Magazinrundschau - Archiv

The Guardian

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Magazinrundschau vom 18.08.2020 - Guardian

Wenn alle über Hautfarbe sprechen, müsste dies eigentlich auch mal die Dermatologie tun, meint der Arzt Neil Singh und erzählt etwas beschämt, wie er bei einem Patienten eine ganz gewöhnliche Schuppenflechte nicht erkennen konnte, weil der Mann schwarze Haut hatte: "Wenn ich an meine Ausbildung als Dermatologe zurückdenke, fallen mir nur drei Gelegenheiten ein, bei denen mit Hilfe schwarzer Haut ein medizinisches Problem demonstriert wurde: Einmal um zu zeigen, wie schwarze Haut in dicken, Keloide genannten Streifen heilt; einmal bei einer Sitzung zu Syphilis und anderen genitalen Geschwüren; und einmal in einer Präsentation zur Pigmentstörung Vitiligo. Dunkle Haut wird immer nur benutzt, um dermatologische Raritäten zu demonstrieren, niemals im Basis-Unterricht über gewöhnliche Erkrankungen. Ich bin nicht der einzige, dem dieser Mangel in der medizinischen Ausbildung auffällt. Im Juni schrieb der kanadische Medizinstudent Michael Mackley auf Twitter in einem vielfach zitierten Thread, wie wenig vorbereitet er darauf wurde, Hautveränderungen bei schwarzen Menschen zu erkennen: 'In einem System, das ganz auf weißer Haut beruht, sind viele Patienten auf sich gestellt', schrieb er. Noch beunruhigender erscheint mir, dass mir mein eigenes Unwissen niemals aufgefallen ist. Und das obwohl ich selbst farbig bin." Und übrigens sei Bob Marley an einem Melanom gestorben, das bei Schwarzen relativ häufig vorkommt, das die Dermatologie damals aber nicht erkennen konnte."
Stichwörter: Dermatologie, Hautfarbe

Magazinrundschau vom 11.08.2020 - Guardian

Nach dem Tod und der Einäscherung seines zoroastrischen Großvaters hat sich Shaun Walker auf die Spuren jener alten und geheimnisumwitterten Religionsgemeinschaft begeben, die in Indien als Parsi bekannt sind, aber an Zahl beständig abnehmen. In Mumbai konnte er sich sogar in eine Tour mit Khojeste Mistree schmuggeln, dem intellektuellen Kopf der orthodoxen Parsi: "Während wir durch das Grün zu den beiden Dakhmas spazieren, die zur Zeit als Totenstätten genutzt werden, schwärmt Mistree von dieser Methode der Totenbestattung: 'Es ist die beste und umweltfreundlichste Art, die Toten zu beseitigen', sagt er und erklärt, dass es verhindere, die Erde mit den bösen Geistern des Toten zu verschmutzen. Mistree berichtet, dass in der runden Steinstruktur eines Dakhmas mehr als 250 Leichen aufbewahrt werden könnten. Wenn die Leichen völlig verwest sind, schieben Leichenträgern sie von den Platten am Rand in das Loch in der Mitte, was wir allerdings wegen der hohen Mauern nicht sehen können. 'Sie stehen hier direkt neben einem Dakhma, und was riechen Sie?', fragt Mistree mit seiner unverwechselbaren Stimme, die Nuancen eines Bombay-Näseln in die aufsteigenden Kadenzen eines Oxford-Dons tröpfeln lässt: 'Genau. Nichts. Was die Zeitungen auch für Gerüchte über verrottende Leichen verbreiten mögen, das ist alles Unsinn.' Bis in die achtziger Jahre waren hungrige Geier in die Dakhmas gestürzt und hatten die Körper der toten Parsi in wenigen Tagen sauber abgenagt. Innerhalb einer Dekade starben die Vögel aus, vor allem wegen des häufigen Gebrauchs von Diclofenac, eines Schmerzmittels, das an Rinder verfüttert wurde und die Geier vergiftete, wenn die sich über die Kadaver hermachten... 'Es tut mir leid, das sagen zu müssen, erklärte Mistree in einem bemerkenswert ungerührten Ton, 'aber Paris, die sich einäschern lassen, kommen in die Hölle."

Magazinrundschau vom 04.08.2020 - Guardian

Im vierten Teil einer sechsteiligen Serie über Sozialwohnsiedlungen in Melbourne erzählen James Button und Julie Szego von der Kluft zwischen afrikanischen Einwanderern der älteren Generation und den Jüngeren, die oft in Australien geboren wurden. Nor Shanino und sein Freund Ahmed Dini versuchen, zwischen den Generationen zu vermitteln. Während die Älteren sich erinnern, was für grauenvolle Zustände teilweise in ihren Heimatländern herrschten, sind die Jüngeren oft überzeugt, Australien sei die Hölle, aus der sie nie in den Himmel der Weißen aufsteigen können. Mit der Realität hat das weniger zu tun als mit amerikanischen Vorbildern, stellen Shanino und Dini fest: "'Anstelle von lokalen Identitäten nehmen junge Menschen oft eine globale schwarze Identität an', sagt Nor. Der Aufstieg von Black Lives Matter in Australien ist ein markantes Beispiel. 'Viele junge Leute in der Sozialwohnsiedlung kleiden sich, reden, gehen genau wie Afroamerikaner. In jüngster Zeit ist es der britische Rap. Sie mischen amerikanischen und britischen Slang. Als wir aufwuchsen, benutzten wir australische Terminologie, australischen Slang'. Die Online-Welt treibt diese Veränderungen voran. ... ... 'Für sie ist von klein auf alles global. Dies geschah in Amerika. Dies geschah in Finnland. Sie sind in einer globalen eritreischen Jugenddiskussionsgruppe online - mit Jugendlichen in ihrem Alter und mit ihrem eigenen Hintergrund, die aber keine Ahnung haben, was sozialer Wohnungsbau ist. Oder sie lesen von einer Schießerei in Amerika oder von etwas, das in Südafrika passiert ist, und sie sagen: Seht ihr, das passiert überall, so ist die Welt. Und ich sage: Moment mal, man kann nicht etwas aus einem völlig anderen Ökosystem nehmen und es über Melbourne stülpen, ist das euer Ernst? Man erschafft neue Dinge, die nicht wirklich existieren.'"

Matthew Taylor erzählt in einem nicht gerade von allzu kritischem Geist angekränkelten Riesenartikel die Geschichte der Protestbewegung Extinction Rebellion, um die es nur scheinbar ein wenig still geworden ist. Für September hat die Bewegung Protestaktionen vor dem Westminster Palace angekündigt, wo das Parlament gezwungen werden soll, über die apokalyptische Agenda der Gruppe zu beraten. Taylor behauptet, dass sich die Gruppe von der Coronakrise, die die Klimafrage verdrängt hat, dennoch bestärkt fühlt, weil sie zeige, dass es möglich ist, die Wirtschaft stillzulegen: "Im Lauf des Sommers wuchs dieses Gefühl politischen Potenzials als die Black Lives Matter-Proteste weltweit explodierten und Millionen von Menschen auf die Straße gingen, um grundlegende Änderungen der Polizeiarbeit und ein Ende des strukturellen Rassismus zu fordern. Laut der Aktivistin Zoë Blackler haben die Krisen des Jahres 2020 'unterstrichen, dass Klimawandel, strukturelle Ungleichheit und Rassismus alle die gleiche Wurzel haben, und das ist unser globales Finanzsystem'." Man hat allerdings auch zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Klimabewegung vorwiegend weiß ist und auch dazu die entsprechende Prosa entwickelt: "Am 1. Juli gab XR eine Erklärung ab, in der man sich für frühere Fehler entschuldigt: 'Wir erkennen, dass unsere Taktik, Festnahmen zu provozieren, die Beteiligung privilegierter Menschen erleichterte und dass unsere Verhaltensweisen das System der white supremacy bestärkten. Dafür entschuldigen wir uns.'"

Der Gründer und Charismatiker der Bewegung Roger Hallam hat sich übrigens aus dem direkten Stab zurückgezogen und eine Partei namens "Beyond Politics" gegründet, mit der er die "genozidale Regierung" zu Fall bringen und das "schlimmste Verbrechen in der Geschichte der Menschheit" bekämpfen will.

Magazinrundschau vom 14.07.2020 - Guardian

Chika Oduah porträtiert die Nigerianerin Aisha Wakil, die einige der heutigen Boko-Haram-Kämpfer als Jungen kannte und seit Jahren versucht ihren Einfluss zu nutzen, entführte Frauen und Mädchen, meistens Christinnen, zu befreien. "Im Laufe der Jahre war Boko Haram bekannt geworden für die Entführung von Frauen und Mädchen. Der berüchtigtste Fall ereignete sich 2014, als seine Kämpfer 276 Schulmädchen aus einer weiterführenden Schule in dem abgelegenen Dorf Chibok entführten. Aber es gab Entführungen vor Chibok und Dutzende danach. Einige der Gefangenen wurden gezwungen, Selbstmordattentäterinnen zu werden: Boko Haram hat über 460 weibliche Selbstmordattentäterinnen eingesetzt, mehr als jede andere terroristische Gruppe in der Geschichte. Das Teenagermädchen, über das Wakil und Usman diskutierten, war eines der jüngsten Opfer der Gruppe. Seit Monaten hatte Wakil die Boko Haram-Kämpfer um ihre Freilassung gebeten." Wie das im Ergebnis ausging, erfahren wir nicht. Oduah scheint das Mädchen ganz vergessen zu haben und konzentriert sich im Laufe ihrer Reportage auf Wakils Kampf um ihre "Jungs", die sie von Boko Haram wegzulotsen trachtet. "Es ist schwer zu sagen, wer den Krieg gewinnt, aber die Jungs von Wakil sterben, bevor sie sich überhaupt ergeben können. Einige Tage nachdem Ali Garga getötet wurde, rief mich Wakil in ihr Schlafzimmer, um alte Videos von ihm anzusehen. Es war Nacht, und ich saß auf der flauschigen rosa Bettdecke neben Wakil und sah auf das Tablet in ihren Händen. Auf dem Bildschirm waren Garga und seine Frau zu sehen, ein Gewehr über ihre Schulter geschlungen. Sie tanzten auf einer Waldlichtung. Überall um sie herum tanzten schwerttragende Mudschaheddin mit Frauen, Schulter an Schulter, hin und her schiebend. Alle strahlten. Unter einem hellen Himmel tanzte Boko Haram."

Magazinrundschau vom 07.07.2020 - Guardian

2016 stand noch Facebook im Verdacht, politische Manipulationen, Fake News und Verschwörungstheorien zu begünstigen und zu beschleunigen. Längst - und nicht erst seit Telegram-Superstar Attila Hildmann - ist das Problemfeld in die Messenger-Gruppen abgewandert, wo sich Menschen in Echokammern radikalisieren, gegenseitig bestärken und mit Verschwörungstheorien vor der Wirklichkeit abschirmen. Aber macht es denn wirklich einen Unterschied, wo die Leute andocken? Facebook, WhatsApp - gibt es da einen Unterschied (davon mal ganz abgesehen, dass letztere zu ersteren gehören)? Ja, meint William Davies in einem sehr informativen und umfassenden Longread: Gerade die Überschaubarkeit von WhatsApp-Gruppen - ab 256 Personen ist Schluss - und die Möglichkeit, in nicht mehr nachvollziehbaren Nachrichtenketten von einer Gruppe zur anderen Bilder, Links und Videos zu verteilen, machen WhatsApp anfällig für gruppenpsychologische Dynamiken. "Gesellschaftliche Institutionen sind zum Teil auch dadurch herausgefordert, dass von einem miteinander geteilten Gefühl der Entfremdung und der Passivität ein sonderbarer emotionaler Trost ausgeht. 'Man hat uns nie informiert', 'niemand hat uns gefragt', 'man ignoriert uns'. Solche Sätze bestimmen den politischen Zeitgeist. Im Zuge dessen, dass WhatsApp zusehends die Art und Weise wurde, wie Leute auf Informationen und Nachrichten stoßen, mag ein Teufelskreis entstehen: Die öffentliche Welt wirkt nur noch entfernter, unpersönlicher und fabrizierter und die private Gruppe wird mehr und mehr zum Ort der Sympathie und Authentizität. Das ist eine neue Wende in der Entwicklung des Internets als Ort gesellschaftlichen Geschehens. Seit den 90ern kam mit dem Internet das Versprechen von Anschluss, Offenheit und Inklusion, nur um sich dann mit unausweichlichen Bedrohungen für die Privatsphäre, Sicherheit und Identität konfrontiert zu sehen. Im Gegensatz dazu steigern Gruppen das Sicherheitsempfinden und vermitteln das Gefühl, fest verankert zu sein. Zugleich helfen sie, die Zivilgesellschaft weiter in separate Cliquen zu fragmentieren, die nichts voneinander wissen."

Magazinrundschau vom 30.06.2020 - Guardian

Russlands Geheimdienste können noch immer auf der ganzen Welt töten und sie können auch Demokratien durch Desinformationen und Hetze im Internet destabilisieren. Trotzdem sieht Luke Harding den GRU in einem blamablen Zustand. Dass sich die mutmaßlichen Mörder von Sergej Skripal erst von den Bellingcat-Rechercheuren identifizieren ließen und dann auch noch in einem peinlichen Interview quasi selbst entlarvten, zeigt Harding zufolge, dass der Geheimdienst für die digitalen Zeiten nicht gewappnet ist: "Der moderne GRU organisiert seine verdeckte Operationen noch immer nach dem alten sowjetischen Handbuch. Aber diese analogen Plots finden heute in einer digitalen Umgebung statt. GRU-Offiziere verdienen sich ihre Sporen im einst sowjetischen Ausland - in Tadschikistan, Moldawien oder der Ukraine, wo sie weder Kameras noch die CIA zu fürchten hatten. Westeuropa ist anders. Britannien ist eine Festung der Gegenspionage. Das Land hat CCTV an jeder Straßenecke, in Bahnhöfen, Hotellobbies und Flughäfen. Jeder Passagier, der mit einem Flieger aus Moskau in Britannien landet, wird registriert und gefilmt. Eine Einreise-Datei ist für alle westlichen Geheimdienste einsehbar. Auf der anderen Seite werden auf russischen Märkten massenweise behördeninterne Informationen verkauft: private Adressen, Zulassungsregister, Telefonverzeichnisse und andere Datenbanken. Für achtzig Pfund kann man die Register der Verkehrspolizei kaufen. Mit den richtigen Kontakten und einem bescheidenen Barbetrag war es sogar möglich, Zugang zu den nationalen Reisepass-Dateien zu bekommen. Paradoxerweise macht diese Korruption auf niedrigem Niveau Russland zu einem der offensten Länder der Welt. Korruption ist die Freundin des investigativen Journalismus und die Feindin militärischer Regierungsgeheimnisse."

Magazinrundschau vom 19.05.2020 - Guardian

Bisher gab es in den USA noch Bedenken gegen Telegesundheit, Online-Unterricht und Smart Cities, aber die Geschwindigkeit, mit der jetzt Google und Co. die Pandemie für sich nutzen, macht sogar Naomi Klein fassungslos. Gerade hat New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo Googles ehemaligem Chef Eric Schmidt grünes Licht für eine Art Screen New Deal gegeben, den Schmidt schon seit Monaten in einschlägigen Lobby-Zirkeln vorantreibt: "Herzstück dieser Vision bildet die nahtlose Integration der Regierung mit einer Handvoll Giganten des Silicon Valley - mit dem Ziel, das öffentliche Schulen, Krankenhäuser, Arztpraxen, Polizei und Militär allesamt - zu einem hohen Preis - einen Großteil ihrer Kernaufgaben an private Tech-Firmen ausgliedern sollen... Das Electronic Privacy Information Center (Epic) gelangte kürzlich dank einer Anfrage über den Freedom of Information Act an die Folien, die Schmidt bei einem solchen Treffen präsentierte. Diese Folien stellen einige alarmierende Behauptungen darüber auf, wie in China lockere Regulierung und eine maßlose Überwachung dazu geführt hätten, dass das Land die USA in mehreren Bereichen überholt habe: bei 'Künstlicher Intelligenz in der Medizin', selbstfahrenden Autos, digitaler Infrastruktur, Smart Cities, Ride-Sharing und bargeldlosem Handel. Für Chinas Vorsprung gibt es Myriaden von Gründen, zu ihnen zählen die schiere Masse der Konsumenten, die online kaufen;  das Fehlen eines traditionellen Bankensektors in China, was dem Land erlaubte, Bargeld und Kreditkarten zu überspringen und einen 'riesigen E-Kommerz und digitalen Dienstleistungsmarkt' zu entfesseln, auf dem digital gezahlt wird; ein gravierender Arztmangel, der die Regierung dazu brachte, eng mit Tech-Firmen wie Tencent zusammenzuarbeiten, um KI für die medizinische Prognostik zu nutzen. Schmidts Folien bemerken, dass es Tech-Firmen in China mit Behörden zu tun haben, die ihnen schnell regulatorische Hindernisse aus dem Weg räumen, während amerikanische Initiativen von Gesundheitsschutz und Arzneimittelüberwachung aufgehalten würden. Vor allem aber erklärt sich Schmidt Chinas Vorsprung mit der Bereitschaft zu Public-Private-Partnership bei Massenüberwachung und Datensammeln. Die Präsentation preist die 'explizite Unterstützung der Regierung und ihr Engagement in der Gesichtserkennung'. Und sie erklärt, dass 'die Überwachungsindustrie eine der ersten und besten Kunden für KI' sei. Und: 'Massenüberwachung ist eine Killer-App für maschinelles Lernen."

Magazinrundschau vom 21.04.2020 - Guardian

Indonesien war schon immer das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung, aber es war eigentlich nie ein "muslimisches Land", sondern eines mit sechs Religionen und unterschiedlichen Ethnien. Das hat sich mit dem Einfluss und dem Geld aus Saudi-Arabien geändert, berichtet Krithika Varagur, wie etwa Aufstieg und Fall des islamistischen Klerikers Rizieq Shihab zeigte: Shihab jagte Jakartas christlichen Gouverneur Ahok aus dem Amt und ließ ihn wegen Blasphemie ins Gefängnis stecken, allerdings musste er sich kurz darauf nach einem Skandal um sexuelle Belästigung nach Mekka absetzen. Hauptinstrument der saudischen Missionierung - der dawa - ist in Indonesien die Lipia Universität in Jakarta: "Lipia ist der sichtbarste Außenposten der saudischen Dawa, und einer ihrer größten Erfolge weltweit. Die Universität mit eigenem Gebäude und Campus wird komplett von der saudischen Botschaft verwaltet. Die Webseite der Universität lockt Bewerber mit kostenlosem Zugang, monatlichem Stipendium und der Möglichkeit, weiterführende Abschlüsse in Saudi-Arabien zu erwerben. Der Unterricht findet auf Arabisch statt. Auf dem ganzen Campus ist kaum indonesische Schrift sichtbar, nicht mal auf Hinweisschildern. Es gibt Studentinnen, aber sie lernen von den Studenten getrennt in einem anderem Geschoss und sehen die Vorlesungen auf Video, die aus den Sälen der Männer weiter unten live gestreamt werden."

Magazinrundschau vom 14.04.2020 - Guardian

Stephen Buranyi rekapituliert das Agieren der WHO in den vergangenen Jahrzehnten, das Auf und Ab seit der weltweiten Eliminierung der Pocken, die Erfolge unter Gro Harlem Brundtland, die so energisch Sars bekämpfte, und das große Versagen unter Margret Chan, die Ebola in Westafrika ungehindert wüten ließ. Ob der jetzige Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus China zu sehr hofiert hat, als er dessen Politik lobte, mag Buranyi nicht entscheiden: "Wenn die WHO glaubte, sie könnte problemlos ein bisschen von ihrer Glaubwürdigkeit opfern - und Chinas grobe Fehler im Dezember und Januar übersehen -, hat sie sich jedenfalls getäuscht." Doch der Bedeutungsverlust der WHO macht Buranyi zu schaffen: "Die WHO kämpft gegen einen Zusammenbruch der internationalen Kooperation, der ihre Möglichkeiten übersteigt. 'Die Regierungen haben sich auf nationale Politiken zurückgezogen, und dieses Problem ging der Krise voraus', sagt Gesundheitsforscherin Clare Wenham. Die Staaten haben sich vor langer Zeit von den internationalen Institutionen zurückgezogen. Die WHo hat die Globalisierung nicht in der Art vorangetrieben wie die WTO oder der IWF, aber sie hat sie vollzogen - und dabei stillschweigend die Hoffnung geweckt, die Epidemien in den Griff zu bekommen, die in einer industrialisierten und vernetzten Welt aufkommen können. Und sie hat sich auf die unausgesprochenen Normen von internationaler Zusammenarbeit verlassen, die dem zugrunde liegen. Ironischerweise ist diese so nötig wie nie zuvor, da das Vertrauen in die anderen Sachwalter der globalen Ordnung schwindet - ein Trend, den Covid-19 nur beschleunigt. 'Man sieht, wie die WHO immer unbedeutender wird, sagt Wenham. 'Niemand denkt mehr daran, die globalen Zahlen zu reduzieren, immer nur die eigenen. Die WHO ist eine globale Kraft, aber die Leute denken nicht global."

Außerdem: Rebecca Solnit schöpft während der Coronakrise Hoffnung auf mehr Umweltbewusstsein.

Magazinrundschau vom 07.04.2020 - Guardian

Erleben wir eine Rückkehr der Konzentrationslager? Daniel Trilling, absolut kein Freund von Giorgio Agamben, blickt auf die Umerziehungslager in China, Gefängniskomplexe in Syrien und Internierungslager in Myanmar, aber auch auf die Flüchtlingslager der griechischen Inseln, in der Negev-Wüste und im Pazifischen Ozean und erkennt viele Unterschiede - in der Härte, im System, in der Absicht -, aber auch einige Gemeinsamkeiten: Als vorübergehende Maßnahme eingerichtet wurden sie zu permanenten Institutionen; sie existieren in einem Bereich rechtlicher Uneindeutigkeit; und sie zerstören die individuelle Persönlichkeit des Menschen: "Als Zygmunt Bauman in den neunziger Jahren begann, sich mit Lagern zu beschäftigen, stellte er fest, dass die Gewalt in unseren Zeiten durch Distanz gekennzeichnet ist - nicht nur die physische oder geografische Distanz, die durch Technologie ermöglicht wird, sondern soziale und psychologische Distanz, die durch komplexe Systeme hergestellt wird, in die jeder und keiner verwickelt zu sein scheint. Das funktioniert Bauman zufolge auf drei Ebenen. Erstens werden Taten in einer langen Kette von Zuständigkeiten ausgeführt, in der die Menschen Anweisungen geben und nehmen. Zweitens haben alle Beteiligten eine abgegrenzte Aufgabe zu erfüllen. Und drittens erscheinen die Betroffenen denen im System selten als völlig menschlich: 'Die Moderne machte die Menschen nicht grausamer', schrieb Bauman, 'sie erfand nur einen Weg, auf dem grausame Dinge von nicht-grausamen Menschen erledigt werden konnten'."