der Lager wie in Guantanamo und verweist auf die Zustände: "Am 11. Juni entdeckte ein Universitätsprofessor mindestens 100 Männer hinter Maschendrahtzäunen in der Nähe der Paso del Norte-Brücke in El Paso, Texas. Diese Häftlinge berichteten, sie hätten wochenlang draußen gesessen, bei
Temperaturen von über 38 Grad. Taylor Levy, ein Anwalt der Einwanderungsbehörde in El Paso, berichtete, er sei in eine Einrichtung gegangen und habe "'
einen vierjährigen Selbstmörder entdeckt, dessen Gesicht mit blutigen, selbst zugefügten Kratzern übersät war… Ein weiteres Kleinkind musste von seiner Mutter festgehalten werden, weil es mit Vollgas gegen Metallschränke rannte. Er war voller Blutergüsse.' Wenn die Entscheidung, was mit dieser wachsenden Zahl von Erwachsenen und Kindern, die in den USA Zuflucht suchen, zu tun ist, auf einer komplexen humanitären Politik und internationalen Gesetzen beruht, an denen die meisten Amerikaner kein großes Interesse haben, stellt sich eine einfache Frage: Was genau sind diese Lager, die die Trump-Regierung eröffnet hat, und wohin führt dieses Programm der Masseninhaftierung?"
Es geht in der Debatte nicht um die Begrifflichkeit,
meint Masha Gessen auch im
New Yorker: Es ging Ocasio-Cortez vielmehr darum,
das Unvorstellbare vorstellbar zu machen: "Der Holocaust und der Gulag sind solch ungeheuerliche Ereignisse, dass allein die Vorstellung, sie zu relativieren, ebenfalls ungeheuerlich erscheint. Das mcht sie allerdings auch unvorstellbar. Indem wir die Geschichte zu etwas erklären, das nie hätte passieren dürfen, schmieden wir sie zu etwas, das nicht passieren konnte. Der logische Fehlschluss wird unvermeidlich. Wenn etwas nicht passieren darf, dann ist das, was passiert, eben nicht dieses etwas. Was wir im wahren Leben sehen, oder zumindest im Fernsehen, kann unmöglich
dasselbe ungeheuerliche Phänomen sein, vom dem wir kollektiv beschlossen haben, dass es unvorstellbar ist."