Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
16.11.2006. In der NZZ zeigt sich Ralf Dahrendorf angeödet von der ewigen Nazizeit in deutschen Autobiografien. In der Zeit erklärt Hans Haacke, warum er sich nicht traut, den Islam zu kritisieren, es aber zum Glück auch für inopportun hält. Die Berliner Zeitung ist ein Ort exaltierter Schmerzartikulation über die Berliner Opernpolitik. Die SZ fragt: Kann einer, der Berlin regieren kann, auch drei Opern regieren? Der Tagesspiegel köpft die Ausweicheier der Berliner Kulturszene. Die FAZ verzehrt Döner, wird aber weder krank noch suchtkrank. Der FR kommen die neuen Suhrkamp-Investoren auch irgendwie komisch vor.

NZZ, 16.11.2006

"Sind normale Zeiten nicht Autobiografie-würdig?", fragt sich Ralf Dahrendorf konsterniert angesichts der Aufmerksamkeit, die - zuletzt angesichts von SS-Geständnissen und mutmaßliche Schluckbeschwerden - noch immer dem Nationalsozialismus gezollt wird. Der Generation der Verstrickten sei offenbar auch die "Selbstbezichtigung" recht, um das anhaltende Interesse des Publikums an der Nazizeit zu bedienen. "Was kommt schon heraus beim 'Häuten der Zwiebel' eines Nachkriegslebens? Mehr oder weniger phantasievoll gemusterte Blätter, die, schön gezeichnet, erbauen können... Was bei alledem zu kurz kommt, ist der Reichtum der deutschen Geschichte. Darf man davon in Deutschland nicht reden?... Vielleicht wird ja das Buch des Historikers Fritz Stern über die 'Fünf Deutschlands, die ich kannte', das in Amerika bereits ein breites Echo findet und demnächst auch in Deutschland erscheinen soll, für etwas Abhilfe sorgen."

Einen "fadisierenden" Abend hat Peter Hagmann mit der Oper "A Flowering Tree" von John Adams und Peter Sellars auf dem Wiener Mozartfestival "New Crowned Hope" erlebt. "Während 'Die Zauberflöte' in ihrer Mischung von Ernst und Witz auch zweihundert Jahre nach ihrer Entstehung noch lebt, hat man vom elegischen Ton und von der ungebrochen narrativen Dramaturgie dieses modernen Märchens schon vor der Pause genug."

Besprochen werden außerdem neue Folk-CDs von Currituck County, Nalle und anderen, das aktuelle Album der Singer-Songwriterin Joanna Newsom sowie Bücher, darunter Gedichte von Daniil Charms und Orhan Pamuks am kommenden Sonnabend erscheinende Istanbul-Erinnerungen (mehr wie immer ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).

Zeit, 16.11.2006

Katja Nicodemus nimmt trauernd Abschied von James Bond, der schön oberflächlichen Verkörperung unerschütterlicher postkolonialer Britishness. Mit Daniel Craig bekommen wir in "Casino Royale" den 007, den wir verdienen: einen unironischen Terrorbekämpfer - mit "Tiefgang": "Gleich in einer der ersten Szenen bringt Bond, noch als 07 und ohne Lizenz zum Töten, seinen ersten Gegner um. Auf einer Herrentoilette drückt Daniel Craig den Kopf eines schmierigen Informanten ins Waschbecken. Es ist ein arges Spritzen und Zappeln, ein Würgen und Zucken, bis der Mann endlich erstickt. Bond ächzt und keucht, die Kamera zeigt seine nasse Stirn und jede Pore seines Gesichts. Die Botschaft ist klar: Hier kommt der echte, schwitzende brutale Bond. Ein Klo-Killer und Todesarbeiter. The real thing."

Im Interview mit Hanno Rauterberg erklärt Kunst-Aktivist Hans Haacke, warum er sich traut, die USA zu kritisieren, nicht aber den Islam: "Als ich kritische Arbeiten zur Apartheid oder zur Bush-Politik gemacht habe, bestand kein Grund, zu befürchten, dass jemand deshalb an Leib und Leben in Gefahr geriete. Ich wusste, die amerikanische Nationalgarde würde nicht mit ihren Knarren anrücken... Das ist ja nicht feige, es ist vielleicht weise."

Weiteres: Im Streit um die Restitutionen geißelt Jens Jessen "Unkenntnis und Herzlosigkeit" derjenigen, die bestreiten, deutsche Juden hätten aus Not und Nötigung gehandelt, wenn sie ihre Bilder in der Nazizeit selbst verkauft haben: "Sie sagen: Rechtsgeschäft ist Rechtsgeschäft. Wo Geld floss, besteht kein Anlass zu moralischer Wiedergutmachung." Eva Schweitzer berichtet von Kampf um die Los Angeles Times. Claus Spahn murrt über die Pläne des Bayerischen Rundfunks, seine Klassikwelle abzuschalten. Tobias Timm berichtet von den New Yorker Herbstauktionen.

Besprochen werden Woody Allens Krimikomödie "Scoop", Matthias Luthardts Filmdebüt "Pingpong", eine Choreografie von Dorothea Ratzel und Jochen Roller, die Neo-Rauch-Retrospektive im Kunstmuseum Wolfsburg, Leos Janaceks moderner Klassiker "Auf verwachsenem Pfade", Ravels "Bolero" auf historischen Instrumenten und die Collage "Love" der Beatles.

Im Literaturteil erzählt Bernadette Conrad von einer Begegnung mit der kanadischen Autorin Margaret Atwood. Im Dossier widmet sich Sabine Rückert der neuen Medienrolle von Entführungsopfern. Der Politikteil legt seinen Schwerpunkt auf Frauen an der Macht, mit besonderer Berücksichtigung von Angela Merkel, Nancy Pelosi und Alice Schwarzer.

Berliner Zeitung, 16.11.2006

Mit Michael Schindhelms Rücktritt (zum April 2007) sind seine Pläne für die Berliner Opern nicht Makulatur geworden, hält Harald Jähner fest und erklärt dem Regierenden Kultursenator, warum die Stadt so viel Aufhebens macht um seine drei Opern: "Während in der Gesellschaft die Tendenz vorherrscht, die dort angerichteten Leiden zu verleugnen, ist die Oper ein Ort exaltierter Schmerzartikulation. Dort wird im Dienste unserer Seelenruhe gelitten. Auch daher rührt das fast magische, tief verwurzelte Tabu, eine Oper zu schließen, nicht nur aus der Angst, den Westteil der Stadt zu schmerzen, der erst nach dem Mauerbau eine eigene Oper brauchte. Abgesehen davon, dass eine Schließung zu den irreversiblen Prozessen gehören würde, die jeder Politiker meidet wie die Katze den Badewannenrand, erschiene sie als ein Frevel, der sich andernorts rächen könnte. Um die Opern wird gekämpft, dass es vielen ein Graus ist. Das rührt noch immer von dem Stolz des Bürgertums her, dem Adel dieses Spielzeug entrissen und zu einer ersatzreligiösen Gefühlsmaschine weiterentwickelt zu haben. Dieser Stolz lässt die Stadt nachdenken. Seit Jahren schon, Herr Wowereit."

Im Feuilleton erläutert Wolfgang Fuhrmann Michael Schindhelms Plan B zur Rettung der Berliner Opern. Und Christian Esch schildert die Reaktion von Claus Grossner und Hans Barlach auf die Weigerung des Suhrkamp Verlags, sie als neue Minderheitseigner anzuerkennen: "Sie sprachen gegenüber der Berliner Zeitung am Mittwoch von einem 'Stück aus dem Tollhaus' (Claus Grossner) und waren 'bestürzt über so viel Irrationalität' (Hans Barlach). Sie seien ja nur mittelbar beteiligt, als Aktionäre der Volkart Holding AG, die - jedenfalls bisher - an weit mehr beteiligt sei als bloß am Suhrkamp Verlag. Ob denn, dieses 'Gleichnis' wählt Barlach, eine 'Schraubenfabrik, an der Daimler Chrysler beteiligt ist', bei jedem Aktionärswechsel des Konzerns mitreden dürfe?"

Welt, 16.11.2006

Klaus Wowereit sollte sich das Konzept des im April 2007 zurücktretenden Opernstiftung-Direktors Michael Schindhelm noch mal genau ansehen, rät Manuel Brug. "Der nämlich wollte eine radikale Umstellung der Deutschen Oper von einem schwer ächzenden Repertoirehaus zu einem koproduzierenden Stagionebetrieb mit maximal 13 Produktionen, wovon sechs neu sein sollten, aber nur zwei auch selbst hergestellt würden. Damit machte Schindhelm auf einen Umstand aufmerksam, der auch andere, augenblicklich noch erfolgreiche Häuser in Deutschland bald umtreiben wird. Die Aushöhlung des Repertoiresystems, das so wohl nicht mehr sehr lange existieren wird, weil das Publikum es immer weniger akzeptiert. Ist eine Aufführung im Gespräch, möchten die Leute sie gleich sehen, in einem halben Jahr schon nicht mehr."

Im Gespräch mit Amina R. Chaudary, das die Welt im Politikteil übersetzt, beharrt Samuel Huntington auf der Bedeutung von kulturellen und religiösen Trennungslinien und sucht ansonsten nach einer Hegemonialmacht im Nahen Osten. "Einen offensichtlichen Kandidaten gibt es nicht. Saudi-Arabien hat das Geld, aber eine verhältnismäßig kleine Bevölkerung. Der Irak wäre ein potentieller Kandidat gewesen, als großes Land mit großen Ölvorkommen und einer gut ausgebildeten Bevölkerung, aber das Land hat sich in die falsche Richtung entwickelt. Vielleicht wird sich der Irak erholen und die dominante Macht unter den arabischen Ländern werden."

Weiteres: Eckhard Fuhr lobt Kulturstaatsminister Bernd Neumann für seine "konzeptionelle Souveränität" und kürt ihn zum unangefochtenen Primus der Berliner Kulturszene. Die Direktorin des Hallenser Kunstmuseums, Katja Schneider, begründet gegenüber Uta Baier, warum sie zwei Werke aus der Sammlung Rosy Fischer nicht an die Erben zurückgeben will. Gemeldet wird, dass Suhrkamp-Verlegerin Ulla Unseld-Berkewicz den Kauf von Anteilen durch Hans-Georg Barlach und Claus Grossner juristisch prüfen lässt. Michael Stürmer glaubt, dass Carl von Clausewitz auch 175 Jahre nach seinem Tod noch aktuell ist - im Irak zum Beispiel.

Besprochen werden Woody Allens Film "Scoop", Anno Sauls "klimbimartige" Komödie "Wo ist Fred", Holger Ernsts Episodenfilm "The House is Burning" und Rod Stewarts "peinliches" Album "Still the Same".

FAZ, 16.11.2006

Im Aufmacher beobachten wir Gastropapst Jürgen Dollase in heroischem Selbstversuch Döner verzehrend, um dem Gammelfleischskandal auf die Spur zu kommen. Er nutzt den Artikel zu einer Generalabrechnung mit Fast Food: "Wir sprechen von Junk-Food, und 'Junkies' nennt man die Drogenabhängigen. Gibt man ihnen Methadon, sind sie zwar einigermaßen ruhiggestellt, aber der richtige Flash fehlt ihnen. So ist es auch beim Essen: Die Snack-Kultur liefert gleichfalls einen Flash, schnell und grob. Das kulinarische Drogenmilieu hat längst große Teile unserer Gesellschaft okkupiert und Abhängige in allen Generationen geschaffen. Der 'Nahrungsschuss' aber ist der kulinarische Kurzschluss schlechthin."

Autor Clemens Meyer ("Als wir träumten") besucht die Ausstellung "Hautzeichen - Körperbilder" in Frankfurt und erzählt nebenbei, wie er sich von seinem Tätowierer Stone das Antlitz der Geliebten in den linken Oberschenkel schnitzen ließ: "'Ist so 'ne Sache mit geliebten Frauengesichtern', sagt er, 'was sagst du denn, wenn du mal 'ne andere...' 'Tja', sage ich und versuche mich zu entspannen, 'die muss dann wohl damit zurechtkommen.'"

Weitere Artikel: Richard Kämmerlings zitiert eine Pressemeldung des Suhrkamp Verlags, der die Ansprüche der neuen Eigner juristisch prüfen lässt. In der Leitglosse wird Wolfgang Sandner durch die Peripetien um die Berliner Opernstiftung zu der Vermutung getrieben: "Vielleicht ist ja Klaus Wowereit so etwas wie ein Parsifal, der der Siegfried Lohengrins ist." Oliver Jungen wohnte der Eröffnung des Forschungsjahres im gefährdeten Historischen Kolleg in München bei. Klaus Ungerer verfolgte für seine Kolumne "Nichts als die Wahrheit" mit wahren Geschichten aus dem Amtsgerichts Moabit den Prozess eines mit Karabinerhaken bewaffneten Räubers.

Für die Filmseite besuchte Bert Rebhandl eine von Peter Sellars mit kuratierte Filmreihe in Wien, die in neueren Filmen nach Bezügen zu Mozart sucht. Franziska Bossy berichtet von den "Nordischen Filmtagen" in Lübeck. Und Michael Althen kommentiert Meldungen, dass einige der in "Borat"- Übertölpelten klagen wollen. Auf der Medienseite meldet Michael Hanfeld, dass die heute laufende Dokumentation "Die Feindzentrale" über die Stasi-Aktivitäten im ZDF in letzter Minute geändert werden musste. Und Jürg Altwegg schildert die Manipulation der Medien durch die französischen Präsidentschaftskandidaten.

Auf der letzten Seite geht Paul Cochrane Gerüchten um eine immer stärkere Emigration von Christen aus dem Libanon nach, kann sie aber nicht bestätigen. Dieter Bartetzko berichtet aus Potsdam, dass die Rekonstruktion des Stadtschlosses auf unbestimmte Zeit verschoben ist. Und Wolfgang Sandner würdigt aus unklarem Anlass die Verdienste des Stuttgarter Dirigenten Helmuth Rilling um Johann Sebastian Bach.

Besprochen werden die Wiener Uraufführung der John-Adams-Oper "A Flowering Tree" in der Regie von Peter Sellars, eine Ausstellung über Sintflut-Motive in der Malerei in Dijon und Holger Ernsts Film "The House is Burning".

FR, 16.11.2006

Ina Hartwig findet, dass Ulla Unseld-Berkewiczs Suhrkamp-Verlag in seinem Abwehrreflex gegen die Hamburger Käufer von Andreas Reinhardts Aktienpaket durchaus richtig liegt. Auch ihr kommen die neuen Investoren irgendwie komisch vor - deren Unterstützer nicht weniger: "Umso mehr darf man sich wundern, was den überaus erfahrenen, nicht zum Lauten neigenden Arnulf Conradi, ebenfalls Hamburger und vormals Leiter des Berlin Verlags, dazu verführt, sich als Chefberater für die 'Medienholding Winterthur' zur Verfügung zu stellen. Gern wüsste man auch, was Joachim Unseld, der entmachtete Sohn Siegfried Unselds, der noch 20 Prozent der Anteile am Suhrkamp Verlag hält und ansonsten die Frankfurter Verlagsanstalt mit literarischem Gespür leitet, über die merkwürdigen Vorgänge denkt. Er sagt es nicht. Doch so viel ist gewiss: Die identifikatorischen Energien, die das Haus Suhrkamp immer noch auf sich zieht, sind und bleiben erheblich. Ulla Unseld-Berkewicz wird hart bekämpft. Ohne allzu großen Erfolg."

Weitere Themen: Peter Michalzik spricht mit dem zurückgetretenen Generaldirektor der Berliner Opernstiftung, Michael Schindhelm: "Ich habe in den vergangenen Monaten immer wieder zu hören bekommen: In Ihrer Haut möchte ich nicht stecken. In letzter Zeit habe ich mir das auch öfter gesagt." Und Harry Nutt beschäftigt in der heutigen Times-mager-Kolumne das gegen den Kulturrat verhängte Fax-Verbot des Haushaltsauschusses des Deutschen Bundestages.

Besprochen werden Woody Allens neuer Film "Scoop" (dessen "wunderbar schrägen Witz" Heike Kühn als echte Prüfung für den britischen Humor betrachtet), Matthias Luthardts spätbürgerliches Kammerspiel "Pingpong" (an dem Michael Kohler freilich die "düstere Entschlossenheit" vermisst, mit der ein Michael Haneke "aufs Ganze" geht), Rudolf Thomes Film "Rauchzeichen", der abschließende und der Zukunft gewidmete Teil seiner "Zeitreisen"-Trilogie, Holger Ernsts Film "The House is Burning" und eine Austellung mit Fotografien von tätowierten Maori von Arno Gasteiger im Frankfurter Museum der Weltkulturen.

TAZ, 16.11.2006

Die arabische Welt muss sich ändern, sagt der französisch-arabische Musiker Rachid Taha im Gespräch mit Daniel Bax. "Sie muss sich ändern. Ich weiß nur nicht, ob sie das auch tut. Die arabische Welt wirkt auf mich, als würde sie unter einer Käseglocke gären und jeden Moment vor einer Explosion stehen - wegen des Kriegs im Irak oder wegen des israelisch-palästinensischen Konflikts."

Weitere Artikel: Hans-Christoph Zimmermann schickt einen Probenbericht vom Kölner Schauspielhaus, wo der iranische Autor und Regisseur Amir Reza Koohestani gerade sein neues Stück "Einzelzimmer", eine Groteske über Selbstmordattentäter, einstudiert. Niklaus Hablützel kommentiert Michael Schindhelms Kündigung als Generaldirektor der Berliner Opernstiftung und in der zweiten taz treibt Barbara Dribbusch die Frage um: "Darf man Habermas wegwerfen, um Platz für eine Heimsauna zu schaffen?"

Besprochen werden Rudolf Thomes neuer Film "Rauchzeichen" (den Barbara Schweizerhof auch deshalb nicht mag, weil er "in der unsympathischen deutschen Parallelgesellschaft Italiens" spielt), Matthias Luthardts Spielfilmdebüt "Pingpong" und der Debütfilm des russischen Regisseurs Ilya Khrzhanovsky "4", das jetzt als DVD erschien.

Und noch Tom.

Tagesspiegel, 16.11.2006

Als "Ausweicheier" geißelt Frederik Hanssen die Mitglieder der Berliner Kulturszene, die immer wieder in Deckung gehen, wenn es hart auf hart kommt. "Die Intendanten? Sie haben schon im 'Idomeneo'-Fall demonstriert, wie man feige wegschaut, wenn es einem des Trios an den Kragen geht. Solange jemand anderes geprügelt wird, fallen die Skandale im eigenen Haus nicht auf... Warum wurstelt in der Berliner Opernszene jeder intern vor sich hin und schweigt nach außen? Selbst die Künstlergewerkschaften verhalten sich still. Was ist aus der einst so kampfeslustigen Orchestervereinigung geworden? Ist die Angst so groß? Oder glaubt einfach keiner mehr an Rettung, weder im Fall der Berliner Musiktheatertrias noch im Fall der hartnäckig totgesagten Gattung Oper? Hoffentlich erreiche ich noch die Grenze für die Frühpensionierung, bevor die hier den Laden dicht machen? Wenn die Künstler weiterhin darauf vertrauen, dass es bei dem einen oder anderen Bauernopfer bleiben wird, wenn sie sich nicht endlich bereitfinden, die ungeliebte Stiftung zu akzeptieren, die Idee eines solidarischen Miteinanders zu leben, muss die Politik die Konstruktion der Opernstiftung eben zerschlagen. Mit allen Konsequenzen."
Stichwörter: Idomeneo, Kulturszene

SZ, 16.11.2006

"Nun steht Wowereit also ganz allein im rauen Sturmwind der Opernfrage", kommentiert Reinhardt J. Brembeck den Rückzug Michael Schindhelms als Generaldirektor der Berliner Opernstiftung zum April kommenden Jahres. Wowereit habe sich in den letzten Wochen "derart offensiv auf dieses Thema eingelassen, als wolle er auf Gedeih und Verderb sein politisches Schicksal damit verknüpfen. Doch das Berliner Operndilemma verheißt keine strahlenden politischen Erfolge - erst recht nicht, wenn man sich derart nassforsch wie Wowereit darauf stürzt. Aber vielleicht liegt für Wowereit der Reiz dieser Aufgabe in ihrer Unmöglichkeit. Vielleicht will er beweisen, dass große Probleme große Politiker erfordern - und vielleicht gelingt ihm auch das Unmögliche. Wahrscheinlicher aber ist, dass er sich an den Opernhäusern verheben wird."

Weiteres: Aus aktuellem Anlass, nämlich der Forderung eines George-Grosz-Sohns, das New Yorker MoMa solle zwei Bilder herausgeben, die vor 1933 dem Künstler selbst gehörten, etablieren Holger Liebs und Stefan Koldehoff neben sowjetischer Beutekunst, Nazi-Raubkunst als dritte Kategorie die Fluchtkunst - Kunst, deren Besitzer Nazideutschland verlassen mussten und die dann einfach verkauft wurde. Christian Jostmann macht sich für eine Wahrnehmung der ehemaligen innereuropäischen Staatsgrenzen als 'genuine Erinnerungsorte' und den Erhalt der Grenzstationen stark. In der neuen SZ-Serie Filme schreibt der Regisseur Christian Petzhold (ziemlich kitschig) über Richard Fleischers Filmklassiker von 1954 "20.000 Meilen unter dem Meer". Besser klingt da schon Wim Wenders in seiner Eloge auf Douglas Sirks Melodram "In den Wind geschrieben".

Besprochen werden Ivan Reitmans Film "Die Super-Ex" mit Uma Thurman, Matthias Luthardts Familienthriller "Pingpong", Holger Ernsts Film "The House is Burning" John Adams und Peter Sellars Eröffnungsinszenierung des Mozart-Festivals "New Crowned Hope" mit ihrer Präsentation eines uralten indischen Märchen als exotisch-farbenprächtiges Musiktheater "A Flowering Tree" an der Wiener Staatsoper, Jarvis Cockers neues Album "Jarvis" und Bücher, darunter der Briefwechsel zwischen Peter Handke und Hermann Lenz (mehr ab 14 Uhr in unserer Bücherschau des Tages).